Süddeutsche Zeitung

Freddy Leck sein Wachsalon:Seifenoper

Berlin-Moabit ist trist genug: In seinem Waschsalon träumt F. Leck von sauberen Hemden und glücklichen Kunden.

Sarah Khan

So ein Fleck kann schrecklich sein. Hartnäckig verunstaltet er die robustesten Textilien, und ist oft unbelehrbar bei 30, 40 und manchmal sogar bei 60 Grad.

Aber mit Flecken kann man fertigwerden. Und wer diese Schlacht geschlagen hat, vermag vielleicht auch gegen Stumpfsinn, Mutlosigkeit und Selbstaufgabe anzugehen. So jedenfalls könnte die Botschaft von Freddy Leck lauten, einem Unternehmer, der sich einen beredten Künstlernamen - merke: F. Leck - gegeben hat, und in dem Berliner Schmuddelbezirk Moabit einen Waschsalon von seltener Eleganz eröffnete.

Mitten in einem Kiez, wo der Lifestyle meist unterfinanziert ist und von Dönerbuden, Handyshops und Schlecker-Filialen dominiert wird, liegt nun diese Oase. Blitzende Waschmaschinen und Trockner stehen zur Selbstbedienung bereit, es gibt Bügelstationen, eine Nähmaschine, ein Mangelgerät - und das ist auch schon alles, was Freddy Lecks Reich mit einem gewöhnlichen Waschsalon gemein hat. Denn hier gibt es zudem kostenfreien Wlan-Zugang, einen Kaffeeautomaten, Stilmöbel und Leselampen, sogar einen ledernen elektrischen Massagesessel.

Ein Ort der liebevoll gestalteten Details

Die richtige Atmosphäre schaffen ein glitzernder Kronleuchter, gemusterte Tapeten, Teppichläufer und klassische Hintergrundmusik. An den Wänden hängen gerahmte Fotoarrangements europäischer Adeliger samt Papst Johannes PaulII., in einem Regal sind historische Waschmittelpackungen ausgestellt, die älteste stammt aus den 1940er Jahren und heißt Gemol.

Es ist ein Ort der liebevoll gestalteten Details, und er ist ganz nah an einer Utopie, die Mief in Duft, Grau in Rosa, Unglück in Glück zu verwandeln versucht.

Freddy Leck selber sieht aus wie ein Berliner Bohémien, gekleidet in Vintage-Klamotten, mit Liebe zur Farbe, zur Brille und zur Kopfbedeckung, die er selten abnimmt. Er hat die Augen eines verhätschelten Lieblingshundes und eine sehr emotionale Art, die unterschwellig sagt: Ich habe geliebt, ich habe gelitten, ich mache weiter. Sein bürgerlicher Name ist ein anderer, einen repräsentativen Vornamen aus der Bundesliga der 1960er Jahre hat der 44-Jährige abbekommen. Aber das ist nicht wichtig hier, wo über allem ein kleiner Zauber liegen soll.

"Freddy Leck sein Waschsalon"

"Waschsalons sind häufig sehr schmutzig", sagt Freddy Leck. "Ein Raum, wo Menschen einfach nur ihr Dasein fristen. Mich hat das gestört, und auch, dass so ein schönes Wort wie Salon in der deutschen Sprache immer so vergewaltigt wird." So gab er dem Salon seine so altmodische Bedeutung zurück. Und dabei erkannte er: "Der Waschsalon ist gar nicht mehr der Ort der einsamen Herzen und der Singles." Um die Vermittlung von Beziehungen kümmere sich doch mittlerweile das Internet.

Freddy Leck sieht die heutige Aufgabe eines Waschsalons eher darin, den Faktor Zeit neu zu berücksichtigen, aus toter Zeit aktive Zeit zu machen. Um selbst für Leute attraktiv zu sein, die zu Hause eine eigene Waschmaschine besitzen. So wird bei "Freddy Leck sein Waschsalon" - das besitzanzeigende Idiom stammt aus Lecks Heimat, Mülheim an der Ruhr - aus dem profanen Wäschewaschen eine Gelegenheit für Entspannung und Begegnungen, oftmals auch richtige Dialoge.

