Gentrifizierung in Deutschland:Wohnst du noch oder residierst du schon?

In deutschen Städten machen sich immer mehr Premium-Immobilien breit. Wo früher soziale Durchmischung herrschte, wird heute luxussaniert. Die neuen Wohlstandsparzellen wollen vom angrenzenden Kiez profitieren. Doch was geben sie ihm zurück?

Alex Rühle

Als 1998 in Potsdam die sogenannte "Arcadia"-Anlage eröffnet wurde, gab es große Aufregung: ein schmiedeeiserner Zaun! Videokameras! Bombastische Architektur! Und dann noch uniformierte Doormen, die den Villenkomplex an der Havel rund um die Uhr bewachen. Deutschlands erste Gated Community, gebaut ausgerechnet von einem amerikanischen Architekten, jetzt geht es also auch bei uns los mit den abgeschotteten Parallelgesellschaften und Reichenghettos.

Gentrifizierung in Deutschland: Herrschaftliches zählt: In München gaben die "Lenbachgärten" diesen Ton vor, verkaufte Frankonia das ganze Ensemble doch seinerzeit mit dem Slogan: "Wohnen wie die Könige".

Herrschaftliches zählt: In München gaben die "Lenbachgärten" diesen Ton vor, verkaufte Frankonia das ganze Ensemble doch seinerzeit mit dem Slogan: "Wohnen wie die Könige".

(Foto: Robert Haas)

Dann aber ließ sich der Verkauf der 43 Wohnungen äußerst schleppend an. Verschiedene Gründe wurden damals für diesen Fehlstart ins Feld geführt: Potsdam gelte noch nicht als seriöser Hotspot, sondern sei irgendwie immer noch Ex-DDR. Andere sagten, es liege am Überangebot an Wohnraum in Berlin oder daran, dass die einzelnen Wohnungen in den acht Stadtvillen der Anlage schlicht zu teuer seien.

Mag ja sein - aber vielleicht gibt es noch eine andere Erklärung. Vielleicht hatte das Bauunternehmen Groth und Graalfs einfach noch nicht den Bogen raus, wie man abgeschottetes Wohnen in Deutschland wirklich verkaufen muss.

Tief verwurzeltes Durchmischungsideal

Die Sicherheit der Anlage wurde dermaßen penetrant betont, dass das Ganze aus der Ferne mehr nach Hochsicherheitstrakt in Johannesburg oder betreuter Einzelhaft klang denn nach entspanntem Wohlstandswohnen an der Havel. Weshalb es um das Thema Gated Communities nach einigen Fachtexten, die um die Jahrtausendwende erschienen sind, wieder still wurde. Hat schließlich nicht wirklich geklappt in Potsdam, also gibt es so etwas hierzulande auch nicht.

Gab es ja auch lange nicht. Deutsche Städte waren, spätestens seit der preußische Stadtplaner James Hobrecht 1868 das Ziel vom "empfehlenswerten Durcheinanderwohnen" aller Schichten ausgab, stets Integrationsmotoren. Natürlich gab es Schlafstädte und Arbeiterviertel, Speckgürtel, Villengegenden und Problemzonen.

Dennoch ist in der Wohnungswirtschaft der Nachkriegszeit das sogenannte Durchmischungsideal zutiefst verwurzelt - und so ziemlich jeder deutsche Kommunalpolitiker hat mal den Satz gesagt von der Stadt, die doch für alle da sein solle. Ergo kamen alle zu dem Schluss: klar, weltweit boomt nichts so wie die streng geschlossenen, homogenen Wohnsiedlungen, in Deutschlands Immobilienbranche aber waltet der Geist der Sozialdemokratie.

Man kann derzeit alles verkaufen, das Wände und ein Dach hat

Wenn man nun aber die Immobilienanzeigen unserer Tage liest, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: Da baut sich was zusammen. Zumindest im sogenannten "Premium-Segment", wie die gehobenen Immobilien in der Bauherrensprache heißen. Nein, das bedeutet immer noch nicht, dass hierzulande allerorten Gated Communities entstehen. Aber es ist sehr interessant, was neuerdings stattdessen massiv in den Stadtraum drängt. Und es ist erst recht interessant, wie all diese Objekte beworben werden.

