Folge ungezügelter Verschreibung:Antibiotika machen Bakterien resistent

Jetzt ist es erstmals bewiesen: Die massenhafte Verschreibung von Medikamenten gegen Bakterien stärken gefährliche Erreger.

Werner Bartens

Ärzte wissen es eigentlich. Trotzdem halten sie sich nicht daran. Viele Untersuchungen zeigen, dass drei von vier Menschen Antibiotika verschrieben bekommen, wenn sie mit Husten, Schnupfen oder Heiserkeit den Arzt aufsuchen. Dabei ist lange bekannt, dass banale Erkältungskrankheiten fast immer von Viren ausgelöst werden - und dagegen helfen Antibiotika nun mal nicht.

Bakterien Resistenzen Antibiotika

Sind Bakterien einmal resistent, ist ihre Bekämpfung schwierig

(Foto: Foto: ddp)

Manche Ärzte rechtfertigen ihr Verhalten damit, dass Antibiotika eine zusätzliche bakterielle Infektion des viral geschwächten Körpers verhindern. Doch diese vorbeugende Therapie ist längst als medizinisch unangemessen entlarvt.

Nicht nur, dass die Behandlung nichts nützt. Als mindestens ebenso bedrohliche Folge der ungezügelten Antibiotikagabe werden ungewollt resistente Bakterien gezüchtet. Forscher haben dies schon lange vermutet.

"Erhebliche Nebeneffekte"

Im Fachmagazin Lancet berichten Ärzte aus Belgien nun, dass sie erstmals den kausalen Zusammenhang nachweisen konnten (Bd.369, S.482, 2007). "Ärzte sollten an die erheblichen Nebeneffekte denken, wenn sie Patienten ohne begründeten Verdacht Antibiotika verschreiben", sagt Herman Goosens, der Hauptautor der Studie.

Aufgrund von epidemiologischen Untersuchungen wurde immer wieder vermutet, dass Bakterien, die auf Antibiotika unempfindlich reagieren, Ausgangspunkt für neue Resistenzen sind.

Demnach überleben einige Keime, die durch frühere Mutationen resistent geworden sind, die Behandlung und können sich relativ ungehindert vermehren, weil die anderen Bakterien abgetötet sind und keine Konkurrenz mehr darstellen.

Zudem geben diese Erreger ihre Widerstandskraft an andere, womöglich gefährlichere Bakterien weiter. Mittels Tröpfcheninfektion können resistente Bakterien auch andere Menschen besiedeln, die nie Medikamente genommen haben.

Antibiotika beschleunigen diesen Auswahl-Prozess. Dies hat dazu geführt, dass mittlerweile in manchen Kliniken fast zehn Prozent der Keime als multiresistent gelten. Das heißt: Gegen sie ist buchstäblich kein Kraut mehr gewachsen.

Die Mediziner aus Antwerpen haben 234 Freiwillige untersucht. Ein Drittel von diesen bekam ein übliches Breitspektrum-Antibiotikum, ein weiteres Drittel nahm ein ähnliches Mittel. Die dritte Gruppe bekam ein Scheinmedikament. Weder Ärzte noch Probanden wussten, wer was verabreicht bekam.

Nach der einwöchigen Einnahmephase wurden ein halbes Jahr lang Abstriche der Rachenschleimhaut genommen, um die dort auch bei gesunden Menschen ansässigen Streptokokken daraufhin zu untersuchen, ob sie resistent waren.

Behandlung fast unmöglich

Streptokokken kommen in etlichen Arten vor. Einige Erreger sind harmlos und normale Bewohner der Mundhöhle, andere lösen Karies oder Scharlach aus, manche Streptokokken können sogar zu schweren Entzündungen der Herzinnenhaut, Lungen oder Nieren führen.

Wird ein harmloser Keim durch Antibiotika resistent und gibt diese Eigenschaft an den Erreger eines schweren Leidens weiter, ist dieses kaum noch zu behandeln.

Ärzte halten für solche Fälle Reserve-Antibiotika vor, die nur gegeben werden, wenn sonst nichts mehr hilft. Doch auch gegen diese Notfallmittel haben sich bereits vereinzelt Resistenzen gebildet.

"Die Behandlung ist unnütz, und wenn sich Resistenzen gebildet haben, müssen die Patienten mit stärkeren Mitteln behandelt werden, die womöglich zu schwereren Nebenwirkungen führen", warnt die Mikrobiologin Stephanie Dancer aus Glasgow. "Zudem wird immer noch vernachlässigt, wie sehr die Umwelt mit den Abbauprodukten der Medikamente langfristig belastet wird."

Wie wichtig es daher wäre, die überflüssige Antibiotikagabe zu beenden, zeigen die Ergebnisse der belgischen Forscher: Bis zu 60 Prozent der Streptokokken, die bei den Testpersonen untersucht wurden, waren nach Antibiotika-Einnahme resistent.

"Ärzte müssen Verhalten ändern"

Besonders groß war der Anteil der unempfindlich gewordenen Keime in der ersten Woche nach der Behandlung. Aber auch nach einem halben Jahr betrug er noch etwa 15 Prozent.

Damit konnten die Forscher erstmals bei einzelnen Probanden zeigen, dass Antibiotika direkten Einfluss auf die Resistenzentwicklung haben. Dies war zuvor nur indirekt geschlussfolgert worden, da sich in einer Bevölkerung mit hohem Antibiotikaverbrauch auch mehr Resistenzen bilden.

"Man sollte die Daten zum Anlass nehmen, endlich das bisherige Verhalten zu ändern", sagt Stephanie Dancer. "Jeder Arzt sollte sich spätestens jetzt über die Konsequenzen des unangemessenen und unkontrollierten Verschreibens im Klaren sein."

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