Deshalb kommt wohl auch ein ganz gemischtes Publikum - Professoren wie Hartz-IV-Empfänger, Familien mit ihren Wäschebergen aus dem Urlaub genauso wie der Mathestudent mit seinen Karohemden, der geduldigen Mitmenschen seine Formeln erklärt. Aber auch Fußballmannschaften und Restaurants lassen bei ihm waschen. Und dann sind da noch die Menschen, "die ihre Träume schon längst begraben haben", wie Leck sagt.

Wenn er die Frage hört, warum er seinen besonderen Waschsalon nicht in Berlin-Mitte eröffnet hat, wo eine betuchte wie verwöhnte Klientel stets dankbar die neuesten Kitzel erwartet, wird er fuchsig. "Sollen andere Bezirke keinen schönen Waschsalon kriegen?" Wahrscheinlich wäre Freddy Leck in Mitte auch nicht so auffällig, und seine romantische Botschaft käme in Ermangelung eines sozialen Gefälles auch gar nicht richtig zur Entfaltung.

Die gute Seele des Salons

Lecks Mitarbeiterin Ilka wischt nach jedem Waschgang die Glasluke, die Gummidichtung und den Einspülkasten aus, und poliert das Glas und den Chrom fingerabdruckfrei. Auf die Makellosigkeit seiner heißgeliebten Miele-Maschinen - "Ich will im nächsten Leben eine Miele-Waschmaschine werden" - legt der Chef größten Wert. "Ich weiß, dass es Leute gibt, die Waschsalons meiden, weil sie nicht die Schamhaare des vorherigen Kunden sehen wollen. Die Schamhaare befinden sich in den Handtüchern, lösen sich dann beim Waschen und sammeln sich in der Luke an", erklärt Leck. Ebenso wenig verträgt der Kunde den Anblick von Flusen, Waschmittelresten und Kalk-Schmodder.

Ilka nickt wissend. Die ehemalige Langzeitarbeitslose rekrutierte Leck aus der Nachbarschaft. Ilka verschlug es vor einigen Jahren von Potsdam nach Berlin-Moabit. "Damals hab ich erst mal nur geheult", sagt sie. "Aber jetzt will ich hier nie mehr weg." Sie traf Leck erstmals, als dieser sich auf die Straße stellte und die Passanten zählte, um die Geschäftslage einzuschätzen. "Ich dachte, schreibt der die Autos auf?" Jetzt ist sie unentbehrlich, Leck nennt sie die gute Seele des Salons. Er ist den Tränen nahe, wohl vor Rührung.

Lebensretterin Mireille Mathieu

Dass Freddy Leck selbst harte Zeiten erlebt hat, ist unverkennbar, so emotional argumentiert er über seine Motivation und seinen Mut zum Risiko. In seine Vergangenheit will er sich nicht hineinblicken lassen. Nur so viel: Geschäftliche Angelegenheiten und Liebesbeziehungen zu verbinden, kann zu Enttäuschung führen, das alte Lied eben. Apropos Lied: Da kommt seine Lieblingssängerin ins Spiel, Mireille Mathieu. An ihren Songs hat er sich in Krisen immer wieder aufgerichtet. "Ich glaube ihr, wenn sie von gebrochenem Herzen singt, ihr verdanke ich mein Leben", schwärmt er. Mehr will er dazu nicht sagen.

Für den Salon-Traum musste sich Freddy Leck verschulden. In der Dekoration und den gerahmten Fotos drückt er vor allem die Dankbarkeit aus, es überhaupt so weit geschafft zu haben. Königin Elisabeth ist ihm wichtig ("Ich mag ihre zurückhaltende Art"), Mireille Mathieu ist ihm noch wichtiger, und der vormalige Papst ist ihm am allerwichtigsten: "Von ihm habe ich hoffen gelernt."

