Süddeutsche Zeitung

Fitness-Center:Wenn schon kein neues Leben, dann wenigstens ein neuer Körper

Lesezeit: 2 Min.

Wer sich in den Tagen vor Neujahr in ein Fitness-Center verirrte, konnte denken, die Zombie-Apokalypse sei da. Im Januar erreichen die Mitgliederzahlen nun wieder Rekordhöhe. Aber sind die Deutschen auch fitter?

Von David Pfeifer

Das größte Problem, das moderne Menschen in Wohlstandsgesellschaften mit ihrem Körper und ihrem Geist haben, zeigt sich stets zum Jahresbeginn. Nach Silvester steigen die Anmeldezahlen in Fitness-Centern ebenso zuverlässig, wie der Einzelhandel eine Woche zuvor die höchsten Umsätze des Jahres vermeldet hat. Die katholischen Kerndisziplinen Völlerei und Selbstgeißelung korrespondieren in dieser Zeit intensiv miteinander. Wenn man sich zwischen Weihnachten und Neujahr in ein Fitness-Center verirrt, könnte man denken, die Zombie-Apokalypse sei da. Nur ein paar ganz Eiserne heben Gewichte, wenige Schnaufende laufen auf der Stelle vor sich hin. Und wenn eine Frau hereinspaziert, wird sie angegafft, als hinge die Erhaltung der Art von ihr ab.

Vom 2. Januar an füllen sich die Mucki-Buden dann sprunghaft. Die Neujahrsvorsätze werden umgesetzt, der Rotwein ausgeschwitzt und die Ente abgearbeitet. Auch deswegen stieg die Zahl der Deutschen, die in einem Fitness-Center angemeldet sind, 2017 um 6,5 Prozent auf einen Rekordwert von mehr als zehn Millionen. Jeder achte Deutsche also schindet sich mittlerweile an Geräten - zumindest theoretisch: Die Dunkelziffer derer, die angemeldet sind, ihre Mitgliedschaft aber eher ruhen lassen, wird nicht erfasst. Was man hingegen weiß: Die Zahl der Übergewichtigen hat ebenfalls, ähm, zugenommen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung verkündete 2017: "So dick war Deutschland noch nie."

Einer der Gründe für den anhaltenden Fitness-Boom liegt im wachsenden Angebot der Billig-Ketten, wo man für etwa 20 Euro im Monat oft rund um die Uhr trainieren kann. Die Ketten machen trotzdem Gewinn, weil sie viel Kundschaft mit wenig Personal betreuen können.

Doch wo es Gewinner gibt, muss es auch Verlierer geben. Das sind die Sportvereine, von Leichtathletik bis Tennis, deren Mitgliedsbeiträge zwar ebenfalls recht günstig sind, die aber feste Trainingszeiten, soziale Kontakte und Engagement in der Freizeit verlangen. Der Rückgang ist insofern traurig, weil Sport an sich ja eine feine Sache ist, die im besten Fall Spaß macht und nebenher für Muskeln sorgt und Kalorien verbrennt. Moderne Menschen müssen hingegen dann trainieren, wenn sie Zeit haben, um das Essen zu verbrennen, das sie in Kantinen, auf Weihnachtsfeiern und auf Business-Lunches nicht hätten zu sich nehmen sollen. Sie werden bewegt, vom einen Zwangszustand zum nächsten, und sind Opfer ihres überfrachteten Lebens.

Diese Erkenntnis kann durchaus erleichternd sein und praktisch, weil sie nicht nur als Anlass dient, sich im Fitness-Center anzumelden, sondern gleichzeitig auch als Ausrede, um nicht hinzugehen.

Im Sportverein hingegen gibt es Kollegen, Verpflichtungen, Trainer, die einen kennen, und wie in allen sozialen Verbänden bleibt man dort ganz der Alte, ob man will oder nicht. Im neuen Jahr aber soll bei vielen vieles anders werden. Wer sich nicht gleich ein neues Leben wünscht, versucht es zumindest mal mit einem neuen Körper. Obwohl man dem einen üblicherweise ebenso wenig entfliehen kann, wie dem anderen - schon gar nicht auf einem Laufband.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3808668
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.12.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.