La Boum:Unter Kühen

Lesezeit: 2 min

(Foto: Steffen Mackert)

In Paris ist Landwirtschaftsmesse. Beziehungsweise einwöchiger Nationalfeiertag mit Tieren. Eine gute Gelegenheit für manche Politiker, ihre Fehler einfach wegzustreicheln

Von Nadia Pantel

Das erste Mal habe ich Marine Le Pen am 7. Mai 2017 gesehen. Sie hatte gerade die Präsidentschaftswahl verloren und tanzte so etwas wie Discofox. Bis zu diesem Abend kannte ich Le Pen nur aus ihren Fernseh-Interviews, in denen sie Journalisten spüren lässt, dass sie jede gestellte Frage dumm findet. Ich kannte sie also vor allen Dingen als aggressive Angriffspolitikerin, als jemanden, der ständig davon redet, dass in Frankreich alles immer schlechter werde. Als sie da tanzte, sah ich etwas anderes. Eine Frau, die den Untergang predigt, aber selber hervorragende Laune hat. Beides hängt ja zusammen - je mehr Leute ihr glauben, dass Frankreich sich selbst zerstört, indem es Flüchtlinge aufnimmt oder sich an EU-Regelungen hält, desto besser läuft es für Le Pen. Es gilt: schlecht gelauntes Frankreich gleich gut gelaunte Le Pen.

Am Mittwoch stand ich am Rand dabei, als Marine Le Pen auf dem Salon de l'Agriculture Kühe streichelte. Man könnte den Salon de l'Agriculture eine Landwirtschaftsmesse nennen, aber eigentlich ist er viel mehr. Er ist eher ein einwöchiger Nationalfeiertag. Aus jeder Region des Landes werden die schönsten Schafe, Schweine und Kühe angekarrt, die Besucher fotografieren ihre Kinder mit Kälbern und dann essen alle gemeinsam die Wurst, den Schinken und den Speck, den sie gerade noch streicheln wollten. Will man als Politiker beweisen, dass man das Land versteht, liebt und fühlt, dann kommt man um den Salon de l'Agriculture nicht drumrum. Und weil gerade Wahlkampf ist und es weniger um konkrete Politik geht, sondern sehr viel um Verstehen, Lieben und Fühlen, muss jeder Kandidat eine Kuh anfassen.

Marine Le Pen gab bei ihrem Salon de l'Agriculture-Besuch ein Interview neben der Kuh Neige. Beide standen im Stroh, Neige erleichterte sich erst fest, dann flüssig, Le Pen zuckte mit keiner Wimper. Sie verstand, liebte und fühlte. "Schaut mal, da steht Putins Tochter", rief ein Mann im Vorbeigehen. Le Pen brüstet sich gern mit ihrem guten Draht in den Kreml, 2017 hatte sie ihre Kandidatur offensiv von Wladimir Putin unterstützen lassen. Theoretisch könnte man jetzt eingestehen, dass das ein Fehler war, oder man könnte sich neben ein Kuh stellen und lachen und strahlen. Marine Le Pen entschied sich für Option zwei. Ihre gute Laune lässt sie sich nicht mehr nehmen.

Dabei wird bei der großen Kuh-Show gefeiert, was Le Pen sonst eher ein Dorn im Auge ist: Diversität. Es gibt blonde und schwarzhaarige Kühe, riesige und ziemlich kleine, eine Züchtung aus dem Norden schimmert blau, jede Kuhfamilie ist einzigartig, gemeinsam sind sie die große französische Kuh-Nation. Mit Schweinen und Schafen fotografieren sich übrigens nur Familien, aber keine Politiker. Dabei sind Schweine sehr schlau und Schafe sehr weich, aber wenn man Politiker neben ihnen sieht, liegen die Schimpfworte einfach zu nahe.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

La Boum
:Die Übersehenen

Unsere Kolumnistin gedenkt des bekannten Fotografen René Robert, der nach einem Infarkt auf einer Pariser Straße erfroren ist. Passanten hatten ihn einfach liegen gelassen.

Von Nadia Pantel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: