Fleischkonsum:Deutschland, deine Flexitarier

Grill Wurst Würste Grillzange

Etwa 60 Kilogramm Fleisch verzehrt ein Deutscher im Durchschnitt in jedem Jahr.

(Foto: picture alliance / dpa)

Lauch statt Leberkäse: Immer mehr Deutsche verzichten zeitweise auf Fleischprodukte. Doch all dieser Flexitarier zum Trotz hat die deutsche Industrie im ersten Halbjahr vier Millionen Tonnen Fleisch produziert. Wie passt das zusammen?

Von Sophia Lindsey

Der "Veggie-Buddy-Service", den der Vegetarierbund Deutschland anbietet, ist keine spezielle Partnerbörse für Vegetarier - obwohl es das natürlich auch gibt -, sondern ein Angebot für Unentschlossene. Für tierliebe Schnitzelesser zum Beispiel, die das Gewissen plagt. Das Fleisch ist schließlich schwach - und außerdem so lecker. Deswegen vermittelt der Verein "Veggie Buddies", vegetarische Kumpel in der nahen Umgebung, die Unerfahrenen beim Fleischverzicht zur Seite stehen - mit Rezepten und Restaurantvorschlägen, Tipps und Trost.

Fleisch ist ein Streitthema. Nicht erst, seit öffentlich über den Vorschlag der Grünen, einen "Veggie Day" in den Kantinen der Republik einzurichten, diskutiert wird. Die Debatte ist nicht neu, aber wie sie derzeit hochlodert, zeigt, wie kontrovers das Thema ist: In einer repräsentativen Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag von Zeit Online durchgeführt hat, unterstützten 45 Prozent der Befragten einen fleischfreien Tag in deutschen Mensen. Fast genauso viele, 43 Prozent, lehnten den Vorschlag ab.

Zahl der Vegetarier hat sich verdoppelt

Es scheint aber, als gebe es tatsächlich eine zunehmende Zielgruppe - der Fleischatlas 2013 nennt sie "Ausstiegswillige" - für Angebote wie das des Vegetarierbunds. Denn 52 Prozent aller Deutschen, das ergab zumindest eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts Forsa, bemühen sich, weniger Fleisch zu essen. Und eine repräsentative Umfrage der Universitäten Göttingen und Hohenheim hat kürzlich ergeben: Knapp zwölf Prozent der Deutschen sind Flexitarier. Diese sagen von sich selbst, dass sie selten Fleisch essen - und wenn, dann wollen sie wissen, wo es herkommt. Zudem hat sich die Zahl der Vegetarier - etwa 3,5 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung - im Vergleich zum Jahr 2006 verdoppelt, wie die Erhebung zeigt.

Achim Spiller, Dozent für Lebensmittelmarketing an der Universität Göttigen, glaubt, der Anteil der Deutschen, die bereit wären, weniger Fleisch zu essen, ließe sich sogar auf 60 Prozent steigern - zum Beispiel durch entsprechende Kampagnen. Die Aktion "Veggie Buddy" ist eine davon - außerdem bieten viele Vegetariergruppen 30-Tage-Schnupperkurse im Fleischverzicht an und die Kampagne "Halbzeitvegetarier" motiviert Menschen, ihren Konsum zumindest zu halbieren. Zwei dieser Teilzeitvegetarier sollen sich dann zusammenschließen, heißt es im Fleischatlas, einem gemeinsamen Nachschlagewerk der Heinrich-Böll-Stiftung, des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Monatszeitung Le Monde diplomatique in Berlin. Denn: "Zwei halbe Vegetarier ergeben einen ganzen!"

Fleischproduktion stagniert im ersten Halbjahr 2013

Sogar bei der Industrie scheint das veränderte Bewusstsein der Bevölkerung inzwischen angekommen zu sein. "Fleischproduktion stagniert im 1. Halbjahr 2013", betitelte das Statistische Bundesamt am Freitag eine seiner Pressemitteilungen. Nur 0,1 Prozent mehr Fleisch als im ersten Halbjahr 2012 sei in den gewerblichen Schlachtbetrieben Deutschlands in den ersten sechs Monaten des Jahres produziert worden.

Allerdings relativiert sich die Zahl schnell. Denn lediglich weniger Rinder wurden geschlachtet, genauer: gut 100.000 Tiere weniger. Allerdings waren die Schlachttiere im Durchschnitt jeweils 2,5 Kilogramm schwerer. Wenn die geschlachteten Rinder mehr Fleisch bringen, ist es logisch, dass weniger Tiere den Bedarf decken können. Dennoch: Die Produktion von Rindfleisch ging insgesamt um 5,6 Prozent zurück. Dafür kamen mehr Schweine und Hühner auf die Schlachtbank als noch im Vorjahr.

Täglich oder nahezu täglich Fleisch

Insgesamt wurden knapp vier Millionen Tonnen Fleisch produziert. 85 Prozent der deutschen Bevölkerung essen täglich oder nahezu täglich Fleisch und Aufschnitt. Insgesamt sind das im Durchschnitt etwa 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr und Kopf - oder 1094 Tiere, wie der Fleischatlas anschaulich zeigt.

Auch die Umfrageergebnisse sind zum Teil widersprüchlich: So sagten etwa drei Viertel der Deutschen bei der Befragung der Universitäten aus, ihren Fleischkonsum für eher unproblematisch zu halten - entgegen der 52 Prozent aus der Forsa-Umfrage, die ihr Verhalten ändern wollen. Diese Zahl kommentiert der Fleischatlas mit den trockenen Worten: "Besonders erfolgreich sind sie dabei noch nicht."

In einer ursprünglichen Version des Artikels stand fälschlicherweise, ein Deutscher verzehre im Durchschnitt 89 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Die Zahl wurde mittlerweile korrigiert - sowohl im Text als auch in der Bildunterschrift.

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