Freizeitpark mit Kampfprogramm:Der Ballermann von Israel

Freizeitpark mit Kampfprogramm: Ein Ausbilder im Kampfanzug zeigt der Familie, wie man beim Schießen richtig steht. Später tauschen sie die Holzgewehre gegen echte Waffen.

Ein Ausbilder im Kampfanzug zeigt der Familie, wie man beim Schießen richtig steht. Später tauschen sie die Holzgewehre gegen echte Waffen.

(Foto: Federico Scoppa)

In einer jüdischen Siedlung im Westjordanland gibt es einen Freizeitpark, in dem scharf geschossen wird. Touristen, selbst Kinder, dürfen sich zwei Stunden lang fühlen wie Einzelkämpfer.

Reportage von Peter Münch

Wenn ihr durch dieses Tor geht", ruft Eitan Cohen in der für angemessen erachteten Lautstärke, "dann seid ihr keine Touristen mehr, dann seid ihr Soldaten." 20 Köpfe nicken, der 13-jährige Felipe zupft an seinem rosafarbenen T-Shirt, sein Vater Daniel Fuchs lächelt wohlgefällig. Cohen steht in Feldherrenpose vor der Truppe. Ein Mann wie ein Fels, im tarngrünen Kampfanzug, der längst nicht alle Tattoos verbergen kann. "Wir brauchen hier starke und mutige Leute. Und ihr tut exakt was ich sage. Habe - ich - mich - klar - ausgedrückt?"

Es ist ein sonniger Frühlingstag in der Siedlung Efrat, tief im palästinensischen Westjordanland, 20 Kilometer südlich von Jerusalem. Die Familie Fuchs aus Brasilien ist am Morgen mit dem Reisebus vorgefahren, begleitet von Freunden und Verwandten, die gemeinsam das Heilige Land erkunden wollen. Elf Tage Rundreise, Höhepunkt soll die Bar-Mitzwa-Feier von Felipe werden. Zusammen haben sie den weiten Weg zurückgelegt, um den Jungen an der Klagemauer nach jüdischer Tradition in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufzunehmen. Doch vor dem religiösen Fest haben sie noch einen Stopp eingelegt bei "Caliber 3" in Efrat, der ihnen laut Eigenwerbung "ein unvergessliches Abenteuer" verspricht.

Ein Freizeitpark, in dem scharf geschossen wird

Freizeitpark mit Kampfprogramm: Ein Jugendlicher übt mit einer Paintball-Waffe, während sein Vater fotografiert.

Ein Jugendlicher übt mit einer Paintball-Waffe, während sein Vater fotografiert.

(Foto: Federico Scoppa)

Das Abenteuer ist eine Kampfausbildung, kompakt zusammengeschnurrt auf zwei Stunden. Eigentlich firmiert "Caliber 3" als "Sicherheitsakademie zur Terrorabwehr". Profis werden hier geschult als Scharfschützen oder in Krav-Maga-Kursen zur Selbstverteidigung. Gleichzeitig aber kommen Touristen aus aller Welt und tummeln sich auf ringsherum umkämpftem Grund in einem Freizeitpark, in dem scharf geschossen wird. "Mehr als zehntausend Besucher haben wir im Jahr", sagt Addam Berger, der Marketing-Manager, der in einem früheren Leben für eine Werbeagentur in New York gearbeitet hat. "Die meisten Gäste kommen aus den USA, aber auch viele aus Russland und immer mehr aus China."

Rund 100 Euro kostet das Touristen-Training im Gruppentarif. Für Kinder gibt es Ermäßigungen, die dürfen aber auch nur mit Tonkügelchen schießen. "Man lernt hier, was es heißt, unter ständigem Druck zu leben", erklärt Berger, und muss den Satz gleich mehrmals unterbrechen, weil nebenan so laut geschossen wird. Aber nicht nur ums Schießen soll es gehen: "Wir lehren hier auch die Liebe zu Israel."

Mit diesem Auftrag und allerlei diffusen Erwartungen im Sturmgepäck macht sich nun auch die Familie Fuchs samt Freunden auf zum Übungsplatz. "Für die Kinder ist das was ganz Tolles hier", sagt Daniel Fuchs, "aber auch die meisten von uns Erwachsenen haben noch nie eine Waffe in der Hand gehabt." Angeführt von Eitan Cohen und seinem Co-Ausbilder Israel Boudilovsky, beides Reservisten aus Eliteeinheiten der israelischen Armee, marschieren sie zum hinteren Teil der Anlage, wo sie ein ausgebranntes Autowrack erwartet, zersplittere Palisaden mit dem Schriftzug "No more Hamas" sowie eine Wand, an der gut sortiert die Waffen hän-gen: Uzi, Ruger, Beretta, Tavor...

