Kolumne "Schon schön":Die Flamme des Wahnsinns

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Berauschte Helden: Die ZDF-Dokuserie „FC Hollywood“ erzählt von den wilden Neunzigerjahren in München. (Foto: Foto: ZDF)

Wer München in den Neunzigerjahren erlebt hat, wird die ZDF-Serie „FC Hollywood“ lieben: Es ist wie ein Klassentreffen mit den Chaoten von früher.

Eine Kolumne von Christian Mayer

Älterwerden ist nicht unbedingt schön, aber es gibt Lichtblicke. Manche Menschen werden durch Erfahrung klüger, andere sogar weicher, zumindest in der Körpermitte. Schön ist auch, wenn man Menschen, die man früher gut zu kennen glaubte, zufällig wiedersieht und feststellt, dass man nicht alleine altert. Das macht natürlich am meisten Spaß, wenn die Altersgenossen – in diesem Fall lauter Mittfünfziger – früher auf der großen Bühne des Lebens brilliert haben und dabei auch mal grandios gescheitert sind. Wenn sie keine Duckmäuser sind, sondern Draufgänger, die ihre Falten mit Würde tragen. So wie Lothar Matthäus, Mehmet Scholl, Jürgen Klinsmann, Mario Basler oder Stefan Effenberg, die Hauptdarsteller in der ZDF-Miniserie „FC Hollywood“.

Wer die Neunzigerjahre in München erlebt und Freude am Spektakel hat, wird diese Dokumentation mit großem Vergnügen wegsuchten. Der FC Bayern war damals ein Verein mit lauter begabten, aber unberechenbaren Spielern. Sportlich gab es bessere Zeiten, trotz einiger Meistertitel gelang es den Bayern nie, den großen Traum vom Gewinn der Champions League zu verwirklichen – das dramatische Ende dieser Epoche war das in letzter Minute verlorene Finale 1999 gegen Manchester United, ein Trauma epischen Ausmaßes.

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Die ZDF-Dokuserie „FC Hollywood“ führt zurück in die Neunziger, als es beim FC Bayern fast jeden Tag einen Skandal gab. Aber noch keine Shitstorms. Wunderbar.

Von Holger Gertz

Aber was war dieser FC Hollywood für ein schillerndes Theater! In der ZDF-Serie kann man all die alten Schlachten noch einmal erleben, die Peinlichkeiten und Intrigen jenseits des Spielfelds. Etwa die öffentliche Suche nach dem Maulwurf: Bayern-Kapitän Lothar Matthäus geriet wegen seiner Standleitung zur Bild-Zeitung nicht ganz unschuldig in Verdacht, Interna aus der Mannschaft an die Presse zu geben; auch seine Dauerfehde mit Jürgen Klinsmann war immer für eine Schlagzeile gut. Mario Basler war bekannt dafür, selbst vor entscheidenden Spielen bis halb vier in der Früh seinen Durst an der Hotelbar zu löschen, Stefan Effenberg rauschte mit 1,07 Promille in eine Polizeikontrolle. Wenn der „Tiger“ mal los war, gab es zwischen P1 und Säbener Straße ohnehin kein Halten mehr.

Regelmäßig sprach der „Kaiser“ Franz Beckenbauer ein Machtwort, und Manager Uli Hoeneß mühte sich tapfer, den Laden zusammenzuhalten. Doch was die ZDF-Serie höflich ausklammert: Auch die Vereinsbosse waren ein aktiver Teil des FC Hollywood mit jeweils eigenen amourösen Verwicklungen und Affären – für Boulevardreporter waren das goldene Zeiten.

Wenn man den grau gewordenen Matadoren dabei zusieht, wie sie im Studio vor einer dunkelgrünen Wand in Erinnerungen schwelgen, hat das den Charme eines Klassentreffens mit den Chaoten von einst: Effenberg, Basler, Matthäus und Co. sind zwar älter geworden, das ist der Lauf der Zeit. In ihren Gesichtern glaubt man Spuren von Lebenserfahrung zu erkennen, doch tief in ihnen wohnt noch dieser Drang, es allen zeigen zu müssen, die Flamme des Wahnsinns, die nie ganz erloschen ist. Danke, Männer, für diese schöne Zeit! Und, liebes ZDF: Diese Geschichte ist noch lange nicht auserzählt.

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