Ein Boom war das vor ein paar Jahren: Die Frauenzeitschriften und Boulevardblätter überschlugen sich mit vermeintlichen Weisheiten der folgenden Sorte: "Stellen Sie Ihr Bett nie zwischen Tür und Fenster, da kann das Chi zu leicht abfließen." Oder: "Schließen Sie stets den Klodeckel, sonst geht das ganze schöne Glück/Geld die Kanalisation hinunter."

"Feng Shui" war über Nacht das neue Lifestyle-Zauberwort. Und weil der Mensch einfache Formeln liebt, war er erstmal beeindruckt. Und er übersah ganz und gar, was ihm sein gesunder Verstand ohnehin sagt: Es gibt genug ästhetische und hygienische Überlegungen, die Klappe zuzuhalten. Und es ist keine Alleinerkenntnis des alten Chinas, dass "es zieht, wenn man Fenster und Tür zugleich öffnet", sagt Anke Hommer. "Wenn man eins von beiden schließt, kann das Bett prinzipiell also prima stehenbleiben. Doch um das zu durchblicken, hätte ich nicht Feng-Shui-Beraterin werden müssen", weiß die Münchnerin.
Experten wie sie und der Schweizer Stefan Kessler (Europäisches Feng Shui für eine neue Wohnkultur - Zwischen Tiger und Drachen grast die Kuh, Orell Füssli Verlag) bemühen sich, der interessierten Menschheit nahezubringen, welche Möglichkeiten Feng Shui tatsächlich birgt: Über dessen klassische Wurzeln und seine Perspektiven für die Zukunft sprach Wohlfühlen mit Stefan Kessler.
SZ Wohlfühlen: "Sie sagen, grundsätzlich besitzt jede Kultur ihr Feng Shui, auch unsere mitteleuropäische. Können Sie dafür Beispiele geben? Kessler: In unserem Kulturraum besaßen die Kathedralenbauer, die "Bauhütten", ein sehr großes Wissen, das allerdings geheim gehalten wurde. Ebenso die Pythagoräer. Diese Kenntnisse drücken sich in Zahlen aus. Aber dieses Wissen steht uns nicht unmittelbar zur Verfügung, da es praktisch keine schriftlichen Überlieferungen gibt. Auch andere Kulturkreise haben ihre Systeme. In Indien kennt man das sogenannte Vastu, die alte indische Architekturlehre. Letztlich stammt jegliche Art von Feng Shui aus dem Schamanismus. Bei einer ganzheitlichen Heilung wird das Wohnumfeld miteinbezogen. Es geht uns um die Essenz des Raumes und des Wohnens, unabhängig von einer speziellen Richtung.
SZ Wohlfühlen: "Man kann Menschen mit einer Wohnung genauso töten wie mit einer Axt" - dieses Zitat Heinrich Zilles stellen Sie Ihrem Buch voran. Erklären Sie uns das? Kessler: Dieses Zitat von Zille ist natürlich etwas überspitzt. Winston Churchill sagte: "We give shape to our buildings, and they, in turn, shape us". Heute wissen wir, dass zum Beispiel Farben uns beeinflussen. Aber unser ganzes Umfeld nimmt Einfluss auf uns, die Formen, Materialien. Manche Häuser oder Wohnungen sind so gestaltet, dass sie einfach keine Geborgenheit und Rückzugsmöglichkeit vermitteln. Auf die Dauer kann das tatsächlich zu psychischen oder gar physischen Störungen führen.
SZ Wohlfühlen: Ist Feng Shui ohne Philosophie-Studium überhaupt möglich? Kessler: Es ist sicherlich von Vorteil, die spirituellen Grundlagen des Taoismus zu kennen, wenn man sich mit Feng Shui ernsthaft beschäftigt: das Streben nach Ausgleich und Harmonie, die Konzepte von Yin und Yang, die fünf Elemente, die Lebensenergie Chi. Die Taoisten waren sozusagen die "Pioniere der Energie". Deren Kenntnisse fanden ja nicht nur in der Traditionellen Chinesischen Medizin mit ihren Energiebahnen ihre Anwendung, sondern unter anderem im Feng Shui.
