Flughafen Tegel:Ein Leben in der Einflugschneise

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Ständiger Krach und schlaflose Nächte lassen vor allem die Anwohner in Tegel auf die Fertigstellung des neuen Airports hoffen. Doch mittlerweile hat sich eine Gegenbewegung gebildet: Die Tegelianer.

Von Verena Mayer, Berlin

Neulich lernte die Sozialarbeiterin Simone Liegel-Winkelmann, die Bombe zu lieben. Vergangene Woche war das, als in der Nähe des Flughafens Tegel eine Weltkriegsbombe entschärft wurde. Den ganzen Abend durften keine Flugzeuge starten und landen, und Simone Liegel-Winkelmann konnte das tun, was sie sonst nie tun kann. Telefonieren, sich unterhalten, die Fenster öffnen, schlafen.

Liegel-Winkelmann sitzt im Garten ihres Hauses im Bezirk Pankow. Rundherum ein Park, ein Fluss und viele Gärten, man könnte die Vögel zwitschern hören und das Rauschen des Wassers. Man hört aber ein tiefes Brummen, das zu einem gewaltigen Donnern anschwillt, bis es ausklingt in einem dumpfen Grollen. Das Geräusch kommt von einem der Flugzeuge, die alle paar Minuten über den Garten von Liegel-Winkelmann hinwegfliegen. Es verklingt erst, als die Maschine am Horizont verschwunden ist.

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Der Berliner Stadt-Airport erfreut sich größter Beliebtheit. Viele hoffen, dass er doch noch bleiben kann. Aber das würde teuer werden.

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Liegel-Winkelmann lebt in der Einflugschneise des Berliner Flughafens Tegel. Sie sollte das eigentlich nicht tun, denn seit fünf Jahren müsste der gesamte Flugverkehr über den Hauptstadtflughafen BER in Schönefeld laufen. Der wird aber erst 2019 eröffnet, vielleicht auch 2020, worüber es in Berlin viele Witze und viel Wut gibt. Der Flughafen Tegel ist indessen vollkommen veraltet, viel zu klein und funktioniert nur mehr notdürftig. So wie in den vergangenen Monaten, als Tausende Koffer liegen blieben, weil das zuständige Unternehmen mit dem Gepäck nicht zurecht kam. Unter Piloten gehört Tegel zu den unbeliebtesten Flughäfen der Welt, weil alles länger dauert als anderswo, "das Rumrollen, das Warten", sagt Markus Wahl von der Piloten-Gewerkschaft Vereinigung Cockpit. "Wenn ich an einem Tag zwei Mal über Tegel fliegen muss, weiß ich, den pünktlichen Feierabend kann ich mir an die Mütze stecken."

Doch diesen Flughafen wollen jetzt viele am liebsten für immer behalten. Tegel hat in den vergangenen Monaten ein unglaubliches Revival erlebt. Da sind einmal die Nostalgiker, die sich gerne "Tegelianer" nennen und alles an Tegel großartig finden: die Architektur, die kurzen Wege, und mit U-Bahn und Bus ist man aus der Stadt in einer halben Stunde am Gate. Und da ist die Berliner FDP, die aus dem Gefühl, dass alles am besten so bleibt, wie es ist, eine politische Kampagne gemacht hat. Erst wurden Unterschriften dafür gesammelt, dass Tegel erhalten bleibt, dann ein Volksentscheid erzwungen. Am Tag der Bundestagswahl wird nun in Berlin darüber abgestimmt. Umfragen zufolge wird es eine Mehrheit für Tegel geben.

Man kann das gut nachvollziehen, für viele Berliner ist ein dysfunktionaler Flughafen besser als womöglich gar keiner. Was dabei allerdings untergeht: Tegel liegt mitten in der Stadt. 300 000 Berliner sind nach Angaben der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz vom Lärm betroffen, mehr als in jeder anderen deutschen Stadt. 134 000 müssen mehr als 60 Dezibel aushalten. Wissenschaftlichen Studien zufolge steigt ab einem Schallpegel von 65 Dezibel das Risiko für Herz-Kreislauf-Störungen erheblich.