Nun kann man ja momentan ohnehin alles verkaufen, was aus Mauern ist und ein Dach hat. Dank der Finanzkrise herrscht in der Baubranche Goldgräberstimmung wie nie zuvor. Was heute ausgeschrieben wird, ist morgen weg. Jürgen Schorn, Geschäftsführer von Bauwerk Capital, sagte im April auf der Münchner Immobilienmesse über das Interesse an einem seiner Häuser: "Der Markt hat das Objekt mit großem Genuss aufgenommen." Auf besagter Messe, die in diesem Jahr einem Champagnerempfang glich, so ausgelassen war die Stimmung, schwärmte eine Mitarbeiterin der Zeitschrift Bellevue, Spanien sei "ja leider überhaupt nicht mehr brauchbar, aber Deutschland - der Wahnsinn, was da abgeht!"

Immobilien werden in anderen Sphären gebaut

Allein auf Münchens Immobilienmarkt wurden 2011 fast zehn Milliarden Euro Umsatz gemacht. Die Firma Bauwerk Capital ließ verlauten: "Wir können die Nachfrage nach Top-Objekten kaum befriedigen. Zudem können wir bestätigen, dass die Käufer immer anspruchsvoller werden, und das entspricht genau unserem Immobilienangebot."

Luxuswohnanlage "Lenbach Gärten" in München, 2012

Dank der Finanzkrise herrscht in der Baubranche Goldgräberstimmung wie nie zuvor. Was heute ausgeschrieben wird, ist morgen weg

(Foto: Robert Haas)

Die Topobjekte also. Wie werden die heute beworben? Was versprechen die Vertreiber solcher Immobilien ihren immer anspruchsvolleren Käufern? Und vorab: Wie hat man sich so etwas überhaupt vorzustellen? Als Laie meint man ja gern, eine Immobilie, das sei halt was zum drin Wohnen. Ein Haus. Oder eine Wohnung. Aber wer heute noch so denkt, hat schon mal gar nichts verstanden. Immobilien werden mittlerweile anscheinend in ganz anderen Sphären gebaut.

Die Münchner Firma Euroboden etwa "definiert den Wert einer Immobilie weit über ihre Lage hinaus: Durch die bedachtvolle Gestaltung der vier Dimensionen Ort, Raum, Geist und Zeit entstehen einzigartige ideelle wie auch finanzielle Werte." Und die Autoren von "Jahn 34" - zugegeben einem eher bescheidenen Objekt - erklären: "Wahre Architektur beginnt dort, wo Mauern und Steine enden." Sind das dann Luft-Schlösser?

Wohnen wie zu Kaisers Zeiten

Okay, wie also werden Raum, Ort und der ganze vierdimensionale Zeit-Geist-Rest präsentiert, verkauft, beworben? Welche Sehnsüchte werden in diesen Texten bedient? Und welches gesellschaftliche Selbstverständnis der potenziellen Klientel spricht daraus?

Fangen wir in Berlin an. Das Ensemble der Kronprinzengärten, eine Parzelle, auf der zwölf luxuriöse Häuser entstehen, liegt zwischen Schlossplatz und Brandenburger Tor, also mitten drin in Deutschlands größter Stadt im 21. Jahrhundert. Was aber steht im Präsentationsvideo vor dem Haus, auf der menschenleeren Straße? Eine Pferdedroschke. Ein Einspänner aus dem 19. Jahrhundert, mit braunem Gaul davor.

Überraschend viele Premium-Immobilien knüpfen in ihren Präsentationen an längst vergangene Zeiten an, Wilhelminismus, Weimarer Klassik, bayerische Könige. Namen wie Aurelienbögen, Lessing Drei, Barbarossapark oder Klostergärten machen gleich klar: Wir stellen unser Haus tief in die Geschichte, wenn nicht gar mitten in den Humanismus hinein. Wobei - "Haus" heißt so was ja nie, die Objekte werden grundsätzlich als X-Palais, Y-Hof oder Z-Terrasse beworben.

Zurück zur Natur

In München gaben die "Lenbachgärten" diesen hochherrschaftlichen Ton vor, verkaufte Frankonia das ganze Ensemble doch seinerzeit mit dem Slogan: "Wohnen wie die Könige".

Apropos Lenbachgärten: Auffallend viele Projektnamen spielen mit der Sehnsucht nach der Natur: Die Hamburger Sophienterrassen, der Stuttgarter Rosenpark, die Isar- und die Nikolaigärten. Meist werden Ruhe und Frieden angepriesen, gerne auch in aristokratisch anmutenden Varianten wie Entschleunigung, Muße, Wohlergehen. Öffnet man die Homepage des "Marthahofs" - der mitten im Prenzlauerberg steht -, tönt einem Vogelgezwitscher entgegen. Stets werden dazu Bilder von sorgfältig abgeschirmten Innenhöfen gereicht.

