Gentrifizierung weltweit:Metropolen mit Magnetwirkung

Gentrifizierung weltweit: Gentrifizierung international - ein Blick in andere Städte

Gentrifizierung international - ein Blick in andere Städte

(Foto: Collage Jessy Asmus/ SZ.de)

Luxuswohnungen mit Doorman in New York, Demos gegen die vielen Touristen in Barcelona und Schlägertrupps in Moskau - wie international gewohnt und gentrifiziert wird.

Von den SZ-Korrespondenten

Former Domino Sugar Factory Slated For Mixed-Use Development

Soll ein Bürogebäude werden: eine alte Fabrik in Brooklyn

(Foto: Bloomberg)

Ein Musterbeispiel: Williamsburg in Brooklyn

Williamsburg in Brooklyn spiegelt wie kaum ein anderer Stadtteil das Auf und Ab der Stadt New York und ihrer Einwanderer. Hier spielt der Roman "A Tree Grows in Brooklyn", in dem die Schriftstellerin Betty Smith den Lebenskampf einer verarmten irisch-amerikanischen Familie schildert. Williamsburg ist die Heimat von orthodoxen Juden, von Puertoricanern, Polen und Einwanderern aus der Dominikanischen Republik. In den vergangenen Jahren ist der Stadtteil ein Muster für Gentrifizierung in New York geworden. Noch vor 15 Jahren war Williamsburgs Hauptstraße, die Bedford Avenue, eine heruntergekommene Schneise. Heute ist es eine Flaniermeile, auf der sich die Erfolgreichen und Exzentrischen in Cafés und Boutiquen vergnügen. Das Viertel hat es in die Gruppe der acht teuersten Wohngebiete New Yorks geschafft. Angeblich ziehen schon die ersten Mieter über den East River nach Manhattan, weil ihnen die Mieten in Williamsburg zu hoch sind - vor kurzer Zeit noch unvorstellbar.

Eigentlich ist diese Gentrifizierung Teil einer phantastischen Erfolgsgeschichte - des Wiederaufstiegs von New York nach der Beinahe-Pleite in den Siebzigern und der Crack-Krise der Achtzigerjahre. 1990 wurden in der Stadt 2245 Menschen umgebracht, 2014 waren es 328, so wenige wie noch nie, seit es eine verlässliche Kriminalstatistik gibt. Wenn man aber nicht mehr damit rechnen muss, dass man vor seiner Haustür erschossen wird, dann steigen die Immobilienpreise. Besonders krass zeigt sich das in Vierteln wie Willliamsburg. Die Ersten, die sich in den Neunzigerjahren aus Manhattan herüberwagten, waren Künstler und Galeristen, es folgten Studenten und Familien der Mittelklasse.

Aber alles hat seinen Preis. Heute liegt das mittlere Jahreseinkommen in Williamsburg zwischen 53 000 und 87 000 Dollar. Das ist inflationsbereinigt doppelt so viel wie 1990. Die Kleinverdiener verschwinden, die Reichen kommen, wenn auch noch nicht die Superreichen. Einen wichtigen Schritt zu Gentrifizierung tat die Stadt New York 2005. Sie änderte die Bebauungspläne für die Grundstücke am East River. Seither sind dort Wohnhochhäuser der Luxusklasse entstanden mit Doorman, Dachterrasse und unschlagbarem Blick über den Fluss nach Manhattan. Ja, es gibt auch noch ein paar Wohnungen mit heruntersubventionierten Mieten. Bei einer Auktion von 78 Billigwohnungen an der Frost Street im Januar bewarben sich 78 000 Menschen.

Nikolaus Piper

Gegenentwurf auf hohem Niveau: Die Kalkbreite in Zürich

Gentrifizierung weltweit: Trutzburg gegen Gentrifizierung: die Genossenschaft Kalkbreite in Zürich

Trutzburg gegen Gentrifizierung: die Genossenschaft Kalkbreite in Zürich

(Foto: V. Schopp/Genossenschaft Kalkbreite)

Aus Münchner Perspektive ist es vielleicht sogar beruhigend: Nur ein paar hundert Kilometer südlich liegt eine Stadt, in der die Mieten noch viel höher sind. 2600 Euro für eine familientaugliche Wohnung mit etwa 140 Quadratmetern in einigermaßen guter Lage - das ist in Zürich ein absurd preiswertes Mietverhältnis. So absurd, dass die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) ihm Ende April einen ganzen Artikel widmete. Unter der Überschrift "Bescheiden leben mit Familie Bassand" nahm das Blatt die Wohnung einer sozialdemokratischen Politikerin unter die Lupe. Diese spreche zwar gern von Bescheidenheit und Verzicht, residiere gleichzeitig aber in der Genossenschaft Kalkbreite in einem ziemlich großen, ziemlich günstigen und ziemlich subventionierten Neubau.

