
Der VerkäuferWas hat Frank Schätzing für eine Jeansgröße? 30 oder 32? Die Verlagsfrauen sind da nicht so sicher. Warum hat die Jeans ein Loch am linken Knie? Wer macht ihm die Haare so schön? Und wo hat er nur diese Bomberjacke mit der US-Flagge her? Ja, dieser Frank Schätzing ist ein Phänomen, über das die Branche halb höhnisch, halb bewundernd tuschelt. Sogar als Unterwäsche-Modell macht er jetzt Karriere. Auf dem Blauen Sofa hat der Kölner auf jede Frage eine plausible Antwort, als er seinen neuen 1300-Seiten Wälzer "Limit" vorstellt. Im rheinischen Singsang plaudert er über seine literarischen Visionen - ein Fahrstuhl zum Mond, das wär 'ne feine Sache, das würde Energie sparen, man bräuchte dazu nur das passende Seil. Für den größten Geostrategen der Buchmesse ist nichts unmöglich. Demnächst soll sein Bestseller "Der Schwarm" verfilmt werden, 180 bis 200 Millionen Dollar kostet die Produktion. "Man darf da keine Kompromisse machen", sagt Schätzing. Brad Pitt sollte sich schon mal bereit halten für den großen Unterwasser-Einsatz.Foto: dpa

Die SpielerinXiaolu Guo hat einen Roman über die einfachen Leute vom Land geschrieben - eine amüsante Provinzposse aus Südchina, die aus lauter Polizeiprotokollen besteht. "Ein Ufo, dachte sie", heißt das Buch, das die Autorin und Filmemacherin jetzt am Knaus-Stand vorstellt. Ganz alleine sitzt sie da, denn Xiaolu Guo, die seit 2002 in London, Paris und Peking lebt, zählt nicht zum offiziellen Tross der chinesischen Schriftstellerdelegation, sie hat also keine Aufpasser. Ihr neues Buch wird wohl nicht in ihrer Heimat erscheinen dürfen, dafür macht sich die Autorin über zu viele Dinge lustig. Als Dissidentin versteht sich die 36-Jährige aber auch nicht. Sie wehrt sich gegen jegliche Einordnung: "Ich bin eine Anarchistin, ein Punk aus der Provinz, ein Joker." Und, wie sieht sie das China der Gegenwart, das sich so großmächtig auf der Messe präsentieren darf? "Selbst die Chinesen werden China nie verstehen. Warum sollten es dann die Europäer tun?" Als der Fotograf kommt, zieht Xiaolu Guo die knallrote Kunstlederjacke an, sie beherrscht das Spiel, sie kennt ihre Wirkung. Zugleich flucht sie auf eine Art, die einem fast Angst macht: "Any fucking Chinese feels the bitterness." Ihre Wut muss ja raus, so wie die Wut der Menschen in ihrem Buch. Sollen doch die anderen langweilige historische Romane schreiben, Guo liebt dagegen Bukowski und Salinger. Auch das ist China.Foto: Michael Hauri

Die TortenfrauÜberraschung: Sarah Wiener kocht ja gar nicht! Dafür ist jetzt nicht die Zeit. Sie sitzt einfach nur kokett auf einer dieser blitzenden Monsterküchen und redet und redet. Der Andrang in der neuen Gourmet-Gallery ist groß, weil alle davon ausgehen, gleich in den Genuss von Esterhazy-Schnitten zu kommen, man muss ja auch als Büchermensch mal was Nahrhaftes zu sich nehmen. Die Fernsehköchin und Catering-Unternehmerin verkauft auch Bücher ("La Dolce Wiener"), in denen sie ihre schönen Beine und nicht minder ansehnliche Speisen vorstellt. Die Beine wirft sie hin- und her, als sie vom "Wunder der Tortenbildung" erzählt. "Wir haben viele Schwächen in Österreich, aber wir haben auch die Mehlspeisen." Thomas Bernhard hätte das kaum besser sagen können.Foto: Michael Hauri

Der Talkshow-ProfiMan merkt, dass Jan Josef Liefers ein professioneller Öffentlichkeitsarbeiter ist, der sämtliche Tricks beherrscht - die kalkulierte Verzögerung, bevor der Lacher kommt, die weich dahinfließende Gestik, den Eindruck des eigenen Erstaunens. Liefers zählt zu jener Gruppe von singenden und schriftstellernden Schauspielern, deren Mitteilungsbedürfnis grenzenlos ist. "Soundtrack meiner Kindheit" heißt seine Autobiographie. Es ist, passend zu diesem wendefreudigen Bücherherbst, eine persönlich angehauchte DDR-Geschichte. Die Hauptanekdote hat er nun schon in einigen Talkshows erzählt, aber auch in Frankfurt, wo der Autor einen feinen grauen Anzug zum lila T-Shirt trägt, funktioniert sie perfekt. Es war am 4. November 1989, als der junge Liefers auf dem Alexanderplatz eine Rede für die Demokratie und gegen die Anmaßung der Bonzen hielt. Nach seinem umjubelten Auftritt, als er einen Moment allein sein wollte, traf er hinter den Kulissen einen höflichen Herrn, "sehr gutaussehend, fast wie Paul Newman". Es war Markus Wolf, genannt Mischa, der Meisterspion des untergehenden Systems, der große Unbekannte. "Er bot mir ein Stück Pflaumenkuchen an." Bedeutungsschwere Pause, großes Drama. "Da wusste ich: Das ist das Ende der DDR."Foto: dpa

