Geburtstage:Jubel, Trubel, Eitelkeit

Geburtstagsfeiern muss man heute unbedingt mit maximalem Aufwand zelebrieren, als Ego-Show, zu der die Gäste brav applaudieren sollen. Darauf einen Jahrgangschampagner!

Von Joachim Käppner

Die Nixen waren leicht geschürzt und in Fischernetzen gefangen, zusammen mit Krebsen, Seepferdchen und einem kleinen Hai. Schaltete man das Licht aus, glühte das maritime Plastikensemble im Dunkeln, sogar in mehreren Farben. Das Ganze schmückte die Wände des Hobbykellers und der Kellerbar, wo die Eltern anlässlich des väterlichen Geburtstags zum Mottoabend "Seefahrt" geladen hatten. Für Kinder war das ungeheuer spannend, es gab alles, was die Küche zu bieten hatte, Käsespießchen mit Trauben, Senfeier, Pfirsichsekt. Dazu spielte das Tonband neueste Schlager, die damals, Anfang der Siebziger, in der Hitparade liefen.

Der treffliche Soziologe Heinz Bude hat diese, von den Fünfzigern bis in die Ära Brandt reichende Art des Kellervergnügens kürzlich in der Zeitschrift für Ideengeschichte untersucht und als Fortsetzung des Luftschutzkellers mit kommunikativen Mitteln interpretiert. Das ist ein kluger Gedanke; allerdings, schaut man heute die leicht vergilbten Super-8-Aufnahmen jener Mottoparty mit Nixen und Netzen an, ist vom Luftkrieg nicht viel zu sehen, höchstens die nicht in jedem Fall etikettekonforme Feierfreude jener, die in ihrer Kindheit den Bomben entronnen waren.

Muss es das Jagdschloss sein, wenn man damit wissentlich einen Teil der Gäste in eine peinliche Situation treibt?

Seinerzeit unterschied man, laut elterlichem Diktum, schlicht Feste, bei denen ordentlich gefeiert wurde, von Langweilerabenden wie bei den gefürchteten Silvestereinladungen jenes benachbarten Richters, der den Gästen dann ausführlichst die Innendekoration des Hauses und seine doofe Sammlung von Militärstichen zeigte. "Es geht halt nichts über einen schönen Stich", sagte der Vater bei einer dieser Gelegenheiten, leider ohne die gewünschte Wirkung zu erzielen und künftig von der Gästeliste gestrichen zu werden.

Einem lieben Freund widerfuhr es kürzlich, dass er zu einem Fünfzigsten am Genfer See geladen wurde. Der Gastgeber hatte es zu Ruhm, Reichtum und Ehre gebracht. Dem Freund, finanziell aufgrund manch widriger Umstände nicht auf Rosen gebettet, schwante noch nichts Böses, als er in seinem altersschwachen Wagen den Ort der Festlichkeiten erreichte, ein Jagdschloss über der Stadt. Feiner Kies knirschte auf der Zufahrt. Der Jubilar hatte für die Gäste eine Reihe eleganter Zimmer gebucht, zwei Nächte mit Seeblick. Das Unglück wollte es, dass der Freund die reich verzierte Einladung nicht präzise genug analysiert hatte. Andernfalls wäre es ihm vielleicht nicht entgangen, dass der Gastgeber die Kosten für das Wochenende in der exklusiven Location, in die er geladen hatte, keineswegs selbst zu tragen gewillt war, vom Abendessen am eigentlichen Geburtstag abgesehen. Der klamme Gast fuhr um viele Hundert Euro ärmer heim. (Die näheren Umstände der Party wurden hier und in den anderen Beispielen im Interesse aller Beteiligten verfremdet.)

Nun darf und sollte man natürlich niemals erwarten, auch von wohlhabenden Freunden nicht, dass sie ihren Gästen ein Wochenende im Jagdschloss bezahlen. Die Frage ist eher: Warum muss es das Jagdschloss sein? Wenn man doch wissen könnte, dass die Einladung einen Teil der Geladenen in eine peinliche Situation treibt? Die einen zahlen zähneknirschend. Die anderen suchen tief im Tal eine Bleibe, die sie ohne Gefahr der Privatinsolvenz halbwegs finanzieren können, müssen sich aber am Abend wieder davonmachen, die Schmuddelkinder auf dem Weg hinunter.

LONDON: Queen Elizabeth II

Queen Elizabeth II. bei ihrem 80. Geburtstag vor zehn Jahren. Am kommenden Donnerstag begeht sie ihren 90. Nicht nur die Briten werden aus dem Häuschen sein.

