La Boum:Nature is healing

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(Foto: Steffen Mackert)

Kalte Mozzarella-Sticks statt selbstgemachter Brioche: Unsere Kolumnistin isst wieder draußen. Und fragt sich, was wirklich besser ist.

Emmanuel Macron verbringt anscheinend sehr viel Zeit im Internet. Dort schaut er sich an, was die Franzosen interessiert, was ihnen gefällt, worüber sie in Rage geraten. Im Internet findet man viel Rage und außerdem eine steigende Anzahl von Koch- und Backvideos. Sicherlich gibt es auch so etwas wie einen "Angry Cooking Channel", auf dem Menschen ihre Wut in Soßen einrühren und aus Selbsthass eine Dose Pilze öffnen. Wenn jemand solche Videos kennt, dann Macron, über den mir eine seiner Mitarbeiterinnen mal sagte: "Er sieht alles, er liest alles." Doch irgendwann im Frühjahr hielt selbst Macron dieses Internet nicht mehr aus. So stand es vergangene Woche im Nachrichtenmagazin Nouvel Obs.

Als der Präsident "die Zunahme von Koch- und Bastelvideos im Netz beobachtete", habe er sich entschieden, das Land "zügig aus dem Lockdown zu führen". Die Explosion der Hauswirtschafts-Tutorials habe der Staatschef als "Zeichen gedeutet, dass die Franzosen dabei seien, sich in einer künstlichen Lebenswelt einzurichten". Da gehen die Menschen seit Jahrhunderten auf die Straße, brüllen Parolen und zünden manchmal sogar etwas an, damit die Politik sie wahrnimmt, und dann reichen ein paar Fermentier-Tipps, damit die Staatsspitze nervös wird. Vielleicht hatte auch schon der erste Berater vorgeschlagen, im Élysée ein paar der samtbezogenen Sessel durch lustig zersägte Holzpaletten zu ersetzen. Da kann einem schon mal, um es mit einer der rätselhaftesten deutschen Redewendungen zu sagen, der Hintern auf Grundeis gehen.

Nun sind also die Bars und Restaurants und Kinos und Museen wieder auf und die Menschen nehmen das zurückgekehrte Konsumangebot freudig an. Ich habe neulich abends zum Beispiel kalt gewordene, vor Stunden frittierte Mozzarella-Sticks in krümeliger Panade gegessen und mich dabei gefragt, ob all diese Videos wirklich schlimmer waren. Doch um mich herum saßen Menschen, die keinen Käse zum Alkohol bestellt hatten und ich muss zugeben: Sie waren sehr gut gelaunt. Soweit ich das belauschen konnte, sprach niemand über selbstgemachte Marmelade. Nature is healing.

Nur leider ist auch bei mir zu Hause die "künstliche Lebenswelt", in der wir uns eingerichtet hatten, stark auf dem Rückzug. Vor ein paar Monaten hätte ich noch jedem empfohlen, Kurse in der Kochschule "Le Cordon Bleu" zu verschenken. Mein Freund hatte dort im Januar gelernt, wie man es schafft, drei Pakete Butter in nur einer Brioche unterzubringen. Natürlich bin ich froh, dass er keinen Podcast begonnen hat, in dem er über Teig spricht, als sei es der Nahostkonflikt, irre kompliziert. Doch es gibt nicht nur keinen Podcast, sondern auch keine Brioche. Die Welt da draußen lockt, und im "Cordon Bleu" haben sie ihm eingeredet, dass man Teig vier Stunden kneten muss. Vielleicht arbeiten Élysée und "Cordon Bleu" zusammen. Kochen ist was für Experten, weg vom Herd, raus zu den Mozzarella-Sticks.

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Paris-Kolumne
:La Boum

Nadia Pantel ist SZ-Korrespondentin in Frankreich. Über ihr Leben in Paris schreibt sie jeden Freitag die Kolumne "La Boum". Hier gibt es alle bisher erschienenen Folgen zum Nachlesen.

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