Fotos von Zwillingen:"Als Kinder hatten wir oft denselben Traum"

Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Oft denken und fühlen sie dasselbe, ohne darüber reden zu müssen. In der Fotoreihe "Same but Not" hat Fotografin Annette Schreyer Zwillinge porträtiert - in der wohl spannendsten Phase ihrer Entwicklung.

Von Tanja Mokosch

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Quelle: Annette Schreyer/Luz

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Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Oft denken und fühlen sie dasselbe, ohne darüber reden zu müssen. In der Fotoreihe "Same but Not" hat Fotografin Annette Schreyer Zwillinge porträtiert - in der wohl spannendsten Phase ihrer Entwicklung.

Über drei Jahre hinweg hat Annette Schreyer Zwillingspärchen wie Margherita und Caterina aus Chieri in Italien fotografiert. Wie die beiden Schwestern sind auch alle anderen Modelle der Fotoreihe im Pubertätsalter. Also in jenem Alter, in dem die Spannung zwischen individuellem und gemeinsamem Dasein am größten ist, sagt Schreyer. Die 39-Jährige ist selbst ein eineiiger Zwilling.

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Im Foto zeigen sich Esther und Ruth aus München. Farblich zwar abgestimmt aber in unterschiedlicher Pose - und in einiger Distanz zueinander.

Für Schreyer und ihre Zwillingsschwester war Distanz auch im Erwachsenenalter ein schwieriges Thema: Bis zum Diplom in Dramaturgie haben sie beinahe alles zusammen gemacht. Heute lebt Annette Schreyer als Fotografin in Rom und München, ihre Schwester ist Dramaturgin und Regisseurin in Kanada.

Gemeinsam haben die beiden überlegt, wie man den besten Zugang zum Zwillings-Thema findet, um die Trennung besser zu verarbeiten. Schnell war klar: Man muss den Zeitpunkt treffen, an dem die beiden angefangen haben, sich zu unterscheiden und unterschiedlicher zu fühlen.

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Mit dem Älterwerden beginnt überhaupt erst die Reflexion über das Zwillingsein. So war es zumindest bei Norma und Giulia aus Mailand. Die Teenager sitzen in einem Baum und blicken sich vertraut, aber auch fragend an. Dass sie so vieles gemeinsam haben, war im Kindesalter selbstverständlich, später entdecken sie das Besondere daran:

"Als wir in die Pubertät kamen, haben wir mit Erstaunen festgestellt, dass wir als Kinder oft denselben Traum hatten: Wir standen oben an der Wendeltreppe, dann rollten wir uns zusammen und kugelten die Stufen hinunter - aber ohne uns wehzutun! Alles war blau und lila", sagen sie.

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Äußerlich unterscheiden sich Giulia und Martina aus Mailand im Teeangeralter noch kaum - gleiche Brille, gleiche Frisur. Dass irgendwann jedes der Mädchen seine eigene Person werden muss, ist ihnen bewusst: "Eine eigene Individualität zu entwickeln, ist für jeden wichtig. Ewige Symbiose hilft nicht, erwachsen zu werden. Das gilt für Zwillinge genauso wie für Seelenverwandte", sagt Giulia.

Sie wissen aber, dass manche Dinge sie auf unerklärliche Weise immer verbinden werden: "In der fünften Klasse mussten wir einen Aufsatz schreiben. Sie in der einen Klasse, ich in der anderen", sagt Martina. "Nicht nur, dass wir das gleiche Thema wählten, sondern wir schrieben es praktisch auf genau dieselbe Weise, bis in die kleinsten Einzelheiten, die man sich als Kind vorstellen kann."

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Benedetta und Aurora aus Campobasso posieren intuitiv beinahe spiegelverkehrt.

Gleich denken, fühlen, handeln - unbewusst und ganz unabhängig voneinander. Erfahrungen, die Schreyer bestätigen kann, auch noch nach zehn Jahren, die sie bereits von ihrer Schwestern getrennt lebt. "Wenn ich einen Satz anfange, kann meine Schwester ihn ohne Weiteres zu Ende bringen. Wir können beinahe über Stichwörter kommunizieren. Wenn ich eines vorgeben würde, wüsste ich, meine Schwester hätte genau die gleichen Bilder vor Augen."