(Foto: Anwar Hussein/Collect/SIPA)

"Jede Party ist der Ausdruck ihrer Epoche", hat Heinz Bude im erwähnten Aufsatz gefolgert. Der Gastgeber vom Genfer See lädt in eine Bergresidenz wie weiland König Ludwig II. von Bayern in das Königshaus am Schachen im Gebirge, 1866 Meter hoch gelegen. Heute ist der Kapitalismus König, und so wird auch gern gefeiert. Mit dem feinen Unterschied freilich, dass Ludwig II. respektive die klamme Staatskasse für die Kosten der Gäste aufkam, die Zeit und Mühe aufgebracht hatten, zu ihm ins Gebirge zu steigen.

Queen Elizabeth II., die am 21. April Geburtstag hat und traditionell im Juni feiert, handhabt es auf ihre Weise: Unter anderem werden nun zu ihrem 90. auf der Prachtstraße The Mall in London Tausende geladene Gäste erwartet, lange Tische sind eingedeckt, freilich nur für ein Picknick - "hamper style" nennt das der Buckingham-Palast. Ist es in diesem Fall die Sorge, andernfalls der Vergeudung kostbaren Steuergeldes bezichtigt zu werden, so halten es viele Gastgeber anders herum: Sie laden zu einer aufwendigen sozialen Leistungsschau ihrer selbst und erwarten wie selbstverständlich, dass die Gäste jede Menge Zeit, Mühe und Geld dafür aufbringen, als ginge es um eine Hochzeit und nicht um einen der ewigen runden und halbrunden Geburtstage.

Der Epochengedanke hat etwas Faszinierendes. Der Schriftsteller Jean Paul (1763 - 1825) notierte: "In nichts offenbart sich die herzlose Maschinenhaftigkeit der Neuern mehr als in der Dürre ihrer Feste." Jean Paul, von der Romantik beeinflusst, mochte wohl die neue Nüchternheit seiner Ära nicht. Heute geht der Trend mancherorts hin, aber gewiss nicht in Richtung Dürre.

Was sagt es also über unsere Zeit, wenn ein sportlicher 49-Jähriger seinen Fünfzigsten in Zelten auf einem Berggipfel feiern will? Nach mehrstündiger Kraxelpartie versteht sich. Für jene Gäste, die ihre Freizeit nicht mit gekalkten Händen beim Freeclimbing an der Höllenschlundwand verbringen, ist diese Einladung ungefähr so attraktiv, als hätte ein Römer zum Geburtstag seine Freunde eingeladen, doch bei Cannae an der nächsten Schlacht gegen Hannibal mitzufechten. Immerhin hätte dies eines der Kriterien der zeitgemäßen Geburtstagsparty erfüllt: Es wäre ein Event gewesen. Wer das durch seine eigene Geburtstagsfeier zuwege bringen will, hat etwas darzustellen, vorzugsweise sich selbst.

Deshalb gibt es so viele Event-Agenturen und Partymanagement-Anbieter und Incentive-Veranstaltungen für Mitmenschen, die von ihren Gästen wahres Commitment erwarten. Ein Süddeutscher, der es im Exportbusiness zu beträchtlichem Geld gebracht hatte, sammelte zu seinem fünfzigsten Geburtstag all die lieben Freunde aus Jugend und Studium um sich; leider nicht daheim, sondern an Siziliens Nordküste, wo er eine einwöchige Reise zu ausgewählten kulinarischen und kulturellen Höhepunkten organisiert hatte. Auf Sizilien war seine Wahl gefallen, weil die Insel für eine gewisse Zeit Schauplatz seines von Erfolg und Aufstieg geprägten Lebens gewesen war.

Wie Teilnehmer berichten, ist das Abendessen am eigentlichen Geburtstag, in einer Trattoria hoch über dem Meer, auch vom Feinsten gewesen, Mondlicht, Kerzenschein, Grappa, wunderbar. Dazu lud der Jubilar ein. Alles andere mussten die Gäste selber bezahlen: Flug, Mietwagen, die exklusiven Nachtquartiere und Dinners, die er ausgesucht hatte, samt dem Hinweis, bitte angemessene Kleidung nicht zu vergessen.

So fuhr denn eine seltsame Prozession der Gezwungenen von Palermo über Cefalù bis zum Ätna, die Teilnehmer waren jeweils mit einem vierstelligen Eurobetrag dabei. Den beiden, die unter Hinweis auf Betreuungsprobleme und akuten Geldmangel der Einladung nicht gefolgt waren, verzieh der Einladende kaum. Wenn ihnen mein Fünfzigster das nicht wert ist, sagte er bitter. Kinder waren übrigens nicht erwünscht, denn sie quengeln bekanntlich, wenn sie den halben Tag im Auto sitzen, statt Muscheln zu sammeln am Strand, und nerven beim Abendessen, wenn man ihren Eltern gerade erzählen will, wie man es im Job diesem Tyrannosaurier von Chef mal so richtig gezeigt hat.

Ein Anbieter für Junggesellenabschiede

"Wenn euer Motto Klotzen statt Kleckern lautet, dann schaut euch bei den VIP-Events um. Bucht eine VIP-Area, mietet eine Deluxe-Limousine, fühlt euch beim VIP-Casino-Event wie Daniel Craig in ,Casino Royale'."

