Süddeutsche Zeitung

Fastenzeit:Sieben Vorschläge für kreativeres Fasten

Nach Aschermittwoch kein Alkohol, kein Fleisch oder keine Süßigkeiten ist Ihnen zu langweilig? Es gibt Alternativen zur Askese.

Das schlechte Gewissen schlummert seit dem Neujahrstag im Unterbewusstsein. Noch tiefer schläft das Vorhaben, das Laster zu bekämpfen. Bis zum Aschermittwoch. Christen blicken an diesem Tag der Wahrheit ins Gesicht. Es gilt, seine Sünden zu erkennen und zumindest 40 Tage abstinent zu bleiben: Fastenzeit.

Wer nicht religiös ist, kann damit erstmal wenig anfangen. Warum die Askese? Warum nach einem langen Arbeitstag nicht Schokolade, Steak und Rotwein genießen?

Weil es, unabhängig vom Glauben, nicht verkehrt sein kann, das eigene Verhalten zu überdenken, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und sich seiner wahren Bedürfnisse bewusst zu werden. Die Fastenzeit ist auch für Nichtchristen der perfekte Rahmen, individuelle Laster zu besiegen - vor allem, weil es ein absehbarer Zeitraum ist.

Wer am Neujahrstag 365 Tage vor sich hat, ein Vorhaben umzusetzen, nimmt sich meist Enormes vor, und steht - gefühlt - vor dem Anstieg auf den Mount Everest. Nicht umsonst schließen im Januar so viele Menschen Fitnessstudio-Abos ab, die sie anschließend kaum nutzen. Schaff ich sowieso nicht, denkt man. Vorsätze für die Fastenzeit dagegen sind überschaubarer - und zu bewältigen.

Schließlich ist schon sehr bald alles wieder vorbei. 40 Tage sind es. Also eher ein Hügel im Hunsrück, den es zu besteigen gilt. Wer aber nicht ganz simpel auf Schokolade, Alkohol oder Fleisch verzichten will, für den haben wir ein paar kreativere Vorschläge:

Mobiles-Internet-Fasten

Smartphones sind toll, aber sie treiben mich in den Wahnsinn. WhatsApp-Nachrichten und Pushmeldungen ploppen auf, man starrt immerzu aufs Display, selbst dann, wenn man einem anderen Menschen im Gespräch gegenübersitzt. Was dabei am meisten nervt: Ich selbst.

Besonders schlimm ist es, wenn ich unterwegs bin. Drei Minuten warten an der Tramhaltestelle? Zack, Handy raus. Fünf neue Nachrichten? Könnte ich super in der U-Bahn beantworten. Der Bus verspätet sich? Mal die MVG-App checken. So bin ich die meiste Zeit damit beschäftigt, auf mein Handy zu starren. Ich suche Buslinien raus, mit denen ich zwei Minuten schneller am Ziel bin oder google Öffnungszeiten von Läden, an denen ich sowieso vorbeilaufe. Schluss damit! Ich verzichte auf mobiles Internet. Ein paar Wochen lang aus dem Tramfenster gucken, Häuserecken und Mitmenschen sehen, das hat was. Und es kann ziemlich erfrischend sein, wenn die Kneipendiskussion (Heißen die Einwohner von Panama eigentlich Panamaer oder Panamesen?) nicht durch sofortiges Googeln beendet wird.

Als Kind habe ich auf Süßigkeiten oder Fernsehen verzichtet. Vergangenes Jahr brachte mich ein muslimischer Freund wieder darauf. Wir sprachen über den Ramadan und er fragte mich, wie das eigentlich abläuft, die Fastenzeit bei uns Christen. Ich kam mir ganz schön verweichlicht vor nach diesem Gespräch und beschloss, es einfach mal wieder zu versuchen. Dogmatisch will ich dabei nicht sein, von der Ramadan-Disziplin bin ich weit entfernt. Daheim auf dem Sofa finde ich es völlig in Ordnung, das Smartphone bewusst in die Hand zu nehmen. Nur den Reflex, den wär ich gern los. Übrigens: Die Einwohner von Panama heißen Panamaer.

(Elisa Britzelmeier)

Netflix-Fasten

Dank Streaming-Diensten lassen sich graue Winterabende herrlich auf dem Sofa vor dem Laptop verbringen. Doch das hat Tücken: Schaut man zu, wie nach dem Ende einer Folge der Countdown bis zum Beginn der nächsten Folge runter läuft, gerät man allzu leicht in Versuchung, einfach sitzenzubleiben und noch eine Folge zu schauen. Oder zwei. Oder drei. Binge-Watching, das belegen inzwischen Studien, ist eine Sucht, ähnlich ernst zu nehmen wie die nach Alkohol oder Zigaretten.

