Fortpflanzung:Die Debatte ums künstliche Kinderkriegen darf nicht einfach sein

US woman delivers baby from embryo frozen 24 years

Emma Wren Gibson wurde am 25. November 2017 geboren. Sie wurde vor 25 Jahren als Embryo tiefgefroren.

(Foto: AFP)

Ein 25 Jahre lang eingefrorener Embryo provoziert ethische Diskussionen: Alles erlauben, was geht? Alles verbieten, was Ärzte können? Derartig eindeutige Lösungen werden den Menschen nicht gerecht.

Kommentar von Matthias Drobinski

Menschen wünschen sich Kinder. Sie tun das, weil sie die Liebe eines Paares weitergeben wollen oder etwas von ihnen weiterleben soll; vielleicht auch, weil die Familie es erwartet oder jemand seine Gene für so großartig hält, dass es davon einfach zu wenige gibt in der Welt. Manche können auch gar nicht erklären, warum dieser Wunsch da ist und er so übermächtig werden kann, dass Frauen und Männer alles medizinisch Mögliche tun, um ein Kind zu bekommen, egal, welche Folgen das hat, wie teuer das wird - und manchmal auch, ob es legal ist oder nicht.

Wer will einer Frau, einem Mann, einem Paar, den Kinderwunsch verdenken? Wer will Tina und Benjamin Gibson aus Tennessee/USA vorwerfen, dass sie ein Kind haben wollten, und dass, weil Benjamin keine Kinder zeugen kann, Tina sich einen vor 25 Jahren tiefgefrorenen Embryo einsetzen ließ? Sie haben jetzt ein Kind: Emma aus dem Eis. Soweit man das beurteilen kann, sind sie glücklich.

Ohne sie wäre vielleicht nie ein Kind aus den gefrorenen Zellen geworden, sie wären irgendwann aufgetaut worden und zerfallen. Die Welt hätte auch nie von Tina und Benjamin Gibson gehört, wenn nicht zufällig der Embryo, der zu Emma reifte, 25 Jahre lang eingefroren gewesen wäre und damit ungefähr zur gleichen Zeit gezeugt wurde wie Tina, die Mutter. Jetzt wird es den Leuten für einen Moment unheimlich: Soll man alles tun und dürfen, was man kann? Und passt die individuelle Glückssuche der Eltern zum Bild vom Menschen, das ein Land, eine Gesellschaft hat?

Das Unheimliche, sagte Sigmund Freud, ist die Wiederkehr des Verdrängten. Außer dem Alter des eingefrorenen Embryos ist nichts neu an der Geschichte; vom Wesen und vom Geschäft der Reproduktionsmedizin aber dringt selten etwas in die öffentliche Debatte. Dabei verläuft die medizinische und ökonomische Entwicklung beim künstlichen Kinderkriegen in gesellschaftsverändernder Tiefe und Geschwindigkeit. 2015 wurden allein in Deutschland mehr als 20 000 Kinder nach künstlicher Befruchtung geboren, 2011 waren es noch 7000. 2016 führten Ärzte mehr als 100 000 Behandlungen an 65 000 Frauen durch, um Eizellen zu gewinnen oder Embryonen einzusetzen; jeder vierte Embryo war zuvor tiefgefroren.

Der Besuch im Kinderwunschzentrum ist Routine geworden für Paare, die sich spät gefunden haben und den Gegenwert eines Mittelklassewagens ins Schwangerwerden investieren können. In den hippen Vierteln der Städte ist die Zahl der Doppelkinderwagen hoch - bei künstlicher Befruchtung werden häufiger Zwillinge geboren. Die Zahl der Adoptionen geht zurück. Wer es sich leisten kann, macht sein eigenes Kind.

Der Embryo provoziert ethische Debatten

Die ethischen und rechtlichen Bewertungsversuche sind längst abgehängt von dieser Entwicklung. Deutschland hat ein restriktives Embryonenschutzgesetz, das Eispenden und Leihmutterschaft verbietet. Doch wer eine Eispenderin oder Leihmutter sucht, findet sie im Ausland. Die von Sehnsucht und Verzweiflung getriebene Nachfrage ist da, das Geld dazu auch, das treibt den Markt. Die Bilder glückseliger Mütter mit Baby im Arm tun das Übrige.

Verdrängt wird aber die ohnmächtige Trauer jener Frauen, die trotzdem keine Kinder bekommen; nur jede fünfte Behandlung führt derzeit überhaupt zur Schwangerschaft. Verschwiegen werden die Geschichten der Paare, die sich überm Kindererzeugen fremd werden und trennen. Die Bilder vom Glück verschweigen, welch gnadenloser Leistungsdruck dahinter stehen kann: Kinderlos zu sein ist kein Schicksal mehr, sondern ein Zeichen mangelnden Willens und mangelnder ökonomischer Potenz.

Die ethische Debatte übers künstliche Kinderkriegen ist schwierig. Eindeutig wäre nur, alles jenseits der natürlichen Zeugung zu verbieten, wie das die katholische Kirche tut - oder einfach alles zu erlauben, was machbar ist. Beides aber wird den Menschen nicht gerecht. Alles zu verbieten ist angesichts der Entwicklung eine Illusion. Vor allem aber hieße es, Menschen, die sich Kinder wünschen, unterschiedslos den Verzicht aufzuerlegen; dem Leben und der Würde der Eltern wie des Kindes dient das nicht. Alles zu erlauben, das wiederum hieße das Tor zu öffnen für eine auf Menschenoptimierung und Gewinnmaximierung angelegte Reproduktionsindustrie - es wäre eine Horrorvision.

Es bleibt der mühsame Prozess der Abwägung, der kritischen Fragen, des Einspruchs. Und es bleibt die Erkenntnis: Es ist ein Wunder, wenn ein Mensch geboren wird, ob künstlich gezeugt oder natürlich. Doch daraus ein individuelles Recht auf ein Kind abzuleiten, kann ganz furchtbar enden.

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