Frauen und Männer im Hockey:"Frauen sind im Sport weniger ehrgeizig"

Frauen und Männer im Hockey: dpa/AFP/Collage: Jessy Asmus

dpa/AFP/Collage: Jessy Asmus

Sie können genauso hart trainieren wie Männer, sagt Markus Weise, ehemaliger Chefcoach der deutschen Frauen- sowie der Herren-Hockeynationalmannschaft. Die Unterschiede liegen woanders.

Von Vera Schroeder

SZ: Herr Weise, Sie waren viele Jahre lang Cheftrainer der deutschen Hockey-Nationalmannschaft - erst der Frauen und dann der Männer. Seit einem halben Jahr haben Sie nun einen neuen Job, Sie bauen das Nachwuchszentrum des DFB in Frankfurt auf. Hilft es Ihnen im Umgang mit den neuen Kolleginnen und Kollegen, im Sport Frauen und Männer trainiert zu haben?

Markus Weise: Ja klar. Ich habe als Trainer auf jeden Fall gelernt, wie unterschiedlich Frauen und Männer kommunizieren. Oder besser: Ich weiß vor allem überhaupt schon mal, dass es große Unterschiede gibt. Das ist als Chef und Trainer schon mal die halbe Miete, sich das einzugestehen.

Wie haben Sie die Unterschiede festgestellt?

Auf einem langen, dornigen Weg. Mein Ansatz, als ich als Frauen-Chefcoach gestartet bin, war ja erst einmal, überhaupt keine Unterschiede zu machen. Mir war vollkommen egal, ob da ein Mann oder eine Frau oder ein Mädchen oder ein Junge sitzt, ich habe alle gleich behandelt und mit allen gleich hart trainiert. Das hat manchmal geklappt und oft auch nicht so gut. Erst Jahre später ist mir ein Buch über Hirnforschung und Geschlecht in die Hände gefallen. Und plötzlich wurden einige Dinge klarer.

Wo liegen denn Ihrer Meinung nach die Unterschiede?

Ich verallgemeinere jetzt stark, aber das ist bei diesem Thema ja anders gar nicht möglich. Ich bin mir heute sicher, dass Frauen und Männer im Hirn relativ unterschiedlich verdrahtet sind. Die Gesellschaft verstärkt diese Differenzen zusätzlich. Zum Beispiel reagieren wir unterschiedlich auf Stress. Männer neigen dazu, unter Druck das große Ganze zu sehen und die Details aus dem Blick zu verlieren - und bei Frauen ist es genau umgekehrt. Das spricht im beruflichen Kontext ganz klar dafür, mit gemischten Teams zu arbeiten. Wenig Unterschiede gibt es im Sport übrigens darin, wie man körperlich trainieren kann. Da vertragen beide Geschlechter die gleiche Härte im Training.

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Was würden Sie als Frauentrainer heute anders machen?

Ich habe als Trainer wahrscheinlich alle Fehler gemacht, die man machen kann, und war trotzdem recht erfolgreich. Aber ich würde im Umgang mit Frauen sicherlich mehr in die Beziehungsebene investieren. Männer können zwischenmenschliche Dinge besser wegschieben. Bei Frauen lohnt es sich, bestimmte Verstimmungen und Themen direkt anzusprechen und zu lösen. Man muss mehr Zeit und Energie und Genauigkeit in die Beziehungen mit Frauen stecken, wenn man was von ihnen will.

Haben Sie da ein konkretes Beispiel?

Ich erinnere mich an ein Einzelgespräch, das vollkommen aus dem Ruder lief. Das ganze fing mit einem Missverständnis in der Small-Talk-Phase ganz am Anfang des Gesprächs an. Ich fragte die Spielerin, was sie eigentlich gut daran fände, im Nationalteam zu sein. Völlig ohne Hintergedanke, einfach nur so dahergesagt. Sie verstand: "Wieso bist du eigentlich hier?", traute sich aber nicht, auf die vermeintliche Unverschämtheit meiner Frage hinzuweisen und von da an ging das Gespräch in die komplett falsche Richtung. So etwas passiert meiner Erfahrung nach recht leicht zwischen Männern und Frauen, besonders wenn es ein Machtgefälle gibt.

Wie hätte denn ein männlicher Spieler auf diese Eingangsfrage reagiert?

Der hätte sie entweder gar nicht erst persönlich genommen. Oder zurückgefragt: "Was ist denn das jetzt für 'ne Frage?" Das Missverständnis wäre schneller entlarvt worden. Keine Garantie, aber es wäre wahrscheinlicher gewesen, dass die Situation nicht so eskaliert wäre.

Was ist passiert nach dem Gespräch mit der Spielerin?

Ach, komplizierte Dinge, aber am Ende war ich in den Augen von verschiedenen Spielerinnen der wirklich böse Trainer und es hat viel Mühe gekostet, das hinterher wieder alles zu kitten.

Was steckt dahinter, dass Frauen so eine Frage so verfänglich interpretieren? Unsicherheit?

Vielleicht, man muss aber auch den Kontext sehen. Das Missverständnis ist nicht nur ihre Schuld. Ich habe das Setting nicht berücksichtigt und dass ich in dieser Situation der machtvolle Chef bin und sie die Spielerin. Als Trainer oder Chef muss ich mir, zumal in einer solchen Hierarchiekonstellation, schon vor dem Gespräch genau überlegen, wie ich es führen will. Man darf einfach nicht zu lapidar sein und muss versuchen, zu erspüren, wie bestimmte Aussagen beim Gegenüber ankommen könnten.

Sie analysieren das alles sehr detailliert. Was interessiert Sie daran, wie Menschen miteinander sprechen?

Ich glaube, dass die Bedeutung von Kommunikation noch immer in vielen Bereichen unterschätzt wird. Und dass man eigentlich jeden Tag etwas dazulernen kann, wenn es darum geht, wie man besser miteinander spricht. Das ist doch spannend.

Können Frauen besser kommunizieren?

Sie interessieren sich jedenfalls mehr dafür. Und ja, das macht sie vermutlich auch besser darin.

Woran machen Sie das denn fest?

Das fängt schon ganz früh in der Jugend an. Beispiel Mannschaftstraining: Jungs schlendern zehn Minuten vor dem Training in die Halle, schnappen sich einen Ball und bolzen sofort drauf los. Die sprechen nicht miteinander, die rufen allerhöchstens ab und an "Ball her!" Wenn Mädchen zum Training kommen, sammeln die sich erst eimal auf einem Haufen in der Ecke und fangen an zu quatschen. Da hat keine einen Ball in der Hand, bevor es offiziell losgeht.

"Die Frage nach dem Glück ist bei Jungs oft nicht so präsent"

Eigentlich müssten Mädchen mit diesen Kommunikationsskills die besseren Chefs sein.

Wahrscheinlich, ja.

Warum werden sie es trotzdem nicht?

Frauen kooperieren gerne, Männer gehen in Konkurrenz. Mit Kooperation kommt man in unserem Wirtschaftssystem aber nun mal nicht so leicht nach oben, wegen dieses ganzen uneffizienten Hackordnungsmists. Gleichzeitig müssten Frauen auf ihrem Weg nach oben viel mehr Energie aufbringen als Männer, um die gesellschaftlichen Schranken zu durchbrechen. Darauf haben sie - vollkommen nachvollziehbar - oft keine Lust.

Macht Männern der Hackordnungsmist denn wirklich Spaß?

Mir jedenfalls nicht. Ich finde es oft sehr langweilig und verstehe es auch gar nicht.

Fehlt diese Lust daran, in die Konkurrenz zu gehen, den Frauen im Leistungssport auch?

Ja, Frauen sind auch im Sport weniger ehrgeizig. Da gibt es dieses berühmte Beispiel, dass zwei Brüder anfangen, den Ball hochzuwerfen. Sagt der eine: "Ich werf ihn hoch bis zur Decke". Der andere: "Ich bis zum Baum" - "In den Himmel!" - "Bis zum Lieben Gott!!". Zwei Schwestern machen das gleiche Spiel und sagen: "Guck mal, ich werf den Ball genauso hoch wie du!" Und beide sind glücklich. Ich glaube, die Frage nach dem Glück ist bei Jungs manchmal gar nicht so präsent.

Was können Frauen besser als Männer?

Sie nehmen sich die Dinge mehr zu Herzen. Wenn man bei ihnen im Herzen als Trainer angekommen ist, kann man sich auf ein Frauenteam richtig gut verlassen, da ziehen dann wirklich alle mit. Bei Männern ist alles cooler und kurzweiliger, Egosachen spielen eine größere Rolle, allein die Startaufstellung, das ist für Männer unglaublich wichtig. Dabei ist es beim Hockey mit den vielen Wechseln ganz egal, ob man in der dritten oder in der fünften Minute spielt.

Ist es mit Frauen also einfacher, einen guten Teamgeist zu entwickeln?

Nicht unbedingt. Sportteams sind genau dann richtig gut, wenn nicht Friede-Freude-Eierkuchen herrscht. Frauen suchen tendenziell mehr nach Harmonie als Männer. Harmonie klingt sehr positiv, kann aber auch eine Grenze sein, die dich zurückhält. In Frauenmannschaften besteht immer die Gefahr von zu viel Friede-Freude-Eierkuchen und zu wenig Ambition. Deshalb heißt es auch, dass man kein guter Trainer mehr ist, wenn man über zehn Jahre nur Frauen trainiert hat.

Weil man sich zu schnell zufriedengibt?

Die Gefahr ist, dass man mit der Zeit den Blick dafür verliert, was eigentlich möglich ist. Das bekommt man bei Männern viel eher hin, weil sich Männer in ihrem Konkurrenzwahnsinn fast automatisch ans Limit treiben. Bei Frauen lässt die Intensität immer wieder nach. Und dann wird man auch als Trainer genügsamer.

Man trainiert nicht mehr am Limit?

Ja. Frauen haben oft auch ein anderes Empfinden, was die Qualität ihre Spielhandlungen angeht. Männer sind da sehr präzise, Frauen reicht es schon, wenn die Richtung irgendwie stimmt. Auf Topniveau ist diese fehlende Präzision fatal.

Was interessant ist, weil Frauen gleichzeitig oft mehr an sich selbst zweifeln.

Leider. Frauen haben einen riesen Nachteil, weil sie ganz oft "Ich kann das nicht" denken. Das merke ich schon bei meinen Töchtern, fünf und sieben Jahre alt. Wenn ich der Großen mit dem Fußball auf den linken Fuß spiele, dann sagt sie erst mal "Nee Papa, das kann ich nicht". Als hätte sie eine Schranke im Kopf. Ein guter Trainer muss genau an diese Schranke ran, er muss sie öffnen und die Spielerin hindurchtreiben. Aber wenn dieser gute Trainer nicht da ist und die Schranke zu lange geschlossen bleibt, dann geht sie irgendwann nicht mehr auf.

Noch mal das Beispiel Hockey: Es gibt wirklich viele Frauen, die sogar im Hochleistungshockey nicht richtig schlenzen können, also diese nicht ganz einfache Technik, den Ball mit einer Drehbewegung am Körper vorbei zu beschleunigen. Diese Frauen haben es meist schon ganz früh ausgeschlossen, das überhaupt lernen zu können. Was ein absoluter Blödsinn ist, natürlich können Mädchen das genauso lernen wie Männer. Aber sie stellen fest: Ich kann das nicht. Und hören auf zu üben. Jungs stellen fest, dass sie es nicht können, ärgern sich innerlich - und fangen wortlos an zu übern. So lange, bis es klappt. Und natürlich verallgemeinere ich auch an dieser Stelle wieder.

In der Berufswelt wird oft beklagt, dass Frauen das Spielerische fehlt. Stattdessen gelten sie schnell als verbissen.

Na ja, dass liegt womöglich daran, dass überhaupt nur der Typus Frau, der sehr ehrgeizig ist, im bestehenden System nach oben kommen kann. Die Frauen, die lockerer sind und auch mal "Ja mei" denken können, die setzen sich nicht gegen den männlichen Konkurrenten durch. Die bleiben in der klassischen Karrierehierarchie eher unten. Die Frau muss ja heute immer noch viel besser sein als der Mann, um nach oben zu rutschen. Der Filter fischt die Entspannten schon ganz unten raus. Und klar, siehe oben: Wenn man sich in bestimmten Bereichen nicht wirklich reinbeißt, kann man eben auch nicht richtig gut werden.

Die Beobachtung all dieser Unterschiede zwischen den Geschlechtern, erst als Trainer, jetzt auch als Vater und Chef, hat Sie das eher zum Feministen gemacht oder eher nicht?

Ha, nein, ein Feminist bin ich nicht. Wobei es natürlich darauf ankommt, was der Begriff bedeuten soll. Fest steht jedenfalls: Ich finde die Frage, wie man aus Männern und Frauen bessere Teams machen kann, eine der spannendsten der Welt. Und da interessiert mich natürlich auch die feministische Perspektive.

Markus Weise, 53, kümmert sich seit November 2015 als "Leiter Konzeptentwicklung" um den Aufbau der neuen DFB-Akademie in Frankfurt. Zuvor war er fast zehn Jahre lang Bundestrainer der Deutschen Hockeynationalmannschaft der Herren, mit der er 2008 in Peking und 2012 in London olympisches Gold gewann. Die deutschen Hockeydamen hatten mit ihm als Trainer bereits 2004 in Athen Olympiagold gewonnen. Weise lebt mit seiner Familie in Hamburg und arbeitet in Frankfurt.

"Wie viel Gleichberechtigung brauchen wir noch?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde unseres Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Das folgende Dossier soll sie beantworten.

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