Vorbilder:Ein Trend, der Hoffnung macht

Vorbilder: Das ikonische Bild entstand im Juli dieses Jahres im Schloss Bellevue: AKK wurde dort zur neuen Verteidigungsministerin ernannt.

Das ikonische Bild entstand im Juli dieses Jahres im Schloss Bellevue: AKK wurde dort zur neuen Verteidigungsministerin ernannt.

(Foto: Getty Images/Felix Zahn; Illustration: Eva Hillreiner)

Erfolgreiche Frauen wurden lange als Einzelkämpferinnen wahrgenommen. Nun kommt eine Generation, die sich offen gegenseitig fördert, stärkt und motiviert.

Essay von Barbara Vorsamer

Es ist jetzt schon ein ikonisches Bild, wie sie da nebeneinander auf weißen Lederstühlen in Schloss Bellevue sitzen: Bundeskanzlerin Angela Merkel, die künftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Drei mächtige Frauen, die gerade einen dicken Batzen politischer Macht unter sich verteilt haben und sich dabei entspannt anlächeln. Bestimmerinnen. Chefinnen.

Trotzdem würden wahrscheinlich die wenigsten Frauen auf die Frage nach ihrem Idol den Namen von Merkel, von der Leyen oder Kramp-Karrenbauer nennen, und das liegt gar nicht so sehr an den drei Personen. Sondern daran, dass es generell eher verpönt ist, eines zu haben. Rechnet man sich selbst zur Gruppe der gebildeten, leistungsfähigen, erfolgreichen Menschen, ist es heutzutage ein Distinktionspunkt zu sagen: "Vorbild? Brauche ich nicht." Jemandem nachzueifern gilt als Defizit, als würde man sich selbst damit zur (schlechten) Kopie von jemand anderem machen. Daher behauptet man, besonders individuell zu sein und aus sich selbst zu schöpfen.

Damit macht man sich etwas vor. Vorbilder, an dieser Stelle definiert als positiv besetzte Figuren, egal, ob fiktiv oder real, motivieren uns alle sehr stark, auch wenn wir das nicht glauben. Menschen wählen ihre Idole sowieso nicht bewusst aus, sagt Soziologin Paula-Irene Villa, und in den seltensten Fällen haben sie vor, Lebenswege eins zu eins zu kopieren. Trotzdem spielt es eine Rolle, in welchen Funktionen bestimmte Menschen sichtbar werden. "Es ist absolut unglaublich, welchen Einfluss Identifikationsfiguren haben", schreibt Schriftstellerin Julia Bähr auf ihrem Blog. "Es ist viel leichter, sich in einer Position zu sehen, in der schon jemand ist, der einem ähnelt. Das bezieht sich auf Alter, Bildungsgrad - und eben auch aufs Geschlecht."

Studien belegen diesen Effekt, zum Beispiel das Experiment der kanadischen Psychologin Penelope Lockwood von der University of Toronto. Sie ließ Studentinnen und Studenten einen Zeitungsartikel über einen frei erfundenen Menschen lesen, der Herausragendes im jeweiligen Fachgebiet der Versuchsperson geleistet hatte. Manchmal hieß er Jeffrey. Manchmal handelte der Text von Jennifer. Lockwood zufolge machte es für Studentinnen einen großen Unterschied, über wen sie lasen. Mit Jennifer konnten sie sich viel besser identifizieren und hielten deren Leistungen dann auch selbst für erreichbar. Für Studenten machte es keinen Unterschied, welches Geschlecht die Person im Text hatte. Die Psychologin erklärt das so: "Männer stoßen auf ihrem Karriereweg seltener auf geschlechtsspezifische Hindernisse oder negative berufliche Klischees. Deswegen könnte es für sie weniger bedeutsam sein zu erfahren, dass eine Person ihres eigenen Geschlechts erfolgreich war."

