Süddeutsche Zeitung

Freitagsküche: Reiberdatschi:Datschi Bumbatschi

Gute Kartoffelpuffer sind vom Aussterben bedroht. Meist bekommt man nur dicke, zähe Papp-Puffer serviert. Auf Weihnachtsmärkten weiß man noch, wie es geht.

Michael Frank

Die Sache hatte etwas Konspiratives, wie so vieles zu kommunistischer Zeit. Unter Prags damals düsteren Arkaden gab es einmal unscheinbare, finstere Fensterlöcher. Kenner ließen sich aus diesen Höhlen von meist stattlichen, in weiße Kittel gewandeten Frauen einen Bramborák reichen, einen Kartoffelpuffer oder auch Reiberdatschi. Eine Krone und fünfzig Heller kostete damals diese pfannenheiße Köstlichkeit von der Größe einer alten Single-Schallplatte, die man auf einem Bogen Butterbrotpapier balancierte. Ihr Duft war betörend und die Ränder waren so knusprig, dass man sich bis heute an das verlockende Knacken erinnern kann, das zwischen den Zähnen entstand.

Mit dieser Delikatesse aber haben die dicken Papp-Puffer, die heute in der böhmischen Durchschnittsgastronomie als Beilage fleischüberladener Teller dienen, leider oft nichts mehr zu tun. Und auch im übrigen Mitteleuropa, zumal in Bayern und Österreich, hat diese köstliche Art, Kartoffeln zu braten, nur noch in wenigen Nischen überlebt. Etwa, wenn sich eine traditionsbewusste Großmutter erbarmt und die durchaus aufwendigen Puffer mit Apfelmus als fleischloses Freitagsgericht zubereitet.

Einzig in Wien waren Kartoffelpuffer nie ausgestorben: Kartoffelplätzchen, Reibekuchen, Reibeplätzchen, Erdäpfelpfannkuchen - die Regionalbezeichnungen sind zahlreich, die Rezepte weithin gleich - mit Variablen beim Würzen. Doch die Qualität lässt auch hier oft längst zu wünschen übrig, wie man an einer schönen Wintertradition sehen kann, die dem Reiberdatschi keine Ehre macht: Zur kalten Zeit stehen in Wiens Straßen große, holzkohlebefeuerte Rundkessel. Die dicken Kartoffelpuffer, die an diesen Ess-Ständen auf der Platte schmoren, sind Konfektionsware, die die herrlichen Wärmeinseln in der winterlichen Stadt zu so tragischen Orten machen wie Wiens berühmte Würstelstände: Inseln der Sehnsucht mit meist abscheulicher Ware.

Seit neuestem aber erleben qualitativ hervorragende Reiberdatschi eine erstaunliche Renaissance, die sie auch dem Märkterummel der Weihnachtszeit verdanken. Denn auf Wiens vielen Adventsmärkten beschämen neuerdings junge Leute aus Tschechien Österreichs traurige Pufferbäcker: Dünn und knusprig und so frisch kommen die Datschi aus einer großen eisernen Pfanne in Form einer Schnecke. Am Rande werden sie schwimmend ins siedende Fett getunkt und immer weiter nachgeschoben. Ist die Reine voll, ist der Datschi in der Mitte fertig und wird sofort verspeist. Damit ist der Datschi zu einer Art Weihnachtsspezialität geworden, die uns an seine Urform erinnert.

Frisch, ganz frisch muss er sein. Wie mehlig aber sollten die Kartoffeln sein, wie grob werden sie gerieben? Ein zu feiner Kartoffelteig macht die Puffer kompakt und ledrig. Puristen wollen dennoch nicht alles mit der groben Streifenreibe raspeln, denn dann würde der Datschi zu sehr an die in der Schweiz beliebten Rösti erinnern oder an Österreichs Erdäpfelschmarrn. Perfektionisten nehmen eine kleinere Menge fein geriebener, eher festkochender Erdäpfel, die gut bindet; der Rest bleibt grob für den schöneren Geschmack. Die geriebene Masse sollte entwässert werden; manche gießen nur den Reibesaft ab. Liebhaber wringen die Masse im Tuch aus. So erspart man sich größere Mehlmengen, um zu feuchten Teig zu binden. Dazu gibt man Eigelb, Salz, Pfeffer. Und dann eben die Spur Mehl, das manche allerdings ganz meiden, um den "kartoffeligen" Geschmack zu wahren.

Erst nach diesem Grundrezept teilt sich der Geschmack in süß oder herzhaft. Eine Prise Muskatnuss kommt für beide Varianten in Frage. Apfelmus, andere Obstzutaten, süßer Joghurt oder Quark machen dann ein schönes Sommergericht. Die Klassiker aber sind herzhaft. Mit gehackten, angeschwitzten Zwiebeln, reichlich Majoran, in Böhmen auch mit einer guten Prise Kümmel und einer zerdrückten Knoblauchzehe, legt der Fladen mächtig an Geschmack zu. Bei den Zutaten sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt: Man kann gehackten Lauch, frische Kräuter, gar kleingehäckselte, frische Pfefferoni in den Teig mengen oder auch gewürfelten Speck zufügen. Nur - besondere Würzeffekte erzielt man besser durch äußere Zutaten als im Teig selbst. Ist der Puffer Hauptgericht oder Beilage? Für letztere gilt: Je zarter - etwa Fisch - die Speise, die der Datschi begleiten soll, desto zurückhaltender ist seine Würze.

Am Ende kommt alles in die Pfanne. Fett immer reichlich und nicht zu heiß, damit der Teig - er sollte kaum mehr als einen halben Zentimeter dick liegen - gut durchgart; heiß genug aber, dass die mit groben Kartoffelspänen ausfransenden Ränder braun und knusprig werden. Die Schneise der Verheerungen, die die Friteuse durch Mitteleuropas Küchen geschlagen hat, trifft auch den Reiberdatschi hart: Der Fetthochofen macht ihn außen starr wie Pappe, innen bleibt eine matschige Rohschicht. Keine Angst sollte man übrigens vor dem morbiden dunklen Grün haben, das der Datschi annimmt. Nur Gasthausküchen halten mit Knödelhilfe (Natriumsulfit) den Pufferteig weiß.

"Datschi" kommt vom oberdeutschen Verb "dätschen", drücken, quetschen, meint also den flachgedrückten Fladen. Der böhmische Bramborák, mit dem hier begonnen wurde, hat seinen Namen von tschechisch Brambor, der Kartoffel, die sich wiederum nach dem Land Brandenburg benennt: Von dort wurde der Erdapfel einst nach Böhmen importiert. Nach Friedrich dem Großen, Mitteleuropas größtem Kartoffelprotagonisten, hieß das üppigste Puffer-Rezept der DDR "Alter Fritz": Man bestrich große Kartoffelpuffer mit einer Hackfleischfarce, rollte sie ein und buk sie ein zweites Mal. In ganz Mitteleuropa gibt es unzählige Rezepte, Fleisch oder Gemüse in Reiberdatschi einzuschlagen und so die Beilage zur Umhüllung des Gerichts zu machen. Je weiter man sich Mähren und der Slowakei nähert, desto schärfer wird diese Füllung.

In Gegenden wie der sandigen Mark und der sogenannten Steinpfalz, der einst bitter armen Oberpfalz, hat man zeitweilig fast nur von Kartoffeln gelebt. Just dieser Armenküche entstammt der Reiberdatschi als deftige Köstlichkeit.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2010/holl
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