SZ Wohlfühlen: In Ihrem Buch sprechen Sie davon, dass Feng Shui seine Grenzen hat - welche? Kessler: Die Grenzen sind klar dort zu ziehen, wo all zu viele Versprechungen gemacht werden. Grob fahrlässig wird es dann, wenn die Heilung einer Krankheit mit Feng Shui versprochen wird. Aber sicherlich ist es legitim, erfolgreich, glücklich und gesund sein zu wollen. Feng Shui hilft allerdings nur unterstützend. Die Verantwortung und Hauptarbeit liegt jedoch beim Einzelnen. Ich hatte mal eine Schülerin, die den Kurs besuchte, um mit Feng Shui einen Partner in ihr Leben zu ziehen. Verständlich! Unter Hauptarbeit verstehe ich in diesem konkreten Beispiel: Sein Beziehungsmuster aufzuspüren, die kommunikativen Fähigkeiten zu verbessern, Arbeit am Selbstwert, Klärung des Beziehungswunsches - viele wissen ja gar nicht, was sie wollen ...
SZ Wohlfühlen: Wie könnte ein "Europäisches Feng Shui" in Zukunft aussehen? Kessler: Der deutsche Philosoph Gernot Böhme hat es richtig formuliert, indem er eine "Humanisierung der Architektur" fordert. Lange Zeit galt Architektur nur als visuelle Kunst. Letztlich geht es aber um Atmosphären, die man nur im Raum erleben kann. Im "Europäischen Feng Shui" geht es darum, unser reiches westliches Wissen zu integrieren. Gerade im Bereich der Symbolik. Wir verfügen über andere Archetypen und innere Bilder. Die drei Hausgötter Fuk, Luk und Sau dürfen zum Beispiel in keinem chinesischen Haushalt fehlen. Sie haben für uns aber kaum die entsprechende Wirkung. Da würde der Heilige Antonius mehr helfen.
SZ Wohlfühlen: Wie kann der Mieter einer bescheidenen Zwei-Zimmer-Stadtwohnung von Feng Shui profitieren? Kessler: Als Mieter ist man natürlich etwas eingeschränkt, da man in der Außengestaltung nichts machen kann. Allerdings wohnt man ja in der Wohnung und hier kann der Einzelne viel bewirken: Mit Farben, Bildern, Accessoires, Beleuchtungskonzepten, Pflanzen und Möbeln.
SZ Wohlfühlen: Wie gehen Sie mit Skeptikern um, die in Feng Shui "esoterischen Quatsch" oder Geldmacherei sehen? Kessler: Was heute noch als Esoterik gilt, ist morgen Alltag. Bei den größten Kritikern stellt sich oft heraus, dass sie sich noch nie richtig mit dem Thema befasst haben. Meine Beobachtung ist, dass die Immobilienbranche zwar den Trend erkennt, aber einfach den Mut nicht hat, Feng Shui anzuwenden.
SZ Wohlfühlen: Warum? Kessler: Vermutlich aus Angst vor einem Imageverlust. Dabei wäre das Gegenteil der Fall. Das wäre eine echte Innovation und am Menschen orientiert zu bauen, wäre ein wahrer Marktvorteil.
SZ Wohlfühlen: Warum leben die meisten Menschen - vor allem Architekten - so viel lieber in Altbauwohnungen, in denen mal das Parkett knarrt oder der Stuck die Fingerabdrücke eines Handwerkers zeigt? Kessler: Zum einen war die alte Bauweise schon viel anders: sorgsamer, umsichtiger und bewusster. Schon der Bauplatz wurde unter ganz anderen Kriterien ausgewählt. Denken Sie aber auch an die heutigen Bauzeiten: Zeit ist Geld. Und: Wer baut heute schon noch nach dem Goldenen Schnitt, nach Zahl, Maß und Proportion? Die alten Häuser verfügen oft über eine freundliche Ausstrahlung, über ein Gesicht, über Wärme.