Die erst 2014 bezogene Kalkbreite ist in Zürich als "Trutzburg gegen die Gentrifizierung" bekannt. Ein genossenschaftliches Wohnprojekt, in dem Ökologie und Gemeinschaft großgeschrieben werden - und das immer mal wieder als Beispiel für grüne "Monokultur" und linken Filz kritisiert wird. In jedem Fall: Françoise Bassand war empört. Es seien 126,7 Quadratmeter, die die vierköpfige Familie bewohne, ließ die Politikerin auf ihrem Blog, in der NZZ und vor dem Presserat wissen. Und die Miete betrage nicht 2540 Euro, sondern sogar 2790 Euro plus Nebenkosten.

Bemerkenswert ist daran eigentlich vor allem eines: Auf dem Zürcher Mietmarkt haben die Bassands damit immer noch ein Schnäppchen ergattert. Dass Familien und Geringverdiener in der Stadt keinen Platz haben, ist für die meisten längst selbstverständlich geworden. Schon 2011 sagte ein Immobilienberater dem linksliberalen Tages-Anzeiger, es gebe "kein Menschenrecht, ein Leben lang die gleiche Wohnung zum gleichen Preis mieten zu können". Wer sich Zürich nicht mehr leisten könne, solle eben in den Vorort Oerlikon ziehen.

Als Bonus hatte der Immobilienberater noch einen Tipp für alle, die nicht aus ihrer Wohnung geschmissen werden möchten: "Wenn man das nicht will, dann muss man kaufen."

Charlotte Theile

Der Konflikt eskaliert: Marina Garden in Dresden

Deutschland Sachsen Dresden Streit um Marina Garden am Elberadweg 07 05 2015 Im Streit um die B

Mehr als eine Trümmerlandschaft blieb von Dresdens heiligem Highway nicht übrig, als Architektin Regine Töberich mit den Baggern anrückte.

(Foto: imago)

Auf die Baupolitik der DDR-Führung konnte sich die Bevölkerung nur ironisch einen Reim machen, und zwar folgenden: "Ruinen schaffen ohne Waffen." In Leipzig wäre ausnehmend viel Gründerzeitbestand unwiederbringlich vermodert, hätte die DDR auch nur ein weiteres Jahrzehnt existiert. Und für die Dresdner Neustadt gab es sogar das Ansinnen, sie aktiv zu verunstalten. In den Achtzigerjahren verfasste die Stadtverwaltung den Plan, das Gründerzeitviertel in großen Teilen mit Plattenbauten zuzupflastern.

Dann fiel aber die große Mauer Richtung Westen, und deswegen konnten die vielen kleinen Gemäuer in der Neustadt bewahrt werden. Nach der Wende sammelten sich hier alle, die nicht von jetzt auf gleich den Hebel Richtung BRD umlegen wollten oder konnten - Punks und Rechte, Spinner und Freigeister. Der Geist dieser Mischung weht noch heute durch den Dresdner Norden und hat bislang verhindert, dass die Gentrifizierung des Viertels komplett habhaft wird. Zwar steigen die Mieten, zwar künden neue Läden für zum Beispiel fernöstliche Heilmedizin von neuem Wohlstand. Aber es gibt auch die Punks noch und die Spinner, und es gibt Kreuzungen, die an wohligen Sommerabenden von fröhlichen Menschen mit Bierflaschen besetzt werden, die bereit sind, für ein paar schöne Momente mit dem Begehen einer Ordnungswidrigkeit einzustehen.

Der Kampf zwischen denen, die Gentrifizierung verhindern wollen und denen, die sie - manchmal durchaus mit gutem Willen - betreiben, aber wird härter. Dieser Kampf trägt seit jüngstem den Namen Töberich. Die Investorin Regine Töberich will auf zwei elbnahen Grundstücken auf der Neustädter Seite "Marina Garden" errichten, ein Luxus-Wohnprojekt. Weichen müsste dafür der Verein Freiraum Elbtal, ein Kollektiv für Künstler und Handwerker. Töberich ließ aus Protest gegen den Widerstand gegen ihr Bauprojekt mehr als 50 Meter Elbe-Radweg einfach wegbaggern, wiederum dagegen gab es erneuten Protest und wiederum dagegen dann ein Solidaritäts-Picknick mit der Investorin. Der Ausgang dieses Streits im Kleinen ist ungewiss, gerade deswegen steht er pars pro toto für die Entwicklung der Dresdner Neustadt in den kommenden Jahren.

