Folgen des Klimawandels:Kehrt die Malaria nach Deutschland zurück?

Es wird wärmer in Europa. Muss man nun befürchten, dass sich tropische Krankheiten ausbreiten? Ein Interview mit Walter A. Maier von der Uni Bonn.

Markus C. Schulte von Drach

Walter A. Maier hat mit einer Reihe von weiteren Fachleuten vom Institut für Medizinische Parasitologie der Universität Bonn für das Umweltbundesamt einen Forschungsbericht über die möglichen Auswirkungen von Klimaveränderungen auf die Ausbreitung von Infektionskrankheiten in Deutschland erstellt.

Klimawandel und Infektionskrankheiten

Die Schildzecke ist FSME- und Borreliose-Überträger.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Der Klimawandel macht sich in Europa bereits bemerkbar. Herbst- und Frühjahrsanfang verschieben sich, Pflanzen und Tiere beginnen, ihr Verhalten anzupassen. Müssen wir, wenn es wärmer wird in Deutschland, auch mit mehr Infektionskrankheiten rechnen?

Maier: Es scheint so, als würde sich bei einigen Krankheitsüberträgern bereits etwas verändern. Es gibt zum Beispiel Hinweise darauf, dass sich die Zahl der Zecken erhöht. Und einige Mückenarten breiten sich vom Mittelmeerraum offenbar nach Norden aus.

sueddeutsche.de: Und damit steigt das Risiko, von diesen Tieren gestochen zu werden und sich zu infizieren?

Maier: Den Eindruck kann man etwa bei den Zecken tatsächlich gewinnen. Die Verbreitung der Bakterien, die Borreliose auslösen, hat offenbar innerhalb der Zecken-Populationen zugenommen. Und die Zahl der Krankheitsfälle bei Menschen nimmt ebenfalls zu.

Das könnte allerdings zumindest auch teilweise damit zusammenhängen, dass man heute weniger Infektionen übersieht.

sueddeutsche.de: Was ist mit der FSME, der Frühsommer-Meningoenzephalitis, deren Erreger ebenfalls von Zecken übertragen wird?

Maier: Auch hier nimmt die Zahl der Krankheitsfälle bei Menschen zu - und auch hier könnte das damit zusammenhängen, dass man genauer hinschaut. Aber es gibt auch deutliche Hinweise auf eine echte Ausbreitung der FSME-Viren. Inzwischen gibt es schon Fälle in Norwegen. Das ist neu.

sueddeutsche.de: Sie sagen, man habe früher nicht so genau hingeschaut?

Maier: Die Zusammenhänge zwischen Zecken, Erregern und Krankheiten sind noch gar nicht so lange klar. Aber es wurde wirklich zu wenig gemacht, um von Arthropoden, also Insekten und anderen Gliedertieren, übertragene Krankheitserreger in Deutschland zu studieren.

Wir haben in Deutschland im Jahr 2001 eine Erfassung vorgenommen. Und für die Jahre danach lässt sich schon etwas sagen. Aber noch immer viel zu wenig.

sueddeutsche.de: Bleiben wir bei den Zecken. Womit müssen wir rechnen?

Maier: Das hängt davon ab, wie sich das Klima tatsächlich verändern wird. Kollegen in Großbritannien haben mit Computersimulationen festgestellt, dass die Sommer nicht nur heißer, sondern auch trockener werden könnten. Dann würde die Verbreitung der Zecken vielleicht sogar wieder abnehmen.

sueddeutsche.de: Man kann also nicht sagen: Je heißer, desto besser geht es den heimischen Überträgern, desto mehr neue Parasiten kommen aus dem Süden und desto mehr Infektionen gibt es?

Maier: Nein. Das muss man für jeden einzelnen Überträger betrachten. Nehmen Sie zum Beispiel Insekten wie Stechmücken, die im Wasser brüten: Mehr Niederschläge bedeuten mehr stehende Gewässer, und damit mehr Mücken. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Ausbreitung von Krankheiten kommt, die von diesen Übertragen werden.

sueddeutsche.de: Wie zum Beispiel die Malaria? Bis in die 50er Jahre gab es Malaria-Fälle in Deutschland, 1826 kam es während eines besonders heißen Sommers sogar zu einer Epidemie an der Nordseeküste, mit 10.000 Infizierten und vielen Toten.

