Süddeutsche Zeitung

FDP will Embryonenschutz lockern:Sortierer des Lebens

Geht es nach der FDP, dürfen Embryonen schon aussortiert werden, wenn nur die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung besteht. So offen hat sich lange niemand in Deutschland vom Embryonenschutz abgekehrt.

Charlotte Frank

Drei Monate ist es her, dass der Bundesgerichtshof überraschend das Verbot der Präimplantations-Diagnostik (PID) in Deutschland gekippt hat. Drei Monate, in denen die Gegner der PID in einer Art Schockzustand verweilten: Statt die Chance zu ergreifen und eine intensive gesellschaftliche Debatte um das hochsensible Thema anzustoßen, mauerten sie sich hinter Dammbruch-Argumenten und einem kategorischen Nein ein - und ließen so den Befürwortern freie Bahn.

Am Montag wurde ein Positionspapier der FDP bekannt, das sich für eine radikale Freigabe der PID starkmacht. Eine Gruppe um die gesundheitspolitische Sprecherin Ulrike Flach fordert die generelle Zulassung der PID, sofern bei einem ungeborenen Kind eine genetische Krankheitsveranlagung vorliegt. Das heißt nichts anderes, als dass Embryonen schon aussortiert werden können, wenn nur die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung besteht.

So offen hat sich in Deutschland schon lange niemand mehr vom Embryonenschutz abgekehrt - auch nicht der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom Juli. Die Richter haben vielmehr festgestellt, dass die PID nicht eindeutig verboten ist. Nur deshalb müsse sie vorerst als erlaubt gelten. Das hat nichts mit einer Liberalisierung zu tun, wie sie die FDP nun fordert. Denn ein absolutes Ja darf es bei der PID nicht geben - jedenfalls nicht in einer Gesellschaft, die die absolute menschliche Verfügungsmacht über das Leben ablehnt.

Es ist den Liberalen dennoch anzurechnen, dass sie das Thema PID auf die politische Agenda zurückgeholt haben. Nun wird immer klarer, dass die Union ihren strikt ablehnenden Kurs nicht halten kann, wenn sie gemeinsam mit dem Koalitionspartner zu einer neuen gesetzlichen Regelung kommen will - und das muss sie. Denn ob man nun utilitaristisch oder ethisch-normativ argumentiert: Das Urteil des Bundesgerichtshofs kann in der Sache nicht das letzte Wort sein. Die Politik muss beim Thema PID zu einer Einigung kommen.

Und dazu muss sich auch die Union bewegen. Denn genauso wie ein absolutes Ja zur PID anmaßend ist, ist es auch das absolute Nein der Christdemokraten. In ihrer Partei scheinen viele den fürsorglichen Vater Staat mit der Fürsorge von Vater und Mutter zu verwechseln. Wenn Eltern schwerstkrank sind und fürchten müssen, ihr Leiden an ihr Kind weiterzugeben, sollte sich niemand anmaßen, ihnen vorzuschreiben, ob und wie sie mit dieser Sorge umzugehen haben. Niemand außer ihnen kann ermessen, wie groß ihr individuelles Leiden ist. Niemand kann sie zudem daran hindern, in europäische Nachbarländer zu fahren, wo die PID längst zugelassen ist.

Die Vorstellung vieler Vertreter der evangelischen Kirche, aber auch der Bundesärztekammer ist deshalb richtig: Sie fordern, die Präimplantations-Diagnostik in sehr engen Grenzen zuzulassen, unter hohen Auflagen und für einen streng definierten Personenkreis.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2010/bre
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