Cornelius Pollmer

Mit Klasse gegen Masse: Die Altstadt von Barcelona

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Die Promenada La Rambla im Zentrum von Barcelona

(Foto: imago/Hoch Zwei Stock/Angerer)

Die katalanische Metropole ist das Reiseziel Nummer eins der jungen Leute unter 30 aus allen Ecken und Enden der Welt. Die "größte Disco-Szene", das "größte Kneipenviertel", das "intensivste Nachtleben", so steht es in den Reiseführern. Für einen Großteil der Einwohner der Innenstadt aber bedeutet dies: Lärm rund um die Uhr, steigende Preise für Mieten, Dienstleistungen, Lebensmittel, gleichzeitig große Instabilität bei den Preisen für Wohnimmobilien. Im vergangenen Jahr gab es die erste Demonstration mit mehreren tausend Teilnehmern gegen die Touristenflut. Die Wirtschaftsverbände der Stadt haben allerdings nichts gegen die Besucher-Massen.

Die Stadtplaner müssen nun die unterschiedlichen Interessen ausgleichen. Dabei wird auch ein Konzept diskutiert, das die Behörden im anderen großen spanischen Touristenzentrum Mallorca in Angriff nehmen wollen: die Masse durch Klasse ersetzen. Weniger Touristen, dafür wohlhabendere, die mehr Geld pro Kopf ausgeben. Dazu gehört die gezielte Sanierung von Stadtvierteln, in denen teure Restaurants, Hotels, Boutiquen die Kundschaft anlocken sollen. Doch dies liegt nur im Interesse eines Teils der Einwohner, die weniger Betuchten können sich Renovierung und höhere Mieten nicht leisten.

Entsprechend konzentrieren sich die Protestbewegungen, die seit dem Ausbruch der großen Wirtschaftskrise 2008 entstanden sind, auf die Verteidigung des Status Quo. Doch eine Schlacht nach der anderen geht verloren. Denn immer mehr Viertel Barcelonas erleben dank der gezielten Förderung der Stadt eine Aufwertung.

Die Nachbarschaftsvereine, die traditionell in der Stadt eine wichtige Rolle spielen, verfolgen dabei keine einheitliche Linie. Unter ihnen gibt es eine Strömung, die die Viertel auch um den Preis sanieren will, dass ein Teil der alteingesessenen Einwohner verdrängt wird. Denn die Vertreter dieser Richtung versprechen sich davon einen zumindest lokal begrenzten Rückgang des lärmenden Massentourismus. Ganz zweifellos haben sie derzeit die Oberhand. Und die Tendenz wird noch zunehmen, denn Spanien hat die Rezession überwunden, es wird auch in Barcelona an allen Ecken und Enden saniert und renoviert.

Thomas Urban

Apartments statt Beisln: Grinzing im 19. Wiener Bezirk

Gentrifizierung weltweit: Grinzing: Immer weniger Heurige, immer mehr Apartmenthäuser

Grinzing: Immer weniger Heurige, immer mehr Apartmenthäuser

(Foto: imago stock&people)

Schon jetzt ist Wien die zweitgrößte deutschsprachige Stadt, nur Berlin hat noch mehr Einwohner. In 20 Jahren dürfte die Zwei-Millionen-Grenze überschritten sein. Durch die vielen Zuzügler entsteht ein riesiger Druck auf dem Wohnungsmarkt, den die Stadt, nach wie vor eine der aktivsten Bauherrinnen in der Metropole, auch mit den ganzen neuen Stadtteilen wie der "Seestadt Aspern" nicht lindern kann.

Die Stadtverwaltung behauptet zwar, es gebe in Wien keine Gentrifizierung, aber die Entwicklung in zahlreichen "Grätzeln", wie die Wiener ihre Stadtbezirke nennen, spricht eine andere Sprache. Immobilien-Spekulanten haben daher nicht nur die lange Zeit preiswerten Wohnviertel östlich der Donau entdeckt. Auch Grinzing, mit seinen Heurigen einer der größten Anziehungspunkte für Touristen, ist im Visier. Immer mehr Weinlokale sperren zu, weil Wohnungsmieten mehr bringen als Kneipen, statt der Traditionslokale entstehen Apartmenthäuser.

Die Grundstückspreise sind gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich mehr als sechs Prozent gestiegen, die für Eigentumswohnungen um fast zehn Prozent. Und Grinzing gehört zum 19. Bezirk, dem teuersten Wiens. Die Wiener halten sich zugute, dass ihre Stadt alljährlich für ihre hohe Lebensqualität ausgezeichnet wird, wozu - vorerst noch - bezahlbare Mieten gehören. Das aber ändert sich leider sehr schnell.

Cathrin Kahlweit

Ort der Extreme: Das Theaterviertel in Moskau

Gentrifizierung weltweit: Funktioniert nach ihren eigenen Gesetzen: Blick über die russische Hauptstadt Moskau

Funktioniert nach ihren eigenen Gesetzen: Blick über die russische Hauptstadt Moskau

(Foto: imago stock&people)

Ein paar Schritte in einen Hinterhof im Moskauer Theaterviertel genügen, um einen Eindruck davon zu bekommen, dass die russische Hauptstadt sich nach eigenen Gesetzen entwickelt. Im Zentrum, zehn Gehminuten vom berühmten Bolschoi-Theater entfernt und 15 Minuten vom Kreml, bröckelt das Mauerwerk, führen Treppenhäuser, die nur von nackten Glühbirnen beleuchtet werden, zu Wohnungen, in denen alte Menschen hinter zugigen Fenstern leben - für wenig Geld. Derweil wurden die zur Straße gewandten Vorderhäuser aufwendig renoviert, sie sind begehrt bei Nobelmarken und teuren Restaurants. Es ist diese Gleichzeitigkeit der Extreme, die westliche Besucher irritiert. Sie sind es gewohnt, dass die Gegensätze nach Stadtvierteln verteilt sind, und bekommen oft gar nichts davon mit, weil sie die armen Gegenden nie betreten. In Moskau ist alles an einem Platz und das hat Gründe, die keineswegs in einer besonders sozialen Politik liegen.

Die überwiegende Mehrheit der Russen lebt nicht zur Miete, sondern in der eigenen Wohnung. In der Sowjetunion erwarben Angestellte nach einer gewissen Zeit im Betrieb das Recht auf eine Wohnung. Diese Wohnungen wurden nach der Wende privatisiert. Den Besitzern gehören sie aber nur bis zur Wohnungstüre. Mietergemeinschaften gibt es nicht. Für Dächer, Treppenhäuser, Fenster, Fassaden ist die Kommune zuständig - und die hat natürlich nicht genug Geld, um Millionen Häuser instand zu halten.

Etwa 85 000 Familien wohnen heute noch in sogenannten Kommunalwohnungen. Großzügige Stadtwohnungen wurden nach der Oktoberrevolution aufgeteilt und an mehrere Familien vergeben, die sich Küche und Bad teilten. Wegen der andauernden Wohnungsnot in der Sowjetunion und danach wurden viele dieser Wohngemeinschaften bis heute nicht aufgelöst.

Die Bedingungen für klassische Gentrifizierung sind also schlecht: Die Stadt müsste allen Bewohnern einer Kommunalwohnung neue Wohnungen zur Verfügung stellen, damit sie ausziehen. Für eine Luxussanierung müssten alle Wohnungsbesitzer dazu bewegt werden, ihre Wohnungen gegen solche in Schlafregionen am Stadtrand zu tauschen. Bei besonders attraktiven Objekten helfen Investoren bisweilen mit Gewalt nach; besorgen sich durch Bestechung von Richtern falsche Eigentumsurkunden und lassen die Bewohner von Schlägertrupps vertreiben.

Julian Hans

Veranstaltungshinweis:
SZ-Forum

Das Thema Gentrifizierung bewegt die Münchner wie kaum ein anderes. Am 24. Juni 2015 lädt die Süddeutsche Zeitung zu einem SZ-Forum unter dem Titel "Unbezahlbar schön. Und wo bleiben die Münchner?" ein. Bei der Podiumsdiskussion soll es um explodierende Mieten, die Macht der Investoren und die Rolle der Politik gehen - um Ängste der Münchner, aber auch um Ideen, die Mut machen.

Wer diskutiert? Matthias Lilienthal, designierter Intendant der Münchner Kammerspiele; Elisabeth Merk, Stadtbaurätin; Josef Schmid (CSU), Bürgermeister Stadt München; Jürgen Schorn, Gesellschafter Bauwerk Capital; Christian Stupka, Vorstand Wogeno und Gima; Moderation: Tom Soyer und Thomas Kronewiter, Süddeutsche Zeitung

Wann und wo? 24. Juni 2015, 19 Uhr im Freiheiz, Rainer-Werner-Fassbinder-Platz 1, München. Der Eintritt ist frei.

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