Deutschland, deine Mode:"Pseudoadeliger Traditionalistenstil"

In Berlin hat die Fashion Week begonnen. Der perfekte Zeitpunkt für ein Gespräch mit der Modeblog-Pionierin Mary Scherpe über die Deutschen und ihr Verhältnis zur Mode.

Violetta Simon

Die Mercedes Benz Fashion Week Berlin ist auch in diesem Jahr wieder Anziehungspunkt für Modebesessene aus der ganzen Welt. Moderedakteure, Fotografen, Blogger, Händler und Stylisten strömen in die Hallen am Bebelplatz. Auch die Modebloggerin Mary Scherpe wird sich die Präsentationen der deutschen Designer ansehen und über Trends, Highlights und Besonderheiten berichten. Scherpe gründete 2006 mit "Stil in Berlin" einen der ersten deutschen Modeblogs - und einen der erfolgreichsten. Die 28-Jährige arbeitet als Fotografin und Autorin, außerdem studiert sie Japanologie und Kunstgeschichte. Ein Gespräch über die Deutschen und ihre Auffassung von Mode.

mary scherpe

Mit ihren Beiträgen und Fotos von Menschen und Mode erreicht Mary Scherpe