Wäre also eine gute Idee, in der Fastenzeit auf endlose Sessions mittelmäßiger Serien und halbgarer Dokus zu verzichten. Die Devise: lieber Gutes gucken statt viel gucken. Also einen Filmeabend veranstalten, mit Klassikern wie "Vom Winde verweht", "Psycho" oder "Die Reifeprüfung". Oder ins Kino gehen und die Oscar-Gewinner anschauen, mit Popcorn und auf großer Leinwand statt auf pixeligem Computer-Display. Wer besonders motiviert ist, verzichtet komplett auf bewegte Bilder und greift stattdessen zu einem guten, dicken Buch.

(Hanna Sellheim)

Kurznachrichten-Fasten

Als ich als Kind meiner besten Freundin mit tropfendem Lamy-Füller auf Pferdepapier geschrieben habe - Vorschreiben, Schönschreiben, Herzchen malen - saß ich bis zu einer Stunde an einem Brief. Auch als ich für jede SMS 19 Cent bezahlen musste, habe ich ziemlich lange Buchstaben gepuzzelt. Bei WhatsApp-Nachrichten denke ich nicht mehr nach. Oder zu spät. Manchmal kommt dann etwas völlig anderes an, als ich eigentlich senden wollte.

Das Problem: Nicht-schreiben ist auch keine Lösung. Denn wer auf dem Display zwei Häkchen sieht, geht davon aus, die Nachricht ist angekommen. Und weil auf der Rolltreppe, im Bus oder zwischen zwei Happen Brot doch eigentlich immer genug Zeit ist, ein paar Zeichen einzutippen, ist keine Antwort auch eine Antwort.

Mein vergangenes Wochenende ist fast zum Desaster geworden. Weil ich das WhatsApp-Schweigen eines ganz wichtigen Menschen mal wieder als Desinteresse interpretiert habe. Dabei war das, was gesagt werden musste, einfach nur zu wichtig für die Rolltreppe, für den Bus oder für die Pause zwischen zwei Happen Brot. Es passte nicht in kleine grüne oder graue Textfelder. Als wir uns wieder in die Augen gucken konnten, haben wir beschlossen: So etwas wird keinen Streit mehr zwischen uns auslösen. Wir verzichten vorerst auf Whatsapp. Wir fasten also Missverständnisse.

(Larissa Holzki)

Kaffee-Fasten

Ich werde versuchen, in der Fastenzeit auf Kaffee zu verzichten. Komplett, also nicht nur auf bösen To-Go-Kaffee, den ich schon vor Monaten aus meinem Leben verbannt habe. Wer mich kennt, weiß: Das wird hart. Ich liebe Kaffee, ich trinke viel davon, er ist wichtiger Bestandteil meiner täglichen Routinen: der Cappuccino zum Frühstück, der Espresso nach dem Mittagessen, im Büro immer mal einen zwischendurch, nachmittags Kaffeetreff mit einer Freundin. Und wenn sich Kopfschmerzen anbahnen, trinke ich einen doppelten Espresso quasi als Medizin.

"Kaffee trinken" ist in meinem Leben eine Chiffre für "miteinander reden", privat wie beruflich. Ich habe schon oft versucht, das zu entkoppeln. Bisher ist es mir noch nie gelungen. Vielleicht hilft es, dass ich es nun öffentlich verkündet habe. Dass es so schwierig für mich ist, ist auch der Grund dafür, nun ausgerechnet auf Kaffee zu verzichten. Ich will mich schließlich herausfordern, Süßigkeiten oder Alkohol wegzulassen wäre für mich nicht schwer. Als Bonus kommt dazu, dass viel Kaffee nicht gesund ist und die Umwelt belastet. Doch vor allem geht es für mich um den Verzicht an sich.

(Barbara Vorsamer)

Aufzug-Fasten

Dieser Verzicht ist hochambitioniert, zeitaufwändig, zum Teil schweißtreibend und er kann zum Verlust von sozialen Kontakten führen: Ich fahre keinen Fahrstuhl mehr. Nicht in der U-Bahn, nicht im Kaufhaus, nicht in der Arbeit. Wobei letzteres die größte Herausforderung ist. Das Büro ist im 16. Stock, konferiert wird im 25., den guten Kaffee gibt's im Erdgeschoss und das Postfach auf Etage 20 sollte man auch hin und wieder checken.