Damit jemand als Vorbild taugt, muss er beim Gegenüber einen Wunsch erwecken

Vielleicht beschäftigt sich deswegen fast alles, was zum Thema Vorbilder gedacht, gesagt und veröffentlicht wird, mit Frauen und Mädchen. Welche Rolemodels Männer und Jungen brauchen, scheint kaum jemanden zu interessieren. Klar, an männlichen Superhelden, Präsidenten und Spitzensportlern herrscht in der Öffentlichkeit auch kein Mangel. Doch Frauen, die Superheldinnen, Präsidentinnen und Spitzensportlerinnen werden wollen, brauchen nicht nur weibliche Vorbilder: sondern in vielen Fällen auch Partner, die ihnen dieses Leben ermöglichen. Werden solche Männer aber öffentlich gewürdigt - wie zum Beispiel beim umstrittenen Preis "Spitzenvater des Jahres" - kritisieren Feministinnen mit Recht, dass Millionen Frauen dasselbe tun, ohne dafür auch nur beachtet zu werden.

Es ist also schwierig. Dabei legen andere Studien nahe, dass das Entscheidende für die Vorbildfunktion gar nicht ist, ob die Person männlich oder weiblich ist, sondern dass sie einem ähnelt. Psychologin Sapna Cheryan von der University of Washington wollte in einem Experiment herausfinden, unter welchen Umständen Frauen erfolgreiche Personen als nachahmenswert betrachten und ließ dafür verschiedene Charaktere als Informatikstudenten auftreten. Das Ergebnis: Je nerdiger sie wirkten (zum Beispiel mit Socken in Sandalen und einem Elektronikmagazin unter dem Arm), desto schlechter funktionierten sie als Rolemodel. Die Nerdigkeit spielte am Ende sogar eine größere Rolle als das Geschlecht. Cheryan schließt daraus: Damit jemand als Vorbild taugt, muss er beim Gegenüber einen Wunsch erwecken ("das möchte ich erreichen") und es gleichzeitig an sich selbst erinnern ("so bin ich auch"). Wobei das Geschlecht für den So-bin-ich-auch-Gedanken natürlich ein riesiger Faktor ist.

Das Wort "Rolemodel" klingt viel moderner

Ob Kramp-Karrenbauer, von der Leyen und Merkel derzeit diese Wirkung auf junge Mädchen entfalten? Zumindest sind Frauen, die weitere Frauen in Machtpositionen bringen, etwas Neues. Katrin Gottschalk schreibt dazu in der taz: "Dieses Trio liefert gerade ein Lehrstück über weibliche Macht. Die drei stützten sich über Jahre, spielten das Spiel auf ihre Weise - weniger laut, strategisch genial." Ebenfalls neu: Zwei dieser Frauen haben Kinder, Ursula von der Leyen hat zu Beginn ihrer politischen Karriere auch ständig über ihre Familie geredet. Dieser Punkt ist wichtig, denn die meisten kleinen Mädchen wollen Mama werden. Schließlich haben sie eine, und die ist damit fast automatisch das erste Vorbild des Lebens. Schon das zeigt, dass es überhaupt nicht notwendig ist, jemanden in allen Einzelheiten großartig zu finden, damit er oder sie uns prägt. Es sind fast immer nur Aspekte der Persönlichkeit oder der Karriere, die einen inspirieren oder dazu motivieren, einen ähnlichen Weg zu wagen. Vollständig kopieren lässt sich eine Biografie sowieso nie, die Ängste, sich durch ein Vorbild selbst zum Abziehbild zu machen, sind daher unbegründet. Und manchmal hilft die Orientierung an einem anderen Menschen auch, bestimmte Schritte genau nicht zu tun oder eine Entscheidung anders zu treffen.

