Freeride World Tour: Xavier de Le Rue:Leben im freien Fall

Xavier de Le Rue ist einer der besten Snowboarder der Welt. Dass er noch am Leben ist, grenzt an ein Wunder. Denn 2008 löste er eine riesige Lawine aus.

Stephan Bernhard

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Xavier de le Rue

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Xavier de Le Rue ist einer der besten Snowboarder der Welt. Dass er noch am Leben ist, grenzt an ein Wunder. Denn 2008 löste er eine riesige Lawine aus.

Hoch über dem Schweizer Skiort Verbier hängt die Nordflanke des Bec des Rosses. Über diese Wand heißt es: "Wer hier stürzt, braucht Glück oder er stirbt." Keinesfalls eine Übertreibung. Denn die 500 Meter hohe Wand unterhalb des Gipfels gleicht einer senkrechten Felswüste, durch die sich dünne, weiße Linien ziehen.

Foto: C. Margot, Xavier de Le Rue in Squaw Valley

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Absurd scheint die Idee zu sein, hier auf Ski oder Snowboard den Weg durch schroffe Steinzacken und haushohe Felsabbrüche hinab ins Tal zu suchen. Doch genau darum geht es am kommenden Wochenende beim Xtreme Verbier, einem der gefährlichsten Freeridewettkämpfe der Welt.

Foto: J.Haidik, Xavier le Rue in Sotschi

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Die besten Freerider der Welt wurden eingeladen, um sich durch das eigens auf dem 3222 Meter hohen Berg errichtete Starttor in die Tiefe zu stürzen: Snowboarder wie Skifahrer, Frauen wie Männer - allesamt Vollprofis, die davon leben, ihre Linien im Schnee zu ziehen, wo es sonst kaum einer kann. Und Xavier de Le Rue ist der Favorit. Der 30-jährige Franzose gilt unter Freeridern als Superstar, der jeden Wettkampf gewinnt.

Foto: oh, Xavier de Le Rue in Verbier

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In den vergangenen beiden Jahren holte er den Weltmeistertitel der Freeride World Tour, einer internationalen Wettkampfserie mit Stopps von Russland bis Amerika, und 2010 führt er wieder die Rangliste an. Wer de Le Rue einmal beim Snowboarden in Aktion gesehen hat, versteht, warum das so ist. Wo andere Athleten abbremsen, rast der Franzose im Schuss weiter oder springt, ohne einen Augenblick des Zögerns, über Felswände in die Tiefe. Der Abstand zur Konkurrenz erscheint so groß, als würde de Le Rue in einem Formel-1-Boliden gegen normale Kleinwagen antreten.

Foto: C.Margot, Xavier de Le Rue in Verbier

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Was genau das Geheimnis seines Erfolges ist, kann de Le Rue selbst nicht sagen. Auf solche Fragen antwortet er knapp: "Ich beherrsche einfach die Technik, so schnell zu fahren. Und ich habe gelernt, dass mir hohes Tempo mehr Kontrolle über mein Board gibt. So fühle ich mich viel sicherer." Vielleicht liegt der Grund auch schon einige Jahre zurück. Denn bevor de Le Rue zum Freeriden kam, war er im Boardercross aktiv - der brandneuen olympischen Disziplin: Vier Athleten rasen gleichzeitig durch Steilkurven oder über Zehn-Meter-Sprünge. Tempo ist dabei alles und wer nicht bereit ist, ans Limit zu gehen, hat keine Chance. De Le Rue wurde viermal Weltmeister.

Foto: C. Margot, Xavier de Le Rue in Chamonix

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Damals konnte er einen Kurs stundenlang besichtigen und sich bei etlichen Trainingsfahrten jedes Detail einprägen. Beim Freeriden gibt es das nicht. Jeder Lauf ist eine Premiere, bei der nichts schiefgehen darf. Punktrichter beobachten durch Ferngläser jede Bewegung der Sportler. Wer sich im Labyrinth der Felsen verfährt oder stürzt, landet am Ende der Rangliste. "Das Wichtigste beim Freeriden ist immer zu wissen, wo ich bin", sagt de Le Rue, der sich stunden- oder sogar tagelang auf einen Lauf vorbereitet, der nur 20 oder 30 Sekunden dauert. "Zuerst suche ich eine natürliche Linie von oben bis unten und stelle mir vor, wie ich diesem Weg folge. Ich schätze die Höhe der Felsen und überlege, ob die Landung darunter steil genug oder der Schnee locker ist, damit ich sicher landen kann", beschreibt der Franzose sein Vorgehen.

Foto: oh

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Das Schwierigste steht ihm da allerdings noch bevor, nämlich den Weg beim Wettkampf auch wieder zu finden. Denn der Blick vom Start in die Tiefe hat nichts mit der Ansicht des Bergs vom Tal aus zu tun. Eine Felswand ist plötzlich nur noch eine Kante, hinter der ein Abgrund lauert. De Le Rue muss wissen, wo er landet, ohne es zu sehen - vor allem auf dem Bec des Rosses in Verbier. Hier gibt es unzählige Gelegenheiten, sich zu verletzen. "No Fall Zone" nennen Freerider solch eine Bergflanke. Wer stürzt, ist in Lebensgefahr. Lawinen sind das Einzige, was die Fahrer in Verbier nicht fürchten, weil die Bergwacht vorher jedes Schneebrett absprengt.

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Ein Luxus, den er im März 2008 bei Filmaufnahmen in der Nähe seiner Schweizer Wahlheimat Bruson, wo er zwischen Wettkämpfen und Trips nach Alaska oder Grönland mit Frau und Tochter lebt, nicht hatte. Nur wenige Augenblicke, nachdem der Helikopter den Snowboarder auf dem Gipfel abgesetzt hatte, stürzte er sich in die steile Abfahrt. Zwei, drei Schwünge ging alles gut, dann löste sich der Schnee.

Erst nur eine kleine Lawine. De Le Rue versuchte noch, in der Schussfahrt zu entkommen, aber er hatte keine Chance. "Plötzlich sah ich die Risse vor mir", erinnert er sich an den Moment, als die Schneedecke des gesamten Hangs kollabiert und er von der tobenden Schneewolke verschluckt wird. Zwei Kilometer donnerte die Lawine zu Tal. Im Auslauf türmte sie sich zu sechs Meter hohen Schneebergen auf.

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De Le Rue hatte Glück. Er lag oben drauf, auch dank seines Lawinenrucksacks, dessen Airbags er noch rechtzeitig auslösen konnte. Kurz war er bewusstlos, aber völlig unverletzt.

Ein kleines Wunder. Denn die Überlebenswahrscheinlichkeit in einer so großen Lawine geht gegen null. De Le Rue ist sich dessen bewusst. Aber mit dem Freeriden aufhören, besonders, wenn man eine Familie hat? "Natürlich ist der Sport gefährlich", sagt er. "In den Bergen gibt es immer ein Restrisiko. Aber das gehört zu dem Leben, das ich führen will." Und tatsächlich bereitete ihm der Lawinenabgang nicht lange Kopfzerbrechen. Nur zehn Tage nach dem Unfall fuhr er seine nächste große Linie.

Foto: oh

© sueddeutsche.de
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