DNA-Analyse aus dem Internet:Gentest für alle

DNA-Analyse aus dem Internet: Bestellen, ins Röhrchen spucken, zurückschicken, abwarten – so einfach geht das mit den Gentests per Klick.

Bestellen, ins Röhrchen spucken, zurückschicken, abwarten – so einfach geht das mit den Gentests per Klick.

(Foto: mauritius images)

Für weniger als 100 Euro kann sich jeder, der das möchte, eine DNA-Analyse im Internet bestellen. Die Firmen versprechen Aufklärung über Vorfahren, Krankheitsrisiken oder sogar über das Fußball-Gen. Nicht wahr, oder?

Von Beate Wild

Vor kurzem ist für Eve Wiley ihre Welt zusammengebrochen. Die 32-jährige Texanerin wusste zwar, dass sie mit Hilfe künstlicher Befruchtung gezeugt worden war. Doch nun musste sie erfahren, dass der Samen nicht wie geglaubt von einem Schriftsteller aus Los Angeles stammte, sondern von einem Mann namens Dr. Kim McMorries: der Fruchtbarkeitsspezialist, der ihre Mutter ärztlich betreute.

"Absolut verheerend" habe sich diese Erkenntnis auf ihr Leben ausgewirkt, erzählte Wiley der New York Times. Mit dem Mann, den sie für ihren biologischen Vater gehalten hatte, pflegt sie eine "wundervolle Vater-Tochter-Beziehung", er führte sie sogar bei ihrer Hochzeit zum Altar. Nach dem Geständnis von McMorries fühlen sich beide betrogen.

Ans Licht kam der Schwindel nur, weil Wiley mehr über ihre Ahnen erfahren wollte und deshalb einen DNA-Test im Internet bestellte. Sie ist damit eine von mehr als 26 Millionen Menschen weltweit, die laut Massachusetts Institut of Technology (MIT) bereits einen Gentest für den Hausgebrauch gemacht haben. Drei Viertel der Test-Nutzer sind weiße Amerikaner. Wohlgemerkt: Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat das Verfahren erst im April 2017 freigegeben. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, werden bereits Anfang 2021 mehr als 100 Millionen Menschen ihr Genom ausgewertet und damit in einer Online-Datenbank hinterlegt haben, schätzen die Wissenschaftler.

Die größten Anbieter für die Gentests per Mausklick oder App heißen Ancestry, MyHeritage und 23andMe. Teilweise werben die Firmen damit, genetische Risiken erkennbar zu machen. Vor allem aber machen sie sich die gerade in den USA obsessive Beschäftigung mit der eigenen Herkunft finanziell zunutze: Mancher Bewohner des Einwanderungslands glaubt, aufs Prozent genau zählen zu müssen, wie viel Italiener, Ire oder Engländer in ihm steckt.

Leute finden Dinge heraus, von denen sie keine Ahnung hatten

Mit um die 100 Dollar pro Test sind die Preise zudem inzwischen erschwinglich und geschenktauglich. Nach der Bestellung erhält der Kunde ein Test-Kit mit Röhrchen für Speichelproben ins Haus geschickt. Reinspucken, zurücksenden, das war's. Nach etwa sechs Wochen kommt per Post das Ergebnis - und mit ihm oftmals eine böse Überraschung wie bei Eve Wiley, die plötzlich einen anderen Vater hatte.

Derartige Entdeckungen sind nach DNA-Tests nicht ungewöhnlich. "Wir sehen jeden Tag, dass Leute Dinge herausfinden, von denen sie keine Ahnung hatten", erzählte CeCe Moore der Washington Post. Die Ahnenforscherin betreibt die Facebook-Seite "DNA Detectives", über die sich mehr als 120 000 Mitglieder Antworten auf Fragen zu ihrem Stammbaum erhoffen. Beim Scrollen auf der Seite kann man Geschichte um Geschichte lesen, wie sich Eltern, Kinder, Geschwister oder Cousins nach einem DNA-Test plötzlich finden.

Der Gentest-Trend hat mittlerweile auch Europa erreicht. Auf YouTube führen unzählige junge Deutsche mit oder ohne Migrationshintergrund vor, wie sie ihr Erbgut analysieren lassen. Die Ergebnisse enthüllen sie vor laufender Kamera. Die Reaktionen schwanken zwischen Kreischen und Heulen. Dabei sind die Resultate oft banal, manchmal aber auch schockierend für die Betroffenen - wie bei einer Studentin, die entdeckt, dass sie adoptiert wurde.

