SZ: Sie haben zwei Kinder adoptiert - in Zeiten von Insemination, künstlicher Befruchtung und Leihmutterschaft ein fast antiquierter Weg zum Wunschkind. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Gertraud Klemm: Ich wollte mir nicht von einem Arzt ein Kind machen lassen. Außerdem weiß ich als Biologin, was da auf zellulärer Ebene passiert. Man zwingt zwei Zellen, die nicht miteinander wollen, in der Petrischale doch zusammen. Da wird mir übel.
Die Kinderwunschindustrie boomt. Wie erklären Sie sich das?
Das ist der pure Egoismus. Es geht dabei nicht um die Kinder, sondern um Fortpflanzung. Man will das Eigene weitergeben und überschätzt die Biologie völlig. Was uns ausmacht, sind doch nicht nur die Gene. So vieles findet auf feinstofflicher, emotionaler Ebene statt.
Was halten Sie von Leihmutterschaft?
Den Körper und seine Geschlechtsorgane zu verkaufen, lehne ich völlig ab. Arme Frauen, die für reiche Frauen ihren Bauch hinhalten - das ist unmenschlich. Kennen Sie den Film "Future Baby"? Da wird der mexikanischen Leihmutter das Kind per Kaiserschnitt aus dem Bauch geholt, sie liegt auf dem Tisch wie ein Vieh und alle filmen das Neugeborene mit dem iPad. Und am Ende ist es die Mexikanerin, die als Einzige fragt, ob mal jemand bitte endlich das Baby zudeckt. Leihmutterschaft ist eine Grenzüberschreitung, die nur kapitalistischen, globalisierten Prinzipien folgt.
Manche sehen sie als Chance. Es gibt sogar eine Bewegung, die Leihmutterschaft als Arbeit definieren will, damit sich die Frauen gewerkschaftlich organisieren und höhere Löhne erstreiten können. Ist das sinnvoll?
Eine ähnliche Diskussion gibt es beim Thema Prostitution. Die zentrale Frage ist: Bin ich solidarisch mit den Frauen, die es gerade machen müssen? Oder bin ich solidarisch mit allen Frauen? Natürlich bin ich dafür, dass Leihmütter und Prostituierte gerecht bezahlt werden und sichere Arbeitsbedingungen haben. Aber was macht das mit allen anderen Frauen, wenn Schwangerschaft und Sexualität zu käuflichen Waren werden? Das klebt uns allen ein Preisschild auf. Zudem gibt es so viele ungewollte Kinder auf der Welt, die eine Chance verdient haben. Mir erschien da Adoption viel naheliegender.
Ihr aktuelles Buch "Muttergehäuse" handelt von Unfruchtbarkeit und Adoption. Ist es autobiografisch?
Ja. Ich führe immer Journal, besonders wenn mich etwas belastet - und in der Zeit, in denen ich Kinder wollte und keine bekam, habe ich sehr gelitten. Alle fragten blöd: "Wann ist es denn bei euch so weit?", "Wollt ihr überhaupt Kinder?" oder "Was klappt denn da nicht?"
Besonders schlimm sind auch Aussagen wie "Fahrt doch mal in den Urlaub zum entspannt Vögeln." Das hat mich verletzt, deswegen habe ich angefangen, diese Fertigsätze zu sammeln. Als wir uns dann entschlossen, zu adoptieren, musste ich die damit zusammenhängende Bürokratie verkraften und habe weiter geschrieben.
Von den Behörden fühlten Sie sich gegängelt und kontrolliert. Ist es nicht sinnvoll, dass werdende Adoptiveltern sorgfältig geprüft werden?
Es besteht eine enorme Diskrepanz zwischen der Kontrolle von Adoptiveltern und den biologischen Eltern. Bei Letzteren gibt es ein grundsätzliches Vertrauen darin, dass die das können. Adoptiveltern wird grundsätzlich misstraut. Beides zu Unrecht.
