Protest in Chile:"Der Vergewaltiger bist du!"

Lesezeit: 3 min

Auch in Amsterdam protestieren Frauen nach dem Vorbild von Las Tesis. (Foto: AFP)
  • In Chile etwa enden nur acht Prozent aller angezeigten Vergewaltigungen mit einer Verurteilung der Täter.
  • "Las Tesis", ein Kollektiv aus vier Frauen aus der Hafenstadt Valparaíso, protestierte dagegen erstmals am 25. November.
  • Nun versammeln sich Frauen auf öffentlichen Plätzen in der ganzen Welt und wiederholen die immergleiche Performance.

Von Benedikt Peters, München

Das ist kein Tanz, das ist ein Wutschrei. Die Frauen drehen sich, nach rechts, nach links. Sie rufen: "Das Patriarchat ist ein Richter! Es verurteilt uns durch unsere Geburt! Und unsere Strafe: Das ist die Gewalt, die du nicht siehst!"

Was am 25. November in Chile seinen Anfang nahm, geht inzwischen um die Welt. In Madrid und Paris, in Istanbul, Bogotá und Brüssel, in Mexiko Stadt: Überall versammeln sich Frauen auf öffentlichen Plätzen und wiederholen die immergleiche Performance. Auch in Berlin. Sie dauert etwa zwei Minuten, und sie prangert die massive Gewalt an, denen Frauen überall auf der Welt ausgesetzt sind. Auch das Wort "Femizid" fällt - Morde also, die ganz gezielt an Frauen verübt werden.

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In den Videos, die nun über Twitter, Facebook und Instagram verbreitet werden, stampfen die Frauen auf der Stelle. Manche tragen Augenbinden, andere sind voller Kunstblut. Sie rufen: "Es war nicht meine Schuld! Es lag nicht daran, wo ich war! Und auch nicht daran, wie ich mich angezogen habe!" Das zielt auf die Argumentationsmuster, mit denen immer wieder Verbrechen an Frauen - Vergewaltigungen etwa oder Morde - gerechtfertigt oder verharmlost werden. Nein, die Schuld liege nicht bei ihnen, schreien die Frauen. "Der Vergewaltiger bist Du", rufen Sie und zeigen mit dem Finger nach vorn, in die Kameras. Sie geben auch staatlichen Strukturen die Schuld, die ihnen zufolge die Unterdrückung von Frauen fördern. "Die Polizei", "die Richter", "der Präsident".

Hinter der Performance steckt ein Kollektiv von vier Frauen aus der chilenischen Hafenstadt Valparaíso. "Las Tesis" nennen sie sich, "Die Thesen" also - und dieser Name beschreibt recht präzise den Zweck, zu dem sie sich gegründet haben. Sibila Sotomayor, Daffne Valdés, Paula Cometa Stange und Lea Cáceres (alle 31 Jahre alt) wollen die Thesen feministischer Wissenschaftlerinnen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen, indem sie sie in Aufmerksamkeit erregende Aktionen übersetzen.

Der Text ihrer aktuellen Performance beruht auf den Werken der argentinischen Anthropologin Rita Segato, die sich mit den Ursachen männlicher Gewalt gegen Frauen beschäftigt hat. Anlässlich des weltweiten Aktionstags gegen Gewalt gegen Frauen vorvergangenen Montag führten sie die Aktion erstmals in Valparaíso auf, dann noch mal in der nahegelegenen Hauptstadt Santiago. Schließlich veröffentlichten sie einen Aufruf via Instagram, sie überall auf der Welt zu wiederholen.

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Besonders schnell verbreitete sich die Performance in Lateinamerika. In Mexiko, Nicaragua, Peru, Argentinien - nahezu in jedem Land sind Frauen inzwischen auf die Straßen gegangen. Das liegt vermutlich nicht nur an der Nähe zum Ursprungsort Valparaíso, sondern auch daran, dass die Gewalt gegen Frauen in der Region ein besonders großes Problem ist. Nach Angaben der Vereinten Nationen werden nirgendwo auf der Welt so viele Frauen gezielt getötet wie in Lateinamerika. 14 der 25 Länder mit den höchsten Mordraten liegen dort, zwölf Mädchen und Frauen werden jeden Tag aufgrund ihres Geschlechts getötet - mindestens, denn die Dunkelziffer ist hoch. Neben Drogenhandel, Bandentum, Perspektivlosigkeit und schwachen Institutionen, welche die in vielen Ländern allgemein hohen Gewaltraten befördern, gelten eine verbreitete Macho-Kultur sowie ein hohes Maß an Straflosigkeit als Ursachen.

In Chile etwa endeten nur acht Prozent aller angezeigten Vergewaltigungen mit einer Verurteilung der Täter, kritisieren die Frauen von Las Tesis. In Mexiko, das ohnehin unter extrem hohen Mordraten leidet, ist die Gewalt gegen Frauen ebenfalls weit verbreitet. Die Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt etwa rief im November den Notstand aus, da Femizide und Vergewaltigungen zugenommen hatten. Von Januar bis Oktober 2019 registrierten die Behörden 150 Morde an Frauen und 527 Vergewaltigungen. Auch in Brasilien, dem größten Land der Region, werden immer wieder gezielt Frauen umgebracht. Im März 2018 etwa wurde eine Stadträtin von Rio de Janeiro auf dem Nachhauseweg erschossen. Marielle Franco war 38 Jahre alt, Menschenrechtsaktivistin - und sie leitete den Frauenausschuss des Stadtparlaments.

Die Aktivistinnen von Las Tesis hätten niemals gedacht, dass sich ihre Performance so weit verbreiten würde. Selbst Medien aus Taiwan wollten nun über sie berichten, sagten sie der chilenischen Presse, ihr Postfach sei völlig überlastet. Aber das nehmen sie gerne in Kauf.

© SZ vom 04.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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