Maier: In den Medien wird das häufig so dargestellt, dass die Moskitos kommen und die Malaria mitbringen, wenn es warm genug ist. So einfach ist das aber nicht. Moskitos gibt es ja jetzt schon in Deutschland. Die Anopheles-Mücken, die wir hier haben, sind allerdings im Unterschied zu einigen ihrer Verwandten in den Tropen keine sehr guten Überträger.

Aber selbst wenn sich diese Moskitos aufgrund der Erderwärmung bis nach Deutschland ausbreiten, fehlt ihnen das notwendige Reservoir an Malaria-Erregern, wo sie sich selbst infizieren könnten, um die Krankheit zu verbreiten.

Mit anderen Worten, es gibt in Deutschland zu wenig Malaria-Patienten - und die etwa 1000, die es gibt, werden zu schnell behandelt - als dass genug Mücken die Erreger aufnehmen könnten.

sueddeutsche.de: Also wird die Malaria nicht nach Deutschland zurückkehren?

Maier: Sie würde zurückkehren, wenn wir Verhältnisse hätten wie zum Beispiel derzeit in Afghanistan. Dort ist die Gesundheitsversorgung durch den Krieg zusammengebrochen, die Bewässerungssysteme wurden zerstört (und damit Brutplätze geschaffen) und malariakranke Flüchtlinge sind aus Pakistan heimgekehrt, die wegen Fehlen der finanziellen Mittel nicht ausreichend mit Medikamenten behandelt werden können.

Unter diesen Bedingungen konnten sich die Erreger ausbreiten. Inzwischen gibt es jedes Jahr ein bis drei Millionen Malaria-Neuinfektionen. In Deutschland wäre so etwas nur im schlimmsten Falle, z.B. vielleicht nach einem Atomkrieg denkbar.

sueddeutsche.de: Stechmücken übertragen nicht nur Malaria, sondern auch eine Reihe anderer Krankheitserreger.

Maier: Ja. Und vor allem die Viren machen mir Sorgen. Zum Beispiel das Westnil-Virus, das in Vögeln vorkommt und von Mücken übertragen wird.

Das ist in den USA vor sechs Jahren erstmals aufgetaucht und hat sich über den ganzen Kontinent ausgebreitet. Die Infektionen fordert dort inzwischen jedes Jahr mehrere Hundert Menschenleben. Das zeigt, was passieren kann, wenn man die Überträger nicht ernst nimmt.

sueddeutsche.de: In Deutschland hat man von diesem Virus noch nicht viel gehört.

Maier: Aber das Beispiel Westnil-Virus in den USA belegt, was passieren kann, wenn man die Bedrohung sich ausbreitender Erreger nicht ernst nimmt.

Derzeit wird von Zugvögeln aus Afrika eine Westnil-Virus-Variante eingeschleppt, die offenbar nicht sehr infektiös ist. Aber die Erreger können ihren Virulenzgrad (Virulenz = krankheitserregende Wirkung, d.R.) verändern. Genau das ist damals offenbar in Israel passiert, von wo aus eine virulentere Form dann nach New York gelangt ist.

Kehrt die Malaria nach Deutschland zurück?

sueddeutsche.de: Nun ändern manche Zugvögel ihr Verhalten aufgrund des Klimawandels. Welche Auswirkungen könnte das haben?

Klimawandel und Infektionskrankheiten

Malaria-Überträger Anopheles-Mücke

(Foto: Foto: dpa)

Maier: Manche Vögel bleiben jetzt das ganze Jahr in Europa. Das Virus zirkuliert bei manchen Arten jedoch nur in der warmen Jahreszeit, im Winter bricht der Viruszyklus zusammen und erst Zugvögel brächten neue Viren aus Afrika mit. Dazu gehört auch das Westnil-Virus. Ziehen die Vögel nicht mehr, kommen keine neuen Viren aus Afrika mehr nach. Das wäre ein positiver Effekt des Klimawandels.

sueddeutsche.de: Kürzlich wurde in Aachen ein Fall von Leishmaniose bekannt, einer Krankheit, die von Sandmücken übertragen wird, die es in Deutschland eigentlich nicht geben sollte. (Die Krankheit wird von Einzellern ausgelöst, die innere Organe befallen. Unbehandelt führt sie bei immungeschwächten Patienten zum Tod)

Maier: Torsten Naucke vom der Universität Bonn hat nach dem Aachener Fall gezielt nach Sandmücken gesucht und gefunden, die Leishmaniose übertragen können.