Während unserer ersten Adoption machte der Fall Fritzl Schlagzeilen. Dieser Mann durfte sieben Kinder adoptieren und in Pflege nehmen, obwohl er ein verurteilter Vergewaltiger war. Aber er war angeblich der Großvater, also war es in Ordnung. Wir hingegen mussten vor der Adoption unseres zweiten Kindes fast einen zweiten Säuglingspflegekurs absolvieren. Wer seine Kinder nicht selbst hergestellt hat, ist eben Mutter zweiter Klasse.
Wer sagt das?
Das lässt einen die Umgebung spüren. Weil meine Kinder schwarz sind und mein Mann und ich weiß, sieht jeder, dass wir keine biologische Familie sein können. Da kommen selbst an der Supermarktkasse distanzlose Fragen: "Wo habt ihr die her?" "Was hat das gekostet?" "Was ist mit der echten Mutter?" Wir laufen mit Schildern um den Hals herum: Auf mir steht "unfruchtbar", auf meinen Kindern "ungewollt".
Sind das Vorurteile gegen Adoptiveltern? Oder Rassismus?
Beides. Am Anfang haben viele gefragt: "Wenn ihr schon adoptiert, warum nicht wenigstens ein unsriges?" Aber ungewollte Kinder gibt es hier kaum mehr. Es wird verhütet, abgetrieben oder die Kinder werden dann doch behalten. Und das ist übrigens eine positive Entwicklung. Auslandsadoption ist daher das Einzige, was Chancen verspricht.
Bei Ihnen hat es geklappt und Sie haben inzwischen zwei Söhne aus Südafrika. Wie fühlt sich das an? Gab es einen Moment, zu dem Sie sagten, jetzt bin ich Mutter? Oder war das eine langsame Entwicklung?
Am Anfang waren wir völlig überfordert. Bei einer Adoption wartet man ja oft monate- und jahrelang, ohne dass etwas passiert. Und wenn dann etwas passiert, hat man zwei Wochen später ein Kind. Das ist wie eine Vollbremsung, schleudert den Alltag durcheinander und alle müssen sich erst mal daran gewöhnen. Aber irgendwann lag mein Kind so richtig entspannt auf mir und hat geschlafen, hat zum ersten Mal komplett losgelassen - das war schon so ein Moment, in dem ich dachte: "Jetzt bin ich die Mama."
Klingt romantisch.
Dieser Moment vielleicht, aber sonst war es das eher nicht. Mutterschaft ist furchtbar anstrengend. Das habe ich zwar gewusst, aber auch ich bin dem Mythos aufgesessen, dass Mutterliebe übergroß ist und mich über alles Negative hinwegtragen würde. Ich habe erwartet, dass ich gerne die Scheiße meiner Kinder wegputze und es mir nichts ausmacht, nächtelang nicht zu schlafen. Doch das stimmt nicht. Es gibt Momente als Mutter, in denen man sagt: Gerade hätte ich lieber keine Kinder.
Um diese Gefühle drehte sich die Regretting-Motherhood-Debatte, zu deren literarischer Führungsfigur Sie so manches Feuilleton gemacht hat. Seitdem darf jede Frau sagen, wie beschissen Muttersein manchmal ist - wo ist noch das Tabu?
Es darf gejammert und gemotzt werden, aber nur, solange man sofort betont, wie sehr man seine Kinder liebt. Dabei ist das doch selbstverständlich. Bei Regretting Motherhood geht es um starke Gefühle, die gesellschaftlich verboten sind. Die Diskussion ist aber leider oft in Richtung Vereinbarkeit von Familie und Beruf abgedriftet - auch wichtig, aber etwas anderes. Gegen Schlafmangel hilft Schlaf, nicht Mutterliebe. Gegen Wut hilft, sich abzureagieren, nicht Mutterliebe. Aber gerade Aggressionen sind so gar nicht mütterlich. Wer die zeigt, wird sofort entmuttert.
Entmuttert?