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Die Fotografin ist sicher, dass ihre Bilder bei Zwillingen und Nicht-Zwillingen ganz unterschiedliche Reaktionen hervorrufen: "Zwillinge stellen sich ganz andere Fragen, wenn sie diese Bilder sehen", sagt sie. Und: Sie begriffen schneller, wie die abgebildeten Zwillinge zueinander stehen - ganz intuitiv.

Die Schwestern Francesca und Valentina aus Catania wissen, wovon die Fotografin spricht: "Ein Zwilling zu sein, bedeutet, durch ein transzendentes, symbiotisches Band verbunden zu sein - etwas, das man nicht verstehen kann, wenn man keinen Zwilling hat. Meine Zwillingsschwester ist für mich wie mein Arm oder mein Bein. Ein Teil von mir selbst", sagt Valentina.

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Federica und Giulia aus Catania unterscheiden sich für den Betrachter nur durch einen Träger am Top - beinahe wie in einem Suchbild. Selbstbewusst posieren die beiden als Einheit für die Fotografin.

"Wie eine Burg", seien auch Anette Schreyer und ihre Schwester aufgetreten. Das habe manchmal zu Schwierigkeiten geführt. Ganz besonders in der Pubertät, wenn man anfängt, sich für das andere Geschlecht zu interessieren: "Manchmal haben Männer dann lieber wieder Abstand genommen, weil sie dachten 'Da komme ich sowieso nicht durch.'" Inzwischen helfe den Partnern der beiden der räumliche Abstand der Schwestern: "Wenn ich mir vorstelle, wir würden jetzt noch im gleichen Ort wohnen - da würde ich nicht in deren Haut stecken wollen", sagt die Fotografin.

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Die Drillinge aus Hamburg, Jesse, Janne und Johanna waren für Schreyer ein besonders spannendes Motiv. "Da musste ich gar nicht viel machen", sagt sie. "Ich habe sie einfach ihre Position finden lassen."

Automatisch habe der Junge im Vergleich zu den Mädchen einen kleinen Abstand gehalten. In dem Alter seien die Mädchen ja meistens etwas weiter in der Entwicklung. "Deswegen wirkte er vielleicht auch noch ein bisschen, als lebe er auf einem anderen Stern", sagt Schreyer.

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Gabriele und Francesco aus Formia in Italien lassen wenige Millimeter zwischen sich. Eine Sache, die Annette Schreyer immer wieder aufgefallen ist: Mädchen hätten eher die Tendenz, sich zu berühren, sagt sie. Bei den jungen Männern sei das kaum vorgekommen. "Das ist für die Jungs bestimmt ein noch komplexeres Thema in der Pubertät - das Ausformen der eigenen Männlichkeit."

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Natürlich gibt es auch Ausnahmen wie Luca und Simone aus Sizilien. Die Jungen posieren mit freiem Oberkörper und völlig ohne Berührungsängste.

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Francesco und Alessandro aus Rom wahren körperliche Distanz. Die Verbundenheit steckt in der Pose. Obwohl Fotografin Annette Schreyer ihren Modellen alle Freiheit ließ, nahmen die meisten Zwillinge automatisch ähnliche Haltungen ein.

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Unter den Vierlingen Andrea, Michele, Valentino und Emanuele aus Palagonia ist ein eineiiges Zwillingspärchen (im Bild sitzend).

Schreyer hat während des gesamten Projekts eineiige und zweieiige Zwillinge fotografiert und glaubt nicht, dass die Bindung zwischen den Geschwistern alleine durch diesen Umstand enger wird: "Ich glaube, da spielt eher das gemeinsame Aussehen eine Rolle - der Spiegeleffekt ist bei Eineiigen stärker und deshalb wird man auch von Außenstehenden viel mehr als eine Person wahrgenommen."

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Quelle: Annette Schreyer

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Annette Schreyer und ihre Schwester Birgit: Über hunderte Kilometer hinweg stehen die beiden ständig in Kontakt. In ihren jeweiligen Kunstformen als Fotografin und Dramaturgin setzen sie sich oft mit dem Zwillingsdasein und der räumlichen Distanz auseinander. Wie es sich als Zwilling anfühlt, Dinge alleine zu erleben, bringt Birgit Schreyer-Duarte auf den Punkt:

"Die wichtigsten Dinge haben in dem Moment, in dem man sie alleine erlebt noch gar keine richtige Gültigkeit. Sie werden erst real, wenn man sie der anderen erzählt", sagt sie.

© Süddeutsche.de/tam/olkl/leja
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