Wer in Deutschland als Privatperson seine DNA untersuchen lassen möchte, muss allerdings auf Labors im Ausland ausweichen. Das Gendiagnostik-Gesetz schreibt vor, dass Tests medizinisch relevant und von Ärzten angeordnet sein müssen. An Angeboten mangelt es dennoch nicht. Der US-Anbieter AncestryDNA verlangt für sein Testset 69 Euro, die israelische Firma MyHeritage 59 Euro.

Unseriöse Versprechen

Doch wie sinnvoll sind die Herkunftsangaben, die Anbieter in Prozent beziffern? Wer nun in seinem Ergebnis liest, 5,4 Prozent Italiener, 7,5 Prozent Finne und 15 Prozent Ire zu sein, hat damit keine wirklich sinnvollen Informationen vor sich, sagt Ortrud Steinlein, Direktorin des Instituts für Humangenetik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

"Das Problem bei solchen Tests ist, dass man nicht nachvollziehen kann, welche genetische Marker die Firmen tatsächlich untersuchen, man kann gar keine Qualitätskontrolle durchführen", warnt sie. Und die Angabe "15 Prozent irische Vorfahren" bedeute nicht, dass das Genom dieses Menschen 15 Prozent irisch sei. "Das heißt ja nur, dass es eine 15-prozentige Wahrscheinlichkeit gibt, dass da irische Vorfahren beteiligt sind", sagt Steinlein. Gerade innerhalb Europas hätten viele Völkerwanderungen stattgefunden, so genau könne man gar nicht zwischen genetischen Merkmalen unterscheiden.

Auch vom Versprechen, viele Krankheitsrisiken mittels Gentest-to-go zu entdecken, hält Steinlein nichts. Erkrankungen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt würden durch viele Faktoren ausgelöst. In den Genen könne man dies nicht ablesen.

Die Gen-Start-Ups freilich versprechen noch ganz andere Anwendungen. Sie bieten oft an, Ernährungs- oder Trainingspläne anhand genetischer Profile zu erstellen. Die Journalistin Vanessa Chalmers vom Gesundheitsportal healthista.com machte den Vergleich: Sie habe drei verschiedene DNA-Analysen machen lassen, um die richtige Diät zu finden, doch jeder Test habe ein anderes Resultat hervorgebracht.

60 Prozent der weißen Amerikaner sind schon durch eine Gen-Datenbank auffindbar

Die Firma "Genepartner" verspricht sogar, mittels DNA den richtigen Lebenspartner zu ermitteln. "Völlig unklar, wie das funktionieren soll", sagt Steinlein. Oder "Soccergenomics", die dabei helfen wollen, beim eigenen Nachwuchs ein Fußball-Gen zu entdecken. "Sportlichkeit hängt von mehr Faktoren ab als von den Genen", kommentiert die Expertin. Derartige Tests seien unseriös.

Zuverlässig sind die DNA-Tests eigentlich nur beim Aufspüren von Verwandten. In den USA, wo Millionen Menschen ihre DNA den Datenbanken überlassen haben, werden immer wieder untreue Ehemänner enttarnt, wenn sich Geschwister, die nichts voneinander wussten, zufällig finden. 60 Prozent der weißen Amerikaner sind schon durch eine Gen-Datenbank auffindbar, auch wenn sie selbst noch gar keinen Test gemacht haben, den Gen-Sequenzen der lieben Verwandtschaft sei Dank, berichtet das Science-Magazin. In zwei bis drei Jahren würden sogar 90 Prozent der Amerikaner mit europäischer Abstammung genetisch zu identifizieren sein.

Auch in Deutschland ist der Gen-Test aus dem Netz "vor allem bei der jüngeren Generation total hip", beobachtet Steinlein. Die Humangenetikerin rät allerdings dringend davon ab, aus Datenschutzgründen. "Wenn Sie Ihre DNA in die USA schicken, geben Sie diese Info für immer aus der Hand." Niemand wisse, was damit passiere und in welche Hände sie gerate. Bei der Firma 23andMe etwa gibt der Kunde die Einwilligung, dass seine Informationen weitergegeben werden dürfen. Auch Hackerangriffe auf die Datenbanken der Gentechnik-Firmen lassen sich nicht ausschließen.

Und überhaupt ist fraglich, wie es einen persönlich weiterbringt, über die eigene Herkunft Bescheid zu wissen. Amanda Jones aus Atlanta zum Beispiel weiß durch die Analyse jetzt zwar, wer ihre biologische Mutter ist - aber eine Mutter im soziologischen Sinne hat sie trotzdem nicht gefunden. Als Neugeborenes wurde die heute 36-Jährige in einem Mülleimer gefunden. Durch einen DNA-Test konnte sie ihre Mutter identifizieren. Die beiden hätten telefoniert, berichtet Jones. Eine echte Beziehung zwischen ihnen habe sich allerdings nicht entwickelt.

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