Foodie-Bewegung:Noch ein Amuse Bouche, Alter?

Sie nennen sich Foodies und hängen auf Bauernmärkten ab - die Kinder von McDonald's haben die Esskultur entdeckt.

Miriam Stein

Eines der verwackelten Handyfotos, welche die amerikanische Schauspielerin Jessica Alba aus ihrem Sommerurlaub in Aix-en-Provence twittert, zeigt vier Berge selbstgemachter Eiscreme mit Schokoladensoße. Ein anderes einen halb verzehrten Kartoffelauflauf. Gelegentlich sieht man Alba selbst, braungebrannt und hinreißend lächelnd auf diesen Bildern - aber stets posiert sie mit einer kulinarischen Sehenswürdigkeit wie französischer Pizza oder Nizzasalat. Die Schauspielerin versucht mit ihrer Kalorien-Diashow aber nicht etwa eine unterstellte Essstörung zu widerlegen. Sie verbreitet ein bestimmtes Image: das der modernen Genießerin - eines "Foodies", wie sie sich selbst nennt.

Foodie-Bewegung: Hausgemachte Konfitüre und eingekochte Früchte sind das neue Must-Have. Leute, die Käse selber machen, Marmelade kochen und Speck räuchern, sind die neuen Rockstars. Star der Szene: Cathy Erway, die zwei Jahre Restaurants und Take-outs von New York boykottierte.

Hausgemachte Konfitüre und eingekochte Früchte sind das neue Must-Have. Leute, die Käse selber machen, Marmelade kochen und Speck räuchern, sind die neuen Rockstars. Star der Szene: Cathy Erway, die zwei Jahre Restaurants und Take-outs von New York boykottierte.

(Foto: N. Sherman (oh); SZ)

Ein Foodie zu sein ist in hippen, urbanen US-Kreisen dieser Tage Pflicht. Um sich selbst als Foodie bezeichnen zu können, muss man sich mit Esskultur beschäftigen, mit neuesten Trends (bei Redaktionsschluss war das "Korean Taco") vertraut sein; multi-ethnische Einflüsse erkennen und benennen können und eine ausgesprochen gut ausgestattete, aber umweltverträgliche Küche besitzen, in der man häufig und zeitaufwendig Gerichte aus biologisch erzeugtem Gemüse und Fleisch für Gäste kocht und sich bei Tisch über lange vergessen geglaubte Rezepte austauscht.

Natürlich muss der Foodie auch gerne essen. Aber nicht zu gerne: Der Foodie ist total gesund - er leidet weder an zu hohen Cholesterinwerten oder gar Bluthochdruck, er hat einen schnellen Metabolismus, eine kerngesunde Leber und Lunge und ist unter gar keinen Umständen übergewichtig, obwohl er sich in seiner Freizeit mit nichts anderem als Essen beschäftigt.

Esskultur erobert, zusammen mit ihren neuen Verbündeten Umweltpolitik und Ethnologie, die Enklaven der Stilkenner in Los Angeles und New York. Wo einst die neuesten Kreationen aufstrebender Designer spazierengetragen wurden, wo Kunst gekauft und iPod-Bibliotheken verglichen wurden, tauschen nun junge Männer in Vintage-Parkas und Frauen in Flohmarkt-Blumenkleidern Rezepte aus.

Essen - die neue Popkultur

"Für meine Generation ist Essen die neue Popkultur. Statt in Clubs treffen wir uns zum Kochen, statt uns zu betrinken, tauschen wir auf Dinnerpartys Kombucha-Kulturen aus", resümiert Jenna Krumminga, 26. Krumminga ist an der Upper West Side als Tochter zweier Journalisten aufgewachsen und hat einen Bachelor in Geschichte von der Ivy-League-Hochschule Dartmouth. Zurzeit macht sie ihren Master in Kreativem Schreiben und lernt in ihrer Freizeit kochen.

Noch vor wenigen Jahren verkündeten die Strokes, damalige Überväter des Indiepop und der New Yorker Szene, dass sie nichts als "Pizza an der Ostküste und In-N-Out-Burger an der Westküste" äßen. Im heutigen Amerika aber stehen Fastfood, XXL-Mahlzeiten und Fertiggerichte in der Kritik. Nach dem "Eigenverantwortungsprinzip" der Bush-Ära hat die Obama-Regierung Ernährungspolitik wieder zu einem politischen Schwerpunktthema gemacht.

Bestseller-Autoren wie der New-York-Times-Journalist Michael Pollan legen die Strukturen der US-Nahrungsindustrie offen. "Aus wirtschaftlicher Perspektive", so Pollan, "ist Fettleibigkeit eine absolute Notwendigkeit. Mittlerweile wächst die Bevölkerung hierzulande sehr viel langsamer als der Überschuss der Nahrungsmittelindustrie. Um geschäftsfähig zu bleiben, muss die Industrie dafür sorgen, dass wir mehr essen."

Solche Statements treffen junge, kritische Amerikaner mitten ins Herz. Annaliese Griffin, Twentysomething aus Brooklyn, schreibt unter dem Pseudonym A-Train für den Blog Grocery Guy. Sie nennt sich selbst "irgendwie Journalistin, aber eine oberflächliche", denn statt über "Krieg und Hunger" schreibt sie lieber über TV-Serien und Essen. "Einen coolen Käse im Kühlschrank zu haben, ist wichtiger, als einen coolen Song zu kennen", sagt Griffin und geht noch weiter: "Eigentlich könnte man sagen, dass es sogar cooler ist, als in einer Band zu spielen. Unsere Rockstars sind Leute, die Käse selber machen, Marmelade kochen und Speck pökeln und räuchern."