Drei Damen vom Grill

Ein bisschen muss man sich auf die Zunge beißen, um nicht zu fragen, wie viele Folgen der TV-Serie "Drei Damen vom Grill" er wohl auswendig kennt, weil das hier auch so ähnlich ist, mit der treuen Ilka und mit der rauen, aber herzigen Nachbarschaft, die er ganz furchtbar stark ins Herz geschlossen hat und die ebenfalls mit einer eigenen Fotowand repräsentiert ist. Da sieht man Kellner, Dönerbuden-Männer, Handyshop-Betreiber und Gemüsehändler von der Gotzkowskystraße, jeweils vor ihren Läden lachend in Gruppen stehend. Freddy Leck hat sie alle fotografiert und ihnen einen Platz an seiner Wand und damit in seinem Herzen gegeben.

Ja, Freddy Leck ist Harald Juhnke, Ilka ist Brigitte Mira und einen Dritten müsste es auch geben. Und tatsächlich - der sitzt hinten im Büro und kümmert sich um das Produktdesign für Freddy Leck. Es ist Florian, ein Designstudent, ebenfalls aus der Nachbarschaft rekrutiert. "Jetzt ist Freddy Leck mein Leben", sagt er. Man wundert sich kaum, wenn man erfährt, dass "Drei Damen vom Grill" unweit des Waschsalons gedreht worden ist.

Florian unterstützt F. Leck dabei, eine besondere Waschmittel-Edition von Moabit aus in die ganze Welt zu vertreiben. Das heißt natürlich "Freddy Leck sein Waschmittel", erhältlich in Hellblau für Jungen und in Rosa für Mädchen. Im Waschpulver für Jungs ist etwas mehr Fleckensalz enthalten, es gibt die Geruchsrichtungen Ken (Freund von Barbie), Bonanza, Kimba und Roy Black.

Waschen deluxe

Das Waschmittel für Mädchen ist etwas süßer, ein bisschen mehr Barbie, Biene Maja, Heidi und Cinderella. Das Pulver ist ein chices Produkt, mehr Dekorationsartikel als alltäglicher Drogeriebedarf. Wer 4,99 Euro dafür hinlegt, bekommt ein Päckchen im Retro-Design - mit einer Portion Waschmittel und Weichspüler. "Waschen deluxe", sagt Freddy Leck dazu und präsentiert sich mit seiner frechen Aktion auf Geschenkemessen und in einigen Berliner Designerboutiquen.

Im Praxistest kommt man kaum zu Ergebnissen wie "irischer Frühling" oder "flauschig-weiche Frische" mit einem "faszinierenden Dufterlebnis", wie man das von anderen Waschmittelriesen kennt. Aber darum geht es Freddy Leck auch gar nicht. Ihm geht es mehr darum, etwas Ursprüngliches zu stimulieren: Erinnerung an die rosarote Welt der Kindheit, des Fernsehglücks, der Hitparade. Imagination ist alles.

Im Salon selbst kann man auf konventionelle Vollwaschmittel zurückgreifen - schwarzes oder weißes Waschmittel lehnt Leck allerdings ab: "Das Leben ist nicht schwarz oder weiß." Und im Umgang mit Flecken rät Fleck zu mehr Gelassenheit: "Zaubermittel gibt es nicht. Flecken sind Spuren des Lebens, manchmal auch der Liebe."

Freddy Leck hat noch viele Pläne für die Zukunft. Er will seinen Salon auch für Gespräche über Politik und Kunst und das Leben öffnen, so ein richtiger Salon soll es sein, wie im Fin de Siècle. "Ich könnte stundenlang über Glück und Unglück reden." Ein großes Glück der Menschheit erlebt er schon täglich: "Wie sich die Leute freuen können, wenn der Fleck endlich draußen ist."

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Quelle:
SZ vom 04.10.2008
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