Der LokalpoetRainer Weisbecker hat einen Gedichtband veröffentlicht: "Erotik, Blues und alte Grießbrei". Das ist kein Verschreiber, sondern Frankfurterisch. Nun steht der schmächtige Herr mit dem Schnurrbart in Halle 3.0, wo all die Großschriftsteller eine Wolke der Wichtigkeit hinterlassen. Weisbecker ist hessischer Mundartdichter. Seit 2001 kann er von seiner Kunst und seinen Büchern leben, 16 Auftritte hat er allein im Oktober. Und, wie viel Erotik steckt in seinem neuesten Werk? "Ach, der Titel", sagt der Autor und grinst verlegen. "Sex sells, haben die Verlagsleute gesagt. Ich geh' aber nicht so sehr unter die Gürtellinie." Die Buchmesse empfindet Weisbecker als Reizüberflutung; deshalb bleibt er lieber am Stand und bei seinen vom Äppelwoi inspirierten Werken, die in einer Erstauflage von tausend Stück erscheinen. "Mir reicht mein kleiner Frankfurter Ruhm - es ist schön, wenn man nicht belästigt wird." Aber was hat es mit dem Grießbrei auf sich? Die Antwort ist Poesie: "Merr habbe dehaam en alte Grießbrei. De Vadder sächt: ,Den schütte merr ins Klo nei. Die Mudder sächt: ,Den duhn merr behalte, den Grießbrei, den alte."Foto: Michael Hauri

Der VerwandlungskünstlerWolf Haas macht es kürzer als seine Kollegen. Er liest eine einzige Seite aus seinem Roman "Brenner und der liebe Gott" vor, der siebte Teil einer Serie, die von einem Ermittler handelt, der dem Wahnsinn auf der Spur ist. "Es ist eine interessante Herausforderung, dass mir die Leute nicht nach einer Viertelstunde wegschlafen. Das Aufmerksamkeitserhaschen ist mir wichtig", sagt er. Kürzlich las er in Wien, vor 3000 Menschen, und auch hier sind sie wie gebannt, als sich Haas in seine Figur, den Brenner verwandelt. Sein Kopf scheint etwas tiefer in den Körper zu sinken, der Mann auf dem Sofa wirkt plötzlich vollkommen vernebelt und zugleich komplett von sich überzeugt, als er seine merkwürdigen Satzgebilde ausstößt. Gleich darauf ist Haas wieder Haas, ein sympathischer Österreicher, der über "Sprachtheoretische Grundlagen der konkreten Poesie" promoviert hat. Was Literatur doch alles bewirken kann.Foto: Michael Hauri

Die NobelpreisträgerinSie ist nicht zu sehen, denn vor dem 3sat-Studio haben sich hunderte Neugierige eingefunden, dazu mindestens 50 Fotografen. Die Leute strecken die Arme in die Höhe, um Herta Müller wenigstens mit der Kamera des Mobiltelefons einzufangen, ein paar kauen dabei Wurstbrote. Dann spricht die Autorin, offenbar hat sie ihre kurzfristige Erkrankung überwunden. "Es war nur der Magen, nicht der Kopf", sagt Müller, die bemüht ist, ihre Bedeutung nach dem Nobelpreisgewinn herunterzuspielen: "Es sind ja alle anderen mehr aufgeregt als ich." Erleichterung bis in die hinterste Reihe: Die Nobelpreisträgerin hat Humor! Anschließend lässt sie den Moderator, einen verständnisvollen älteren Herrn, bei jeder Frage fürchterlich auflaufen. Ob sie, die Heimatlose, in der deutschen Sprache eine Heimat gefunden habe? "Sprache ist keine Heimat, man nimmt eine Sprache ja mit in ein anderes Land." Herta Müller bildet präzise, harte Sätze ohne schmückendes Beiwerk; Smalltalk ist nicht ihr Ding. Mit 15 lernte sie Rumänisch, "ich habe die Sprache gelernt, als würde ich sie essen. Es hat mir geschmeckt." Sie berichtet von ihrer besorgten Mutter, die sich bis heute fragt, warum ihre Tochter sich so quält beim Schreiben. "Sie hat Angst, ich mache mir die Nerven kaputt. Das stimmt ja. Es ist schon eine seltsame Art von Arbeit, was ich da mache." Jetzt lacht keiner mehr.Foto: dpa (SZ vom 17.10.2009/bre)