Mixed Zone aus pulsierender Metropole und Vorortidyll

Isar Stadtpalais in München, 2010

Laut Immobilienlyrik sind wohnen finden sich in dern Vierteln nur Künstler, Professoren oder Bohèmiens. Überall scheinen Poeten und Maler herumzusitzen, denen alle wirtschaftlichen Zwänge fremd sind.

(Foto: Catherina Hess)

Die Stadt ist in diesen Anzeigen immer eine Mixed Zone aus pulsierender Metropole und Vorortidyll, schließlich verdankt sich die Renaissance der Innenstädte großteils der anspruchsvollen Generation der 40- bis 60-Jährigen aus den Suburbs, die nun beides auf einmal wollen, Doppelhausidyll und Metropolenloft. Darum muss in den Werbetexten auch alles zugleich aufregend urban und heimelig abgeschieden sein.

Die Berliner Firma CarLoft beschreibt ihr Objekt in den Paul-Lincke Höfen so: "Ein weiteres Highlight sind die Etagengärten. Wohnen Sie einzigartig - mitten in der Stadt, aber mit allen Vorteilen eines großzügigen Einfamilienhauses im Grünen." Zukunftsweisend in dieser Hinsicht ist die Firma Bauwerk Capital, bekommt sie doch die großzügigste Landbesitzergestik hin: "Der Englische Garten ist ein angenehmer Ort. Als Vorgarten allemal."

Die städtische Umgebung wird ebenfalls stets als eine Art erweiterter Vorgarten oder Erlebnispark verkauft, die jeweiligen Viertel gleichen eher edel drapierten Markenprodukten zum Privatgebrauch als wirklichem Stadtgewimmel. Sankt Pauli? Bunt, frech, wild. Berlin Mitte? Zentrum der Macht plus Galerie-Hotspot inkl. herrlich verrückter Typen. Schwabing? Im wahren Leben ein Stadtteil, in dem etwas mehr als 100.000 Menschen leben.

"Jeder Straßenzug eine Welt für sich, jeder Platz ein eigenes Reich"

Laut Immobilienlyrik sind die aber allesamt Künstler, Professoren oder Bohèmiens, die eine Spielzeugstadt bewohnen. Überall scheinen Poeten und Maler herumzusitzen, denen alle wirtschaftlichen Zwänge fremd sind. "Jeder Straßenzug eine Welt für sich, jeder Platz ein eigenes Reich, jede Ecke ein Lieblingsplatz." (Schwabing Vogue) Innerhalb Schwabings werden dann noch mal eigene Kreativitäts-Hotspots entdeckt: "In München findet sich die gewachsene Mixtur aus Bourgeoisie und Bohème in der Maxvorstadt" (Augustenhöfe).

In Wahrheit ist diese vermeintlich so homogen gewachsene Mixtur natürlich selbst Folge eines Prozesses, der in den siebziger Jahren durch die Preissteigerung begann: Gerhard Polt, der in der Amalienstraße aufgewachsen ist, hat exakt über das von den Erbauern der Augustenhöfe beworbene Viertel schon 1975 ein Hörspiel gemacht, "Als wenn man ein Dachs wär in seinem Bau", in dem es um den harschen demografischen Umbau der Maxvorstadt geht und in dem sie alle zu Wort kommen, die Entmieteten und die feisten Neuankömmlinge, die Rentner und Handwerker, die wegziehen müssen, und dieser Bauherr: "Es gibt halt Menschen, das ist meine zutiefste Überzeugung, die muss man sich leisten können, die Alten, die jetzt schauen können, wo sie bleiben, weil sie einfach nicht mehr ins Viertel passen."

Werbung mit Menschen, die sich das Viertel nicht mehr leisten können

Heute wird das dann als organisch gewachsene Mixtur verkauft. Es erübrigt sich zu sagen, dass die Leute, die genau das Ambiente herstellen, mit dem hier geworben wird, sich das Viertel ab dem Moment nicht mehr leisten können, in dem mit ihnen geworben wird. Sie sind aber anscheinend mittlerweile auch gar nicht mehr vorgesehen in Schwabing: "Die Ludwigsvorstadt - nach Ludwig I. benannt, für Wohlhabende erdacht", heißt es im Text zu "Lessing Drei", einem Haus in der Münchner Lessingstraße.

