Freizeit - Frankfurt am Main:Lange Wartelisten: Klein- und Mietgärten immer beliebter

Deutschland
Ein Kleingarten spiegelt sich in einer Deko-Kugel. Foto: Andreas Arnold/dpa (Foto: dpa)

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Frankfurt/Fulda (dpa/lhe) - Arbeiten an der frischen Luft, das eigene Gemüse auf dem Teller: Klein- und Mietgärten in Hessen haben in den vergangenen Jahren einen wahren Boom erfahren. "Die Nachfrage ist sehr groß. Wir können den Bedarf nicht decken", sagt Klaus Beuermann, Vorsitzender des Landesverbands Hessen der Kleingärtner. Es gebe so viele Bewerbungen auf die Parzellen, dass einige Vereine gar keine Anmeldungen mehr annähmen. "Sie führen bereits Wartelisten von bis zu drei Jahren und wollen keine falschen Hoffnungen machen."

Die Nachfrage sei bereits in den vergangenen drei bis vier Jahren deutlich gestiegen. Die Corona-Pandemie haben dazu nicht wesentlich beigetragen, sagt Beuermann. Er vermutet, dass diese Entwicklung mit einem gesteigerten Umweltbewusstsein zu tun hat. Auch der Wunsch nach Selbstversorgung sei gewachsen. "Die Menschen wollen Biogemüse aus eigenem Anbau haben. Sie wollen sich gesund ernähren", meint Beuermann. Die Bewerber seien ein Querschnitt durch die Gesellschaft. "In den vergangenen Jahren bewerben sich aber immer mehr jüngere Menschen, darunter auch junge Familien und Studierende", erläutert der Vorsitzende des Verbands, der 34 113 Mitglieder in 313 Vereinen zählt.

Auch Mietgärten werden immer beliebter. "Die Nachfrage ist auf jeden Fall gestiegen, auch an den sehr ländlichen Standorten", sagt Stefanie Krecek. Die Diplom-Ökotrophologin ist Projektleiterin bei tegut Saisongarten, mit 14 Standorten der größte Anbieter in Hessen. Die Beliebtheit habe bereits in den vergangenen Jahren zugenommen, die Corona-Pandemie habe diese Entwicklung nochmals verstärkt, erläutert sie.

Als Pilotprojekt 2009 in Fulda gestartet, gibt es inzwischen 21 Standorte der tegut Saisongärten bundesweit. Das Konzept: Landwirte verpachten Parzellen ihres Landes. In Kassel etwa gibt es einen Saisongarten mit 100 Parzellen, in Selters mit 70. Krecek selbst bietet in Fulda 80 Parzellen an. Die sind bereits bepflanzt und besät. Im Falle der tegut Saisongärten mit etwa 25 verschiedenen Bio-Gemüsesorten. Sind die ersten Reihen abgeerntet, kann noch mal nachgesät und gepflanzt werden. "Die Einhaltung der Öko-Richtlinien der EU beim Saat- und Pflanzgut ist Grundbedingung auf den Äckern", erläutert Krecek.

Gepachtet werden können Parzellen mit 40 oder 80 Quadratmetern zur Pflege und Ernte für eine Saison. Dafür wird eine einmalige Gebühr fällig. Für eine kleine Parzelle liegt die an den meisten Standorten bei 140 Euro, für eine große bei 250 Euro. Meist werden die Saisongärten im Mai übernommen. Im Herbst, nach der Ernte, gehen sie zurück an den Landwirt. Zum Service gehören Werkzeuge, Wasser und Tipps von den Profis.

Die Pächter seien nach Alter, Geschlecht und Lebenssituation völlig gemischt, sagt Krecek. Sie mieteten eine Parzelle aus den unterschiedlichsten Gründe: "Einige haben zwar einen eigenen Garten, der aber nicht für den Gemüseanbau geeignet ist oder als Spielfläche für die Kinder dient. Andere wollen lieber woanders als daheim gärtnern, als Auszeit sozusagen. Manche suchen soziale Kontakte, für manche ist es eine Therapie. Und andere machen das einfach, weil sie ihr eigenes Gemüse anbauen und essen wollen", fasst Krecek zusammen.

Auch der Anbieter Meine Ernte mit Sitz in Bonn hat in den vergangenen zwei Jahren einen Anstieg der Nachfrage nach Mietgärten bemerkt, sagt Pressesprecherin Ina Remmel. "Die Buchungen für die Gartensaison 2022 sind bereits möglich und an sehr beliebten Standorten sind wir bereits ausgebucht und es gibt Wartelisten." Um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, wolle das Unternehmen mit seinen Landwirten die Flächen erweitern.

In Hessen betreibt Meine Ernte aktuell zwei Standorte. "In Frankfurt sind für die nächste Gartensaison 130 Gemüsegärten und für Wiesbaden 110 Gemüsegärten geplant", erläutert Remmel. Im Angebot: Minigärten mit 20 Quadratmetern für 139 Euro, kleine Gemüsegärten mit 45 Quadratmetern für 229 Euro und Familiengärten mit 90 Quadratmetern für 439 Euro.

Die Gründe für den Boom? Eine aktuelle Umfrage des Unternehmens habe gezeigt, dass die meisten ihren Garten buchten, weil das Gärtnern ihnen körperlich und mental gut tut, sie sich gesund ernähren und ein Stück weit selbst versorgen möchten, sagt Remmel. "Auch der Beitrag zum Klimaschutz durch kurze Transportwege, keine Pestizide und Plastik wurde häufig genannt."

Der Aufenthalt in der Natur wirke sich nachweislich positiv auf unser Stressempfinden aus und sei auf neurobiologischer, hormoneller und sozialer Ebene gut für die Gesundheit, sagt der Berliner Psychiater und Stressforscher Mazda Adli. "Der Aufenthalt im Grünen führt messbar zu einem milderen Anstieg des Stresshormons Cortisol, als wenn wir beispielsweise durch eine asphaltierte Straße gehen", erklärt der Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin.

Es liege nahe, dass diese Wirkung evolutionsbedingt sei. "Der Mensch war schon immer Teil der natürlichen Umwelt. Im Grünen fühlen wir uns intuitiv wohl. Das ist in uns angelegt und sicherlich ein Überbleibsel unserer Zeit in Steppen und Wäldern", erläutert Adli.

Neben dem Aspekt, dass Bewegung grundsätzlich gut für Körper und Psyche sei, komme beim Gärtnern hinzu, dass die Arbeit mit den Händen das Selbstwirksamkeitserleben stärke. "Wir können dabei auf ein eigenes, sichtbares Werk blicken", so der Stressforscher.

© dpa-infocom, dpa:211026-99-735892/2

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: