Gleichberechtigung:Frauen sind mehr als Mütter oder Opfer

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Symbolbild (Foto: Frank Romero/Unsplash)

Dennoch dominieren diese beiden Gruppen in Deutschland die Diskussion über Geschlechterverhältnisse. Warum in Frankreich die "Me Too"-Debatte schon längst weiter ist.

Gastbeitrag von Cécile Calla

Deutschland fehlen die Frauen. Ich vermisse sie im Parlament, im diplomatischen Dienst, in Vorständen, in Zeitungsartikeln und Fernsehdebatten, aber auch in Diskussionen mit Freunden. Viele der Lebenserfahrungen und Themen, die Frauen bewegen, finden hierzulande wenig Resonanz. In der Folge wird die Gesellschaft zu wenig von und für Frauen gestaltet. Es ist, als ob der Feminismus und alles, wofür der Hashtag #MeToo seit einem Jahr steht, für den Großteil der Bevölkerung keine Rolle spiele. Doch das stimmt nicht: Die "Me Too"-Debatte war der Aufruf zu einer gesellschaftlichen Revolution. In Deutschland blieb dieser größtenteils im medialen und kulturellen Milieu hängen.

In meinem Heimatland Frankreich hingegen löste er eine Art Großbrand aus. Massenweise fingen Frauen an, über ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Sexismus zu sprechen, die Medien folgten prompt, das Thema wurde überall und zwischen den Generationen besprochen. Bald fielen die Namen bekannter und unbekannter Männer, denen man fehlerhaftes Verhalten vorwarf. "Me Too" wurde derart politisiert, dass Präsident Emmanuel Macron die Gleichberechtigung zur Priorität seiner Amtszeit erklärte. Von der Bundeskanzlerin hat man bis heute keine Rede gehört, in der sie sich dazu geäußert hätte. Einen einzigen Kommentar ließ sie im Dezember 2017 von ihrem Sprecher auf Twitter veröffentlichen.

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Die Kanzlerin war nie Feministin. Aber gerade weil niemand darüber spricht, dass Deutschland schon so lange von einer Frau gelenkt wird, ist sie für junge Frauen wichtig.

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Allerdings erklärt sich das unterschiedliche Echo der "Me Too"-Debatte in Deutschland und Frankreich nicht dadurch, dass die Französinnen mutiger wären. Machogehabe und Toleranz gegenüber übergriffigem Verhalten, das als Flirt oder Verführung gedeutet wird, sind hier weniger verbreitet beziehungsweise schon länger verpönt als in Frankreich. Die Widerstände gegen die Emanzipation liegen in Deutschland woanders: Ein Blick in die Statistiken zur unterschiedlichen Bezahlung von Männern und Frauen, zum Frauenanteil in Vorständen oder im der Politik zeigt, dass Deutschland nur im europäischen Mittelfeld rangiert.

Immerhin ist in Deutschland der sehr kleine Anteil von Frauen in Vorständen Thema

Im öffentlichen Diskurs über das Verhältnis der Geschlechter dominieren auf Seiten der Frauen zwei Gruppen das Bild: Mütter und Opfer. Vereinbarkeitslüge, Stillfeindlichkeit, G 8, alternative Schulen, Erziehungsmisere - so die Themen der einen Seite - stehen sexuelle Belästigung, Übergriffe in der Öffentlichkeit, Sexismus und die Forderung "Nein heißt Nein" gegenüber. Was aber wünscht sich die Frau, die keine Mutter ist oder sich nicht ausschließlich als solche empfindet und sich nicht als potenzielles Opfer betrachten möchte? Die Frau als mündige, individuelle Person bleibt im Dunkeln.

Immerhin hat man in Deutschland in den vergangenen Jahren verstärkt über den sehr kleinen Anteil von Frauen in Vorständen gesprochen (12,1 Prozent). Seit 2016 müssen börsennotierte Unternehmen bei einer Neubesetzung im Aufsichtsrat eine Frauenquote von 30 Prozent einhalten. Aber ein Paritätsgesetz für eine Frauenquote in der Politik ist noch immer nicht in Sicht, obwohl der Anteil von Frauen im Bundestag bei 30,9 Prozent liegt.

Es ist erstaunlich, dass kein Aufschrei durchs Land geht, obwohl die Hälfte der Bevölkerung noch nicht einmal mit einem Drittel der Abgeordneten im Parlament vertreten ist. In Frankreich gibt es seit 2001 ein Paritätsgesetz, auch weil damals viel zu wenige Frauen Abgeordnete waren - in der Nationalversammlung hatten sie gerade einmal einen Anteil von 10,9 Prozent. Seit 2017 sitzen 39 Prozent Frauen im Parlament und auf regionaler und kommunaler Ebene oft mehr als 40 Prozent.

In Frankreich diskutiert man viel heftiger über Fragen weiblicher Körperlichkeit

Aber auch abseits von Politik und Wirtschaft, dort, wo es um persönliche Lebensentwürfe geht, ist die Debatte in Deutschland nach wie vor von traditionellen Geschlechter- und Familienvorstellungen geprägt. In der Reproduktionsmedizin zum Beispiel: Nach wie vor sträubt sich der Gesetzgeber anzuerkennen, wie wichtig es für Frauen sein kann, ihre Eizellen einfrieren zu lassen. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Aber jeder Frau sollte es durch finanzielle Unterstützung ihrer Krankenkasse ermöglicht werden, ihren Kinderwunsch auch später noch zu erfüllen. Das gilt im Übrigen auch für alleinstehende Frauen und lesbische Paare, denen die Behandlung für künstliche Befruchtung noch immer häufig verwehrt wird.

Cécile Calla, 40, ist französische Journalistin und Autorin. Sie lebt seit 2003 in Berlin. (Foto: privat)

Frankreich plant die Legalisierung der Eizellenkonservierung und die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung ausdrücklich für alle Frauen, auch für lesbische und alleinstehende. Man diskutiert dort viel heftiger über Fragen weiblicher Körperlichkeit, seien es die Kosten für Binden und Tampons oder die Gewalt, die Gebärende manchmal in Kreißsälen erleben. Hierzulande bleiben solche Themen im Hintergrund, von vielen ungehört.

Die soziale und kulturelle Bedeutung sexueller und leiblicher Erfahrungen wird in Frankreich auch von Leitmedien als politischer Stoff verstanden und entsprechend breit besprochen. Die Tageszeitung Le Monde beispielsweise initiierte vor wenigen Wochen eine große Debatte über die Klitoris mit Beteiligung einer Historikerin, eines Chirurgen, einer Youtuberin und einer Zeichnerin. Camille Froidevaux-Metterie, eine Politologin, die zur weiblichen leiblichen Erfahrung forscht, spricht von einer "Genitalwende" in der Geschichte der Emanzipation. Aus ihrer Sicht bilden die aktuellen Diskussionen über den weiblichen Körper die letzte Stufe der Emanzipation, nachdem Frauen politische und wirtschaftliche Mitbestimmungsrechte sowie die Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit errungen haben.

Schon seit einiger Zeit spricht man in Frankreich außerdem offen und öffentlich über den Femizid, die Tötung von Frauen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht. Diese Debatte ist so traurig wie notwendig. In Deutschland fängt sie gerade erst an.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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