Ein ganzer Stadtteil, nur für Wohlhabende - in solchen Sätzen kommen dann die stilistischen Unterschiede zu entsprechenden Texten der Neunziger Jahre erstmals richtig zur Geltung: Für das Arcadia-Projekt gingen Groth und Graalfs 1998 noch an den Rand von Potsdam. Heute drückt man sich nicht mehr verschämt in der Peripherie rum, sondern räumt in den Texten gleich ganze Stadtteile für die eigene Klientel frei.

Auch der eigene Wohlstand muss in den Anzeigen nicht mehr versteckt werden, man darf rundum stolz darauf sein. Und man kann diesen Wohlstand auch als Mittel dafür einsetzen, garantiert unter sich zu bleiben. Frankonia bewarb die "Lenbachgärten" mit dem Satz, der Komfort sei auf einem Niveau, "dass nur wenige das Privileg haben, es zu genießen".

In der bürgerlichen Trutzburg

Auch die Sicherheit wird in all den Anzeigen thematisiert, aber längst nicht mehr so amerikanisch plump wie in den Anfängen des abgeschirmten Wohnens. Vielmehr wird der Aspekt meist so sanft wie selbstverständlich eingebettet ins allgemeine Luxusambiente. Die Leipziger Central Park Residence verspricht: "Damit Sie sorglos in Ihren wohlverdienten Urlaub reisen können, bietet Ihnen unser Sicherheitssystem einen Rundumschutz Ihrer Residence."

Sehr viel origineller verhandeln die Münchner Augustenhöfe das Thema, deuten sie doch den Begriff des Bürgers radikal um: "Der Ursprung des Wortes Bürger verrät es. Im Schutz der Burg fanden die Menschen in früheren Zeiten Geborgenheit. Diesem Bedürfnis nach Sicherheit genügen die Augustenhöfe selbstverständlich. So erhalten nur gebetene Gäste Zutritt - denn sie müssen den Concierge im großzügigen Eingang passieren." Im Schutz der Burg. Das evoziert finsterstes Mittelalter, Raubritter, rechtsfreie Räume, marodierende Banden.

Leben im Szene-Viertel, wohnen in der Trutzburg

Die Augustenhöfe stehen in München, einer der sichersten und wohlhabendsten Städte Europas. Aber wer kann solche Sicherheit seinen Bürgern noch auf Dauer garantieren in Zeiten wie diesen? Das Kreuzberger "Car-Loft" wurde gar mit Sätzen beworben, dass man meinen könnte, das Anwesen stünde in einem Bürgerkriegsgebiet oder beherberge ausnahmslos Personen, die unter Polizeischutz stehen: "Angst vor Übergriffen ist für Sie Vergangenheit. Gefährdete Personen kommen direkt und ohne auszusteigen sicher in ihr Loft."

Interessant an diesen beiden Beispielen ist ja, dass gleichzeitig auch wieder die Attraktivität des umliegenden Kiezes besungen wird, ganz Kreuzberg ein Lifestyle-Erlebnispark, ach und Schwabing, die schönste Outdoortapete Deutschlands. Das eigene Haus aber soll Trutzburg sein. Der Tübinger Baubürgermeister Cord Soehlke brachte dieses recht einseitige Verhältnis zwischen derartigen Wohlstandsparzellen und den sie umgebenden Vierteln auf den Punkt: "Solche Projekte profitieren von dem sie umgebenden Kiez, aber sie geben der Stadt nichts zurück."

Niemand soll von Gated Communities sprechen

Sehr viel dezentere Sicherheitssignale setzt das Münchner Areal "The Seven": Hier ist von "geschützter, nachbarschaftlicher Gemeinschaft" die Rede, von "sanfter Abgrenzung" durch "wunderschöne Magnolienbäume", und der Doorman scheint eher als zarter Seelentröster seines Amtes zu walten: "Geborgenheit entsteht auch aus dem Wissen, nicht allein zu sein. Das Foyer des Seven ist daher mit einem Concierge besetzt, der freundlich und aufmerksam über Ihre Privatsphäre wacht."

Diese Sprache schmiegt sich gewissermaßen an die dezente Abschirmungsarchitektur, mit der solcherlei Objekte aufwarten, all die Bäche, Hecken, Schwellen, Zäunchen, die das gesamte Anwesen effektiv abgrenzen, pardon: die es sanft und geschmeidig umspielen. Es soll ja keiner sagen, wir hätten es in unseren deutschen Städten mit Gated Communities zu tun.

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