Nicht essen gehen - eine neue Erfahrung

Das Herz der neuen Foodie-Bewegung schlägt im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Einer der Stars der Szene ist Cathy Erway, 28, Autorin des Blogs und gleichnamigen Buches "Not Eating Out in New York" (Nicht essen gehen in New York). Ihr Einstiegsjob als Teamassistentin in einem Konzern ermöglichte ihr keinen glamourösen New Yorker Lebensstil. Daher verzichtete Erway zwei Jahre aus finanziellen Gründen aufs Essengehen und hielt ihre Erfahrung in monatlichen Essays fest.

Sie ist mittlerweile ein fester Bestandteil der Foodie-Szene, veranstaltet Kochkurse und arbeitet ehrenamtlich auf Kochveranstaltungen, weil es "so viel Spaß macht". "Sogenannte Indie-Bands sind keine Identifikationsfiguren mehr", erklärt Jenna Krumminga, "und Modelabels sind in der Wirtschaftskrise keine coolen Statussymbole mehr. Ich kenne genug Leute, die, wenn sie überhaupt noch shoppen gehen, ihre Marc-Jacobs-Sachen in No-Name-Tüten verstecken."

Hausgemachte Konfitüre - das neue musthave

Cathy Erway und Laena McCarthy sind die neuen Vorbilder. Hausgemachte Konfitüre und eingekochte Früchte sind das neue Must-Have. McCarthy ist die "Jam Queen" von Brooklyn, ihre Marmeladen sind frisch und ohne Konservierungsmittel. Ihre Produkte verkauft sie auf den einschlägigen "Farmer's Markets". Um Edelmarmelade endgültig als das neue In-Accessoire zu etablieren, hat sich selbst die Mutter aller Stilikonen der Sache angenommen: "Kate's Damson Jam" soll das neue Luxus-Pflaumenmus von Kate Moss heißen, die als Model, Modevorbild und Designerin der Modekette Topshop ein Gespür für Trends beweist.

Wenn aber Laena McCarthys "Anarchy Strawberry Balsamic Jam" unter New Yorks Hipstern nun den Status eines Rodarte-Strickpullis hat, wird Kates Konfitüre wohl so begehrt sein wie ein Mainstream-Teil von Topshop.

McCarthy teilt ihre Marmeladengeheimnisse auf ihrem Blog "Anarchy in a Jar" - Anarchie im Glas. Mit dem Vertrieb ihrer Ware versucht sie die Esskultur aus dem Würgegriff der Lebensmittelriesen zu be- freien. Das junge intelligente Amerika stellt sich gegen seine Konzerne und deren Ethik, dass alles Gute überlebensgroß sein muss. Es stellt sich gegen die Dekadenz seiner Eltern und deren Haltung, dass Qualität nur per Flugzeug aus den entferntesten Winkeln der Welt importiert werden kann.

Öko-Kisten - die neuen iPods

Die Öko-Kisten, in denen freiwillige Mitarbeiter landwirtschaftliche Erzeugnisse aus New York direkt an den Konsumenten liefern, sind die neuen iPods. Auf den zahlreichen Märkten trifft sich die Szene wie einst auf Rave-Partys, oft an der Grenze der Legalität, weil die privaten Köche und Verkäufer gegen die Auflagen der Gesundheitsbehörden verstoßen. Über Blogs, Twitter und Facebook organisieren Foodies illegale "Supper Clubs", bei denen mehrgängige Menüs in Privathäusern zubereitet werden. "Supper Clubs geben uns die Kontrolle zurück - wir holen uns den Spaß an hervorragendem Essen in gutem Ambiente von profitorientierten Restaurants zurück", erklärt Cathy Erway.

An solch einem demokratischeren Konzept versucht sich das Restaurant Roberta's in Brooklyn: Es veranstaltet am Wochenende seinen eigenen Farmer-Markt und bietet Seminare an, in denen Teilnehmer lernen, wie man Hasen schlachtet, häutet, ausweidet und dann zubereitet. Außerdem darf man gegen eine Gebühr seinen eigenen Nachtisch oder Wein mitbringen.

Zur Zeit kämpft man in Brooklyn um die Wiedereröffnung des neuen Studio 54 - des Greenpoint Food Market. Der populärste Flohmarkt für Selbstgekochtes wurde vom Gesundheitsamt vorübergehend geschlossen. Aber die Legende lebt: "Ich glaube, dass es eine kollektive Bewegung in meiner Generation gab, die nicht so viel Geld verdienten wie Wall-Street-Banker und trotzdem die New Yorker Esskultur erleben wollten", sagt Cathy Erway. Die Kommune in Brooklyn habe vergleichslos von dem Boom des Marktes profitiert, nicht wirtschaftlich, aber seither stehe Brooklyn "für ein gesundes, ehrliches und ursprüngliches Erlebnis mit Esskultur".

Die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag schrieb 1967 in ihrem Essay "Die Ästhetik der Stille": "Jede Ära muss den Entwurf von Spiritualität für sich neu entdecken." Mit Spiritualität meinte Sontag eine Haltung gegenüber den "schmerzhaften strukturellen Widersprüchen der Lebensumstände". Strukturelle Widersprüche finden junge amerikanische Akademiker, die hervorragende Ausbildungen genossen haben und nun, oft hochverschuldet nach diesen Studiengängen, keine Anstellung finden, zur Genüge. Ihre Generation erlebte 9/11 und ist bis ins Detail über Kriege und Elend in der Welt informiert.

Es ist wohl, wie Jenna Krumminga sagt: "Wenn wir selber kochen, nehmen wir etwas zu uns, das nicht auf Kosten anderer hergestellt wurde."

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