Zeichnet man auf einer Karte von Berlin den Lärmteppich ein, den der Flughafen verursacht, erhält man eine breite Spur, quer durch die gesamte Stadt. Die Flugzeuge fliegen über Häuserblöcke, Einkaufszentren, Schulen, Parks, Plätze, Gärten. So wie jetzt gerade wieder in Pankow. Ein Brummen, ein Donnern. Als Erstes fliegen die Postflugzeuge morgens um sechs, "da sitze ich dann hellwach im Bett", sagt Simone Liegel-Winkelmann. Danach kommen schon die großen Maschinen, wobei die Flugzeuge im Landeanflug schlimmer sind, "die machen so ein schnarrendes Geräusch, wie ein Bohrer beim Zahnarzt". Sie kann inzwischen sagen, welche Maschinen Propeller haben, und ob ein Staatsbesuch dabei ist. "Da kommt schon mal die Air Force One, und ein Chinese wurde letztens von zwei Kampfjets eskortiert, da weiß man auch erst mal nicht, was los ist."

Liegel-Winkelmann sagt, gegen Fluglärm stumpfe man auch nicht ab, "das ist Stress pur". Ihre letzten Worte muss sie schreien, ein Flugzeug fliegt über ihren Garten. Leises Grollen, lautes Donnern, langer Nachhall. Und es werden immer mehr. Berlin boomt, die Zahl der Passagiere, die über Tegel fliegen, steigt seit Jahren. "Man kann sich nicht mehr darauf verlassen: Um zehn Uhr kannst du schlafen", schreit Liegel-Winkelmann. "Irgendwann brettert immer noch was rein."

Wegziehen kann sie nicht, sie hat ein Haus gebaut, 2004, als klar war, dass es Tegel nicht mehr lange geben wird. Das steht noch immer fest, das Planfeststellungsverfahren schreibt vor, dass Tegel geschlossen werden muss, sobald der Hauptstadtflughafen eröffnet. Erst am Mittwoch wurde ein verwaltungsrechtliches Gutachten vorgestellt, dass diese Beschlüsse bindend sind. Sie zu ändern, würde in Berlin erst recht zu einem Flughafen-Chaos führen.

Die Politik entdeckt Tegel als emotionales Thema

Die Tegel-Retter lassen sich davon nicht beirren. Und die sind längst nicht nur unter den Tegelianern zu finden. Die Fluglinie Ryanair und Berlins Taxifahrer werben offen für Tegel, Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kann sich vorstellen, den Flughafen offen zu halten, die Berliner CDU ebenfalls. Das ärgere sie am meisten, sagt Liegel-Winkelmann. Dass sie als Bürgerin nun gegen etwas kämpfen muss, das eigentlich längst weg sein sollte, "nur weil die Politik plötzlich die Emotionalität des Themas für ihre Zwecke ausnützt".

Liegel-Winkelmann hat sich nun mit anderen Anwohnern zur Bürgerinitiative "Goodbye Tegel" zusammengeschlossen. Ein Nachmittag am Kurt-Schumacher-Platz. Hier fliegen die Maschinen so tief, dass man das Kerosin riecht. Vor einem Einkaufszentrum versammeln sich ein paar Hundert Leute, Rentner, Lokalpolitikerinnen, Eltern mit Kindern, die Transparente in die Höhe halten. "Ich kann nicht schlafen", steht darauf. Auf einem Podium wird geredet, über Umweltschutz und Vernunft, darüber, was aus Tegel eines Tages werden soll, eine Hochschule nämlich, viele Wohnbauten, "eine Stadt der Zukunft". Man versteht aber nichts, weil über den Dächern alle paar Minuten eine Maschine im Landeanflug auftaucht.

Wie ging es eigentlich mit der Bombe weiter? Liegel-Winkelmann seufzt. Nach den Stunden der Ruhe kamen die Flieger dann alle auf einmal herein, der letzte um vier Uhr morgens.

© SZ vom 08.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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