Der faule Kompromiss am Vormittag: Zu Fuß zur Butterbreze runter, per Aufzug zurück an den Schreibtisch. Nach dem Mittagessen trennen sich die Wege, die Herde drängt sich an den Fahrstühlen, man selbst steuert das stickige Treppenhaus an. Zurück im Büro starren die Kollegen schon konzentriert auf ihre Bildschirme, während man versucht, sich die rote Farbe aus dem Gesicht zu fächeln. Konferenztermine müssen im Kalender fünf Minuten früher aufploppen, um nicht hochrot und verspätet reinplatzen zu müssen. Anfangs noch irgendwie witzig, irgendwann nervig.

Seien wir ehrlich. Vollständiger Verzicht ist in diesem Fall zu hart. Die wachsweich formulierte Variante - "Öfter mal die Treppe nehmen" - ist mir aber zu wenig ambitioniert. Vielleicht klappt es so: Mehr Zeit auf der Treppe bedeutet weniger Zeit am Schreibtisch. Und das ist doch mal ein erstrebenswerter Verzicht.

(Ingrid Fuchs)

Bundesliga-Fasten

Handspiele sind böse, Schwalben erst recht und nicht gegebene Elfmeter? Huiuiuiui. Fußball, du bist ein wunderbarer Sport. Wunderbar, um sich Spieltag für Spieltag über Ungerechtigkeiten zu empören. Wunderbar, um bei Fallrückziehern der Marke "anatomisch unmöglich" den eigenen Blutdruck zu spüren. Aber im Ernst: Ein paar Wochen ohne Bundesliga wären für Gesundheit und Charakter auch ganz zuträglich. Eine innere Grundreinigung für geplagte HSV-Anhänger und übersättigte Bayernfans, auf dass sie wieder jubeln mögen bei einfachen 1:0-Siegen.

Allein der Zeitgewinn: Wer sich die Übertragungen spart, kann seine Wochenenden auf einmal frei gestalten, Familienangehörige und Freunde bekommen Aufmerksamkeit auch noch nach 15.30 Uhr - ein Wettbewerbsvorteil gegenüber allen Sündern, die zum Bildschirm oder ins Stadion pilgern. Wer ganz mutig ist, probiert in seiner Freizeit neue Sachen aus: Selbst Sport treiben, ins Kino gehen, Ausflüge machen - aber Vorsicht: Es besteht die Gefahr einer Horizonterweiterung. Wer nach ein paar Wochen zum Gekicke zurückkehrt, wird über so manchen Aufreger nur noch den Kopf schütteln und Fehler von 20-jährigen Bubis für Fehler von 20-jährigen Bubis halten. Ein paar abgekühlte Gemüter würden sicher auch der aktuellen Brause-gegen-Tradition-Debatte ganz gut tun. Und wer es gar nicht ohne Sport anschauen aushält: Nordische Ski-WM, Biathlon, Hallen-EM der Leichtathletik - man wird fündig.

(Saskia Aleythe)

Ironie-Fasten

Was haben wir alle gelacht in den vergangenen Wochen und Monaten, von Donald Trumps ersten Reden als Präsidentschaftskandidat bis hin zu Kellyanne Conways Sofa-Foto jetzt. Die Bandbreite der Witze über den amerikanischen Präsidenten ist unendlich: Trump hat denselben Hautton wie eine Orange, seine Haare ähneln einem Meerschweinchen und er führt sich auf wie ein kleiner Junge. Satire ist eine mächtige Waffe im Umgang mit Politikern, die demokratische Werte gefährden. Trotzdem ist es an der Zeit, wieder mehr Ernsthaftigkeit in den Diskurs einkehren zu lassen.

Nicht alle politischen Ereignisse lassen sich mit Humor verarbeiten. Schmähgedichte ändern nichts daran, dass der türkische Präsident Erdoğan kritische Journalisten ins Gefängnis stecken lässt. Trump in Fotos auf seine halbe Körpergröße zu schrumpfen, hält ihn nicht davon ab, die Rechte von Minderheiten einzuschränken. Den AfD-Mann Björn Höcke konsequent Bernd zu nennen, hindert die Partei nicht daran, populistische Propaganda zu betreiben. Jetzt in der Fastenzeit wäre die Chance, wieder auf Sarkasmus zu verzichten und sich stattdessen ernsthaft mit der Weltpolitik auseinanderzusetzen. Wer weniger Witzchen reißt, hat mehr Zeit, sich zu überlegen, was er denn tun kann, um tatsächlich etwas zu verändern: Zu einer Bürgerversammlung gehen, eine Hilfsorganisation unterstützen, oder ganz altmodisch: in eine Partei eintreten.

(Hanna Sellheim)

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