"Wir sind bedroht, und wir müssen uns verteidigen", ruft Boudilovsky. "Aber ihr lebt im Exil, und ihr wisst vieles nicht." Zur Auflockerung macht er sich noch lustig über einen amerikanischen Besucher neulich, den er gefragt hat: "Wo kommt unsere Kultur her?" Und was hat der Schmock geantwortet: "Aus Brooklyn". Da schütteln die Brasilianer den Kopf, und Boudilovsky hebt an zu einem kurzen geschichtlichen Überblick von König David bis zum Mossad. "So, wie uns die Leute vor 3500 Jahren hier nicht mochten, so mögen sie uns heute nicht", sagt er. "Aber wir müssen verstehen, dass wir ein Recht haben, in unserer Heimat zu leben und dass wir uns nicht vertreiben lassen." Die Blicke wandern rüber zu den Waffen. "Wir legen unser Schicksal nicht mehr in die Hände anderer Nationen, wir vertrauen nur in uns selbst", fährt er fort. "Was mit unseren Großvätern im Zweiten Weltkrieg passiert ist, wird uns nicht mehr passieren. Dafür sind wir hier."

Zügig geht es nun von der Theorie zur Praxis. Lektion eins: Reaktion bei einem Terroranschlag. Schon schallt aus den Lautsprechern der Lärm eines überfüllten Platzes. "Es ist Freitagmittag, ihr seid auf dem Mahane-Yehuda-Markt in Jerusalem", sagt er noch, bevor seine Worte im Tumult untergehen. Von hinten stürmt ein Angreifer heran, das gezückte Messer in der Hand und die palästinensische Keffiyeh auf dem Kopf. Familie Fuchs reagiert erst mal gar nicht, doch zur Rettung sind gleich vier Uniformierte zur Stelle, die aus allen Rohren feuern, bis es nach Silvester riecht und der Attentäter niedergestreckt ist. Natürlich hatte er keine Chance gegen die Profis von "Caliber 3", doch zu seinem Glück wurden diesmal nur Schreckschusspatronen verwendet.

Ziemlich lebensnah ist dieses Szenario trotzdem, denn seit Oktober gab es in Israel mehr als hundert solcher Anschläge, zumeist mit Messern, und 26 Israelis sowie ein US-Bürger wurden dabei getötet. In den meisten Fällen starben auch die Attentäter. "So ist das bei einem Terrorangriff", erklärt Cohen, "ihr müsst schnell sein, präzise und aggressiv."

Der Ehrgeiz steigt mit jedem Schuss

Lektion zwei ist die Waffenkunde, und verteilt werden M16-Gewehre, fürs Erste allerdings aus Holz. "Wir nehmen in Israel nicht unsere Waffen, um Spaß zu haben", erläutert Boudilovsky, "wir trainieren mit Waffen, weil das der einzige Weg ist zu überleben." Geübt wird nun zunächst die "stabile Position", die jeder braucht beim Schießen: die Beine breit, ein wenig in der Hocke, und dann "Feuer, Feuer, Feuer". Lächelnd lauscht Viviane Vasconcelos, Mutter zweier Kinder, den Kommandos, bis sich Cohen vor ihr aufbaut. "Habe ich eine rote Nase?", fragt er. "Nein. Also bin ich kein Clown und hier wird nicht gelacht." Zur Strafe muss Frau Vasconcelos einige Liegestütze absolvieren, danach hat auch sie den Ernst der Lage erkannt.

Das ist wohl auch nötig, weil nun die Holzgewehre gegen richtige Waffen getauscht werden. Alle Mann nach vorn treten, die Frauen zuerst. Daniel Fuchs wagt noch den Witz, ob sich nicht seine Schwiegermutter mal in Position stellen könnte, doch gefeuert wird auf wagenradgroße Schießscheiben, flankiert von schnurrbärtigen Pappkameraden. Was daneben geht, landet in einer Sanddüne. Der Ehrgeiz steigt mit jedem Schuss.

"Das ist besser als Videospiele"

Man kann hier einiges lernen über die menschliche Natur. Das Adrenalin lässt die Grenzen verschwimmen, aus Spiel wird Ernst, auf schüchterne erste Schüsse folgen schnelle Salven. Felipe Fuchs, der Bar-Mitzwa-Junge aus São Paulo, steht mit glühenden Wangen auf dem Schießplatz und sagt: "Das ist besser als Videospiele." Und Viviane Vasconcelos bekennt: "Am Ende habe ich es geliebt." Als Freundin der Familie hat sie sich der jüdischen Reisegruppe angeschlossen, sie selbst ist Christin. "Aber ich verstehe Israel jetzt viel besser", meint sie, "wenn die Juden sich nicht selbst verteidigen, nehmen die Muslime ihnen alles weg."

Hochzufrieden ist auch Daniel Fuchs. "Es war anders als erwartet, besser", urteilt er. "Das Schießen hat Spaß gemacht, aber sie haben das hier mit einer tieferen Bedeutung verknüpft." Für seinen Sohn Felipe, der am nächsten Morgen an der Klagemauer aus der Thora vorlesen wird, ist er froh, dass er hier "etwas über seine Wurzeln gelernt hat. Vielleicht ist er ein bisschen zionistischer geworden."

Als auch der letzte Schuss verhallt ist, bekommt jeder Teilnehmer eine Urkunde. Eine Erinnerung für Küche oder Kinderzimmer, doch auch Fotos müssen noch gemacht werden. Eitan Cohen steht bereit für Selfies. Er trägt jetzt eine verspiegelte Sonnenbrille, das Gewehr baumelt vor der mächtigen Brust, der Daumen ist nach oben gereckt - und er lächelt.

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