Nicht, dass Kindergeburtstage heute frei davon wären, eine Bühne bilden zu müssen für die Ego-Inszenierung der Eltern. Wer heute noch einen Kindergeburtstag ausrichtet mit Schnitzeljagd und Toben im Park, Picknick mit Würstchen und Kartoffelsalat und einem kleinen Geschenk für jedes Kind oder einfach Topfschlagparty oder Kino, gerät in gewissen Bürgerkreisen bereits unter Asozialitätsverdacht. Unter einem Eventtag im Legoland oder zumindest einer kulturgeschichtlichen Schnitzeljagd mit Hightech-Equipment und einem hauptamtlichen Teamleiter durch die Münchner Innenstadt geht aus deren Sicht gar nichts - und Würstchen? Sind die überhaupt bio? Und wenn die Eltern der Gemeinde der Veganer oder Fruktarier angehören, dann gute Nacht, Freunde.

Es muss schon ein Schloss sein oder irgendwas Extremes, gern Fernes, Exotisches, vielleicht die Event-Cooking-Lounge im Szeneviertel, zum Thementag mongolische Stutenmilch oder Pfeilgiftfroschrezepte der Amazonas-Ureinwohner. Ein älteres Ehepaar, sonst entschieden kleinbürgerlich gesinnt, lud zu seinem Siebzigsten in das Schloss der Stadt, in den größten Saal. Zum Grauen der meist älteren Gäste erschien eine Bauchtänzerin, welche die betagten Herren dann auf eine Bühne zwang. Wer solche Freunde hat wie den Gastgeber, der braucht keine Feinde mehr.

Der Freiherr von Knigge hat einen klugen Satz geschrieben: "Jeder Mensch gilt in dieser Welt nur so viel, als wozu er sich selbst macht." Gemeint war natürlich, dass man Grund zum Stolz nur auf jene Leistungen besitze, die man auch erbracht hat. Die Eventfeste des Ego-Zeitalters sind das Gegenteil: Man zeigt, wer man ist, und öfter noch, wer man gern wäre: ein Lebemann mit Stil, dem unzumutbar ist, einfach zu einer Gartenparty einzuladen. Beim weisen Knigge freilich heißt es: "Alles Ueberspannte taugt nicht, dauert nicht; Ruhige, stille Hochachtung ist mehr werth. Man verlange daher nicht von Jedem den nemlichen Grad von äussern Freundschaftsbezeugungen, sondern beurtheile seine Freunde nach der fortgesetzten, immer gleichen Zuneigung und treuen Ergebenheit."

Auch Kindergeburtstage sind längst professionell organisierte Events, mit Hightech-Equipment und Teamleitern

Und der Gast hat meist ein feines Gespür dafür, ob die Einladung ihm selbst gilt oder doch eher dem prahlerischen Zwecke des Gastgebers dient. Man kann da die interessantesten Erfahrungen machen. Als recht durchsichtig erwies sich der Celloabend, zu dem ein entfernter Bekannter lud; es gab ein paar Häppchen, einige Menschen spielten auf der Bühne und stellten sich als Mitglieder der Combo vor, die der Gastgeber anführte. Er ging dann bald dazu über, die neuesten CDs des Ensembles herumzureichen und auf den Verkaufsstand hinzuweisen, den er am Eingang errichtet hatte. Allein die Höflichkeit gebot es, von der sofortigen Flucht Abstand zu nehmen.

Es gibt inzwischen zahlreiche Untergattungen des Ego-Festes, zum Beispiel den Junggesellen-, inzwischen auch den Junggesellinnenabend, bei dem es nicht mehr reicht, wie sintemalen mit dem zu vermählenden Freunde beim Zechbecherwirt die Krüge kreisen zu lassen. Unter dem unheilvollen Einfluss der Hangover-Komödien (Junggesellen rocken Las Vegas, bis morgens ein Tiger im Badezimmer hockt und sie sich an nichts erinnern können, am wenigsten, wie er dort hinkam) sind Stripper-Events und Wochenenden in Hochpreis-Locations der neueste Schrei. Ein Anbieter wirbt für seine Event-Packages: "Wenn euer Motto Klotzen statt Kleckern lautet, dann schaut euch bei den VIP- Events um. Bucht eine VIP-Area, mietet eine Deluxe-Limousine, fühlt euch beim VIP -Casino-Event wie Daniel Craig in ,Casino Royale'".

Ist es das, was Freunde wollen? Wenn ja, viel Spaß. Wenn aber nicht? Vielleicht sollte sich ein Gastgeber, bevor er aus einer Einladung eine Art Geiselnahme mit Bauchtänzerin macht und jedem grollt, der sich entzieht, an einen hübschen Aphorismus der Volksweisheiten erinnern: "Und ist der Gast auch noch so schlecht / Er kommt zuerst, das ist sein Recht."

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