Gertraud Klemm:"Ich bin Mutter zweiter Klasse"

Gertraud Klemm

Gertraud Klemm: "Ich bin Mutter zweiter Klasse"

(Foto: www.detailsinn.at)

Die österreichische Autorin Gertraud Klemm schreibt so kritisch über Mütter, dass sie nach ihrem Roman "Aberland" zur Galionsfigur der Regretting-Motherhood-Debatte gemacht wurde. Da überrascht es, in ihrem autobiografischen Buch "Muttergehäuse" zu erfahren, wie unbedingt sie Kinder wollte und wie sehr sie unter ihrer Unfruchtbarkeit litt.

Interview von Barbara Vorsamer

SZ: Sie haben zwei Kinder adoptiert - in Zeiten von Insemination, künstlicher Befruchtung und Leihmutterschaft ein fast antiquierter Weg zum Wunschkind. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Gertraud Klemm: Ich wollte mir nicht von einem Arzt ein Kind machen lassen. Außerdem weiß ich als Biologin, was da auf zellulärer Ebene passiert. Man zwingt zwei Zellen, die nicht miteinander wollen, in der Petrischale doch zusammen. Da wird mir übel.

Die Kinderwunschindustrie boomt. Wie erklären Sie sich das?

Das ist der pure Egoismus. Es geht dabei nicht um die Kinder, sondern um Fortpflanzung. Man will das Eigene weitergeben und überschätzt die Biologie völlig. Was uns ausmacht, sind doch nicht nur die Gene. So vieles findet auf feinstofflicher, emotionaler Ebene statt.

Was halten Sie von Leihmutterschaft?

Den Körper und seine Geschlechtsorgane zu verkaufen, lehne ich völlig ab. Arme Frauen, die für reiche Frauen ihren Bauch hinhalten - das ist unmenschlich. Kennen Sie den Film "Future Baby"? Da wird der mexikanischen Leihmutter das Kind per Kaiserschnitt aus dem Bauch geholt, sie liegt auf dem Tisch wie ein Vieh und alle filmen das Neugeborene mit dem iPad. Und am Ende ist es die Mexikanerin, die als Einzige fragt, ob mal jemand bitte endlich das Baby zudeckt. Leihmutterschaft ist eine Grenzüberschreitung, die nur kapitalistischen, globalisierten Prinzipien folgt.

Manche sehen sie als Chance. Es gibt sogar eine Bewegung, die Leihmutterschaft als Arbeit definieren will, damit sich die Frauen gewerkschaftlich organisieren und höhere Löhne erstreiten können. Ist das sinnvoll?

Eine ähnliche Diskussion gibt es beim Thema Prostitution. Die zentrale Frage ist: Bin ich solidarisch mit den Frauen, die es gerade machen müssen? Oder bin ich solidarisch mit allen Frauen? Natürlich bin ich dafür, dass Leihmütter und Prostituierte gerecht bezahlt werden und sichere Arbeitsbedingungen haben. Aber was macht das mit allen anderen Frauen, wenn Schwangerschaft und Sexualität zu käuflichen Waren werden? Das klebt uns allen ein Preisschild auf. Zudem gibt es so viele ungewollte Kinder auf der Welt, die eine Chance verdient haben. Mir erschien da Adoption viel naheliegender.

Ihr aktuelles Buch "Muttergehäuse" handelt von Unfruchtbarkeit und Adoption. Ist es autobiografisch?

Ja. Ich führe immer Journal, besonders wenn mich etwas belastet - und in der Zeit, in denen ich Kinder wollte und keine bekam, habe ich sehr gelitten. Alle fragten blöd: "Wann ist es denn bei euch so weit?", "Wollt ihr überhaupt Kinder?" oder "Was klappt denn da nicht?"

Besonders schlimm sind auch Aussagen wie "Fahrt doch mal in den Urlaub zum entspannt Vögeln." Das hat mich verletzt, deswegen habe ich angefangen, diese Fertigsätze zu sammeln. Als wir uns dann entschlossen, zu adoptieren, musste ich die damit zusammenhängende Bürokratie verkraften und habe weiter geschrieben.

Von den Behörden fühlten Sie sich gegängelt und kontrolliert. Ist es nicht sinnvoll, dass werdende Adoptiveltern sorgfältig geprüft werden?

Es besteht eine enorme Diskrepanz zwischen der Kontrolle von Adoptiveltern und den biologischen Eltern. Bei Letzteren gibt es ein grundsätzliches Vertrauen darin, dass die das können. Adoptiveltern wird grundsätzlich misstraut. Beides zu Unrecht.

Während unserer ersten Adoption machte der Fall Fritzl Schlagzeilen. Dieser Mann durfte sieben Kinder adoptieren und in Pflege nehmen, obwohl er ein verurteilter Vergewaltiger war. Aber er war angeblich der Großvater, also war es in Ordnung. Wir hingegen mussten vor der Adoption unseres zweiten Kindes fast einen zweiten Säuglingspflegekurs absolvieren. Wer seine Kinder nicht selbst hergestellt hat, ist eben Mutter zweiter Klasse.

Wer sagt das?

Das lässt einen die Umgebung spüren. Weil meine Kinder schwarz sind und mein Mann und ich weiß, sieht jeder, dass wir keine biologische Familie sein können. Da kommen selbst an der Supermarktkasse distanzlose Fragen: "Wo habt ihr die her?" "Was hat das gekostet?" "Was ist mit der echten Mutter?" Wir laufen mit Schildern um den Hals herum: Auf mir steht "unfruchtbar", auf meinen Kindern "ungewollt".

Sind das Vorurteile gegen Adoptiveltern? Oder Rassismus?

Beides. Am Anfang haben viele gefragt: "Wenn ihr schon adoptiert, warum nicht wenigstens ein unsriges?" Aber ungewollte Kinder gibt es hier kaum mehr. Es wird verhütet, abgetrieben oder die Kinder werden dann doch behalten. Und das ist übrigens eine positive Entwicklung. Auslandsadoption ist daher das Einzige, was Chancen verspricht.

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