Der betroffene Junge war vermutlich von einer solchen Mücke gestochen worden, die sich selbst an einem Hund infiziert hatte. Und der hatte die Parasiten aus dem Mittelmeerraum eingeschleppt. Aber für Sandmücken gilt tatsächlich: Wenn sich das Klima verändert, können die Arten, die Leishmaniose übertragen, sich auch bei uns vermutlich ausbreiten.

Ein anderes Beispiel für eine Ausbreitung tropischer Krankheitserreger nach Norden ist das Blauzungenvirus. Das ist zwar für Menschen nicht gefährlich, aber für Nutztiere. Wir hatten letztes Jahr erstmals in etwa 2000 Viehwirtschaftsbetrieben in Holland, Belgien, Frankreich, Luxemburg und Deutschland Erkrankungsfälle. Bei uns waren 869 Betriebe betroffen.

Das Virus wird im Mittelmeerraum vor allem von einer eingewanderten afrikanischen Stechmücke, einer Gnitzen-Art, übertragen, in Deutschland aber nun überraschenderweise von einheimischen Mücken-Arten!.

Der Erreger selbst wurde vermutlich mit afrikanischen Tiere wie Zebras nach Europa importiert. Das Virus mag heiße Sommer wie im letzten Jahr. Wird es wärmer, müssen wir also mit einer erneuten Verbreitung der Viren durch diese Gnitzen rechnen. Ähnlich könnte es auch mit dem Rift-Valley-Virus geschehen, einem Erreger, der auch bei Menschen eine fieberhafte Erkrankung auslösen kann.

sueddeutsche.de: Manche Erreger leben auch in Nagetieren, etwa das Hantavirus. 2005 war die Zahl der infizierten Menschen deutlich angestiegen. Ein Jahr zuvor war eine Massenvermehrung von Rötelmäusen beobachtet worden, wichtigen Wirtstieren der Erreger. Ein Zusammenhang erscheint naheliegend.

Maier: Zum einen ist der Zusammenhang zwischen dem Klima und Nagetierpopulationen nicht so eindeutig, zum anderen werden die Viren, soweit wir wissen, nicht von Mücken oder anderen Tieren übertragen. #

Menschen infizieren sich demnach nur dort, wo sie direkt mit den Tieren und vor allem ihrem Kot in Kontakt geraten. Deshalb wird es vermutlich auch in Zukunft eher selten zu Hanta-Virus-Infektionen kommen.

sueddeutsche.de: Was sollte geschehen, um zu verhindern, dass der Klimawandel Deutschland in Zukunft häufigere Ausbrüche oder sogar Epidemien von Krankheiten beschert, die bislang keine große Bedeutung hatten?

Maier: Man muss im großen Stil die Vektor-Situation (Vektor = Überträger, d.R.) in Europa und Deutschland überprüfen. Unsere Studie reicht da nicht aus. Außerdem gibt es viel zu wenig medizinische Entomologen, also Insektenkundler, die sich mit Krankheitsüberträgern wie Zecken und Steckmücken beschäftigen. Die Stellen für solche Fachleute werden zur Zeit eher gestrichen, und die Forschungsgelder fließen in scheinbar aktuellere Bereiche!

Dabei bräuchte man Entomologen schon allein um zu überprüfen, ob zum Beispiel Renaturierungsmaßnahmen wie das Anlegen von neuen Feuchtbiotopen zur Ausbreitung von Mücken beitragen könnten. Naturschutz ist sehr wichtig. Aber die medizinische Seite wird meist völlig ignoriert.

sueddeutsche.de: Könnten solche Untersuchungen nicht von den Behörden in Auftrag gegeben werden?

Maier: Behörden wie Länderregierungen sehen die Notwendigkeit zu handeln erst, wenn bereits etwas passiert ist. Und die Zahl der Betroffenen ist in Deutschland derzeit eben noch sehr klein.

sueddeutsche.de: Nun reden alle vom Klimawandel - ist das nicht die Chance, das Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen?

Maier: Die Öffentlichkeit und die Medien finden das Thema spannend. Aber in Deutschland beschäftigt man sich immer erst mit einem Erreger oder Überträger, wenn die Dramatik groß genug ist - so wie bei der Vogelgrippe.

Immerhin: Die EU und die WHO fordern inzwischen eine flächendeckende Kartierung aller Krankheitserreger und ihrer Überträger in Europa und da wird Handlungsbedarf auf die Behörden zukommen. Hoffen wir, dass dann auch noch genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen!

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