Leider wirkte es lange so, als ob Frauen, sobald sie eine mächtige Funktion erlangt haben, keinesfalls ihre Weiblichkeit betonen, von ihrer Familie sprechen, andere Frauen als Vorbild bezeichnen oder gar Kolleginnen fördern. Es gibt Studien, die zeigen, dass, nachdem die erste Frau eine bestimmte Machtposition erreicht hat, die Chancen für die zweite Frau erst mal sinken - anders als oft erwartet. Meist wird das dann als Beleg für mangelnde weibliche Solidarität hergenommen, von "Stutenbissigkeit" ist die Rede. Soziologin und Genderforscherin Paula-Irene Villa hält diesen Begriff für ein Klischee. Sie sieht eher eine unrealistische Erwartungshaltung am Werk: "Erfolgreiche Frauen, gerade in Wirtschaft und Wissenschaft, haben oft rein gar nichts mit Feminismus und dem Kampf für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu tun." Das Thema würde dann aber auf sie projiziert: " Aber die muss doch jetzt". Und wenn sich die erste Frau dann nicht als große Förderin der nächsten Generation hervortut, seien viele enttäuscht. "Frauen sind nicht die besseren Menschen", kommentiert Villa das lapidar. Und ja, wieso sollten sie das sein? Kramp-Karrenbauer, von der Leyen und Merkel sind auch nicht der wahr gewordene Traum aller Gleichberechtigungsaktivistinnen. Und doch haben sie sich nun gegenseitig nach vorn gebracht.

Damit liegen sie im Trend. Durch die zahlreichen feministischen Debatten der vergangenen Jahre, von #MeToo über Frauenquote, von Gendersternchen bis Mental Load, gehört es inzwischen zum guten Ton, sich wenigstens ein kleines bisschen mit dem Thema beschäftigt zu haben. Erfolgreiche Managerinnen tragen Kleider, sprechen über Vereinbarkeit von Familie und Beruf und sagen, ohne rot zu werden, dass sie Quoten für richtig und wichtig halten. "Verbunden mit dem entsprechenden professionellen Habitus kann man heutzutage mit Diversity punkten", sagt Soziologin Villa. "Frauen sagen heute eher: Wir unterstützen uns gegenseitig, du bist mein Rolemodel, wir Mädels schaffen das! Wie weit das reicht und ob das eine feministische Haltung ist oder sein soll - das bezweifele ich. Aber es sieht auf jeden Fall schon mal gut aus, auch für die Unternehmen."

Für eine Veränderung brauchen Frauen auch die Unterstützung der Kollegen und Chefs

Was auch auffällt, ist, dass das Wort "Vorbild" eher nicht verwendet wird. Zu gestrig, zu analog scheint der Begriff. Lieber bezeichnet man sich gegenseitig als Rolemodel, zum Beispiel in der gleichnamigen Interview-Reihe des Handelsblatts, auf Twitter, Facebook, Instagram oder im Rolemodels-Podcast von Isabelle Sonnenfeld und David Noël. Die beiden Tech-Führungskräfte haben die Reihe 2015 gestartet, weil ihnen die mangelnde Diversität der Branche missfiel. Seitdem ist Female Empowerment ein immer größerer Trend geworden, was Sonnenfeld auch kritisch sieht. "Bei Männern kommt das negativ an", befürchtet die Leiterin des Google News Lab für den deutschen Sprachraum. Doch für eine Veränderung bräuchten Frauen gerade in der Wirtschaft auch die Unterstützung der Kollegen und Chefs. Zudem missfällt ihr kritikloses Social-Media-Gehype. "Ein Rolemodel muss viel mehr sein als eine weibliche Person, die eine hohe Position innehat", sagt die 34-Jährige.

Deshalb zurück zum Bild von Merkel, von der Leyen und Kramp-Karrenbauer: Drei weiße, konservative Frauen um die 60, verheiratet, im Blazer und mit praktischer Kurzhaarfrisur. Mit echter Diversität hat das nicht viel zu tun. Trotzdem haben die drei Politikerinnen mit all den Müttern und Töchtern da draußen wesentlich mehr gemeinsam, als wenn es - wie schon so oft - drei weißhaarige Männer im Anzug gewesen wären. Daher, trotz aller Kritik: Solche (Vor-)Bilder sind wichtig! Sie motivieren, auch wenn man nicht alles an ihnen mag.

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