Süddeutsche Zeitung

Forschung: Prinzip Maiglöckchen:Der Sex der Gerüche

Lesezeit: 4 min

Ob Partnerwahl oder Kaufentscheidung: Gerüche bestimmen immer mit. Ohne Maiglöckchen-Duft wäre die Menschheit ausgestorben. Geruchsforscher Hanns Hatt erklärt, warum das so ist.

Ulrike Bretz

Schweiß, Mundgeruch und stinkende Füße - seit in Diskotheken das Rauchverbot gilt, riecht es auf einmal überall nach Mensch. Aber der neue Disko-Duft hat auch seine Vorteile - das sagt zumindest Geruchsforscher Hanns Hatt: Man muss beim Flirten nicht mehr auf seine Augen vertrauen, sondern kann sich gleich nach der eigenen Nase richten.

Das ist eine Hauptthese Hatts: In Fragen der Partnerwahl ist auf das eigene Riechorgan am meisten Verlass. Der Duft muss passen, wenn sich Menschen aneinander binden. Überall in der Natur spielt die Frage des Geruchs eine bedeutende Rolle.

"Klar ist es angenehm, wenn jemand gut riecht", sagt der Bochumer Professor für Zellphysiologe, aber in der Natur stehe der Spaß nicht an erster Stelle. Deshalb geht es in Hatts Buch "Das Maiglöckchen-Phänomen" um weit mehr als gutes Parfum: "Gerüche haben noch viel tiefgreifendere und subtilere Bedeutungen für unser Leben, als man bisher angenommen hat."

Das Riechen steuert Entscheidungen, lange bevor der Verstand einsetzt - und ohne dass man es bemerkt.

Der Duft von warmem Apfelkuchen

Die Nase schläft nie. Sie riecht immer - und so lange Luft da ist, schwirren auch Duftmoleküle herum. "Mit jedem Atemzug schicken die Riechrezeptoren ein elektrisches Signal ins Gehirn, ins Zentrum der Gefühle", erklärt Hatt. Auch wenn der Mensch gerade einmal 350 Riechrezeptoren hat - eine Ratte hat vier Mal so viele -, analysiert das Gehirn jeden Duft und speichert ihn ab. Und die dazugehörigen Bilder und Emotionen gleich dazu.

Das Gehirn erkennt jeden Duft wieder, den es einmal abgespeichert hat. Experte Hatt: "Wenn wir den Duft wieder aufrufen, wird auch die dazugehörige Stimmung wiederholt." Man kann also gar nicht anders, als bei bestimmten Düften an frühere Erlebnisse zu denken - beim Duft nach Zimt ans Plätzchenbacken oder beim Geruch von Tinte an die eigene Schulzeit.

Auch wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, spielt das Riechen eine wichtige Rolle. Ein Haus, in dem es nach Zahnarzt riecht, will niemand kaufen. Duftet es aber nach frischgebackenem Apfelkuchen, werden positive Gefühle ausgelöst: Erinnerungen an die Großmutter oder die Kindheit auf dem Land.

Dass Gerüche Entscheidungen beeinflussen können, haben auch Marketing-Leute entdeckt. Sie machen sich die unbewussten Assoziationen zunutze - und sorgen dafür, dass vor dem Brotregal im Supermarkt der künstliche Duft nach frischgebackenen Brötchen verströmt wird.

Autohersteller parfümieren den Innenraum mit Neuwagenduft, Kunststoffschuhe werden mit Lederspray auf hochwertig getrimmt, der amerikanische Modetrendladen Abercrombie & Fitch versprüht Parfum der eigenen Marke auf die angebotenen Klamotten. Die Rechnung geht offenbar auf - und man kann nicht viel dagegen tun.

"Wasche dich nicht, ich komme"

Auch bei der Partnerwahl lassen sich die Menschen vom Duft locken. "Der Körpergeruch kommt immer durch", sagt Hatt - ob es einem gefällt oder nicht. Napoleon soll seine Frau Joséphine mit den Worten "wasche dich nicht, ich komme" auf seine Ankunft vorbereitet haben.

Menschen senden dauernd unbewusste Riechbotschaften aus. An den Körperstellen, an denen es warm und feucht ist, fliegen besonders viele Duftmoleküle umher. Wenn dieser fremde Geruch mit dem eigenen Körpergeruch, den man selbst nicht wahrnimmt, überhaupt nichts gemeinsam hat, könnte das der Ausgangspunkt einer neuen Partnerschaft sein.

Autor Hanns Hatt hat dafür eine evolutionsbiologische Erklärung: "Man erriecht das Genom des anderen. Je stärker es sich vom eigenen unterscheiden, desto besser riecht es für uns." Die Natur verhindert so, dass man sich in Familienmitglieder verliebt - ein eingebauter Schutz gegen Inzucht.

Und noch ein Geruch spielt eine ganz besondere Rolle in der Fortpflanzung: Der blumige Duft von Maiglöckchen im Frühling. Nicht etwa als Parfum hinters Ohrläppchen getupft, sondern viel tiefer - im Körperinnern. Denn nicht nur die Nase verfügt über Riechrezeptoren: Mit seinem Forscherteam hat Wissenschaftler Hatt herausgefunden, dass auch Spermienzellen riechen können. In ihren Köpfen sitzt ein Sensor, und der spricht auf Maiglöckchen-Duft an.

Diese Entdeckung hat für Überraschung bei den Bochumer Forschern gesorgt. Also haben sie nach der Körperstelle gesucht, die nach den Frühlingsblumen riecht, sprich dem Sender des Blumendufts - und wurden im Gewebe rund um die weibliche Eizelle fündig. Die Spermienzellen erkennen ihr Ziel also am Geruch.

Das müssen sie auch, sagt Hatt. Wie sonst sollten sie den etwa 20 Zentimeter langen Weg durch die Dunkelheit finden? Ohne den anziehenden Duft nach Maiglöckchen würde ihnen das kaum gelingen - und das hätte ganz gewaltige Folgen für die Fortpflanzung der Menschen.

Auch außerhalb des Körpers spielt sich viel über den Duft ab. "Die Menschen kommunizieren", erläutert Hatt, "viel stärker über Gerüche als gedacht." Von Hunden weiß man, dass sie erschnüffeln können, ob sich Menschen gerade einen Horrorfilm, einen Porno oder eine Komödie angesehen haben. Menschen haben ganz ähnliche Fähigkeiten, weiß Hatt auch aus eigener Erfahrung: "In der Uni kann man ganz genau erkennen, wann Studenten Prüfungen haben - am Geruch von Angstschweiß im Zimmer."

Geruchsexperte Hatt ist sich sicher, dass die Natur sich nicht die Mühe machen würde, Duftstoffe auszusenden, wenn es keinen Empfänger dafür gäbe. Also muss auch der Geruch von Angstschweiß einen Sinn haben. Und tatsächlich: "Liegt Angstschweiß in der Luft, erhöht sich bei den anderen Menschen die Aufmerksamkeit", sagt er. "Hat jemand vor etwas Angst, kann es auch für mich gefährlich sein."

Trotz all der neuen Erkenntnisse will der Bochumer Geruchssforscher niemandem den freien Willen absprechen - weder bei der alltäglichen Kommunikation zwischen Menschen, noch bei der Partnerwahl. Aber er sagt auch: "In der Natur geht es darum, unnötigen Energieverbrauch zu verhindern."

Wer die Vorauswahl schon in der Diskothek trifft, macht es also genau richtig - zumindest aus Sicht der Evolution.

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