Ja, so nenne ich das Phänomen, einer Mutter die Kompetenz abzusprechen, wenn sie sich nicht in Bedürfnislosigkeit und Hingabe auflöst. Man versucht ständig, mich zu entmuttern. Ich habe ein zu großes eigenes Leben, zu starke eigene Wünsche. Mein Beruf ist mir sehr wichtig.
Fällt Adoptiveltern das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie eigentlich leichter? Da entfallen körperliche Argumente für klassische Arbeitsteilung wie Schwangerschaft, Geburt und Stillen.
Das stimmt. Bei einer Adoption fangen alle - Vater, Mutter und Kind - bei null an. Es wäre eine ideale Ausgangssituation für gleichverteilte Bindungen. Trotzdem griff auch bei mir der Mutterschafts-Automatismus. Das lag auch daran, dass die erste Adoption in eine Zeit gefallen ist, in der ich mich beruflich neu orientiert und kein Geld verdient habe. Somit lag es nahe, dass ich zu Hause bleibe. Doch dann passierten all diese Dinge, zum Beispiel dass das Kind nur bei mir einschlief und bei meinem Mann nicht. Mutterschaft ist ein gesellschaftliches Konstrukt, das auch bei uns als Adoptiveltern voll durchgeschlagen hat.
Das passiert in vielen Familien, obwohl die meisten Paare es sich anders wünschen. Warum?
Gleichberechtigung im Alltag ist anstrengend. Wir reden immer von Doppelbelastung, aber in Wirklichkeit ist es eine Drei- oder Vierfachbelastung. Wenn beide alles machen sollen, müssen beide alles können, alles lernen, sich ständig absprechen und viel organisieren.
Darüberhinaus gibt es eine volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Schwerkraft, die einen in Richtung der traditionellen Arbeitsteilung zieht. Wenn das einmal gekippt ist, dass er die bezahlte und sie die unbezahlte Arbeit macht, dann geht es rasant bergab. Das ist wie eine Rutsche. Man kommt kaum mehr zurück.
Lohnt es sich trotzdem, es anders zu machen?
Auf jeden Fall. Paare, die sich bezahlte und unbezahlte Arbeit partnerschaftlich teilen, sind flexibler und können auch mit Krisen besser umgehen, sowohl im Alltag als auch in der Beziehung
Die klassische Arbeitsteilung ist kein zeitgemäßes Konzept mehr. Sie führt zu Abhängigkeit, vor allem zu finanzieller. Der Partner, der die altruistische Arbeit leistet - meistens also die Partnerin - hat immer das Nachsehen. Sie wird nicht wertgeschätzt und ist von Altersarmut bedroht. Jeder weiß, dass in Großstädten jede zweite Ehe scheitert. Da ist es naiv, sich zu verhalten, als könne einem das nicht passieren.
Eigentlich weiß das jeder. Trotzdem geraten viele Frauen auf diese Rutschbahn. Warum wehren sie sich so wenig?
Schon kleinen Mädchen wird eingetrichtert, dass sie mal Mama werden. Deswegen wählen sie einen Beruf, den sie für vereinbar mit Kindern halten und legen wenig Wert darauf, dass ihre Karriere sie erfüllt und sie genug verdienen. Die zukünftige Mutterschaft sitzt wie ein Deckel auf den Träumen der Mädchen und das ist tragisch.
Wer für mehr Berufstätigkeit von Müttern plädiert, wird schnell als Karrierefeministin beschimpft, die will, dass sich nach den Männern nun auch die Frauen kapitalistisch ausbeuten lassen.
Ich plädiere nicht für kapitalistische Ausbeutung, ich plädiere für Gerechtigkeit. Mehr Ausbeutung als jetzt geht doch gar nicht: Mütter sollen den Haushalt und die Kinder machen, mindestens Teilzeit erwerbstätig sein und außerdem einen Superbody haben, Das kann sich nicht ausgehen - in einem Leben, mit 24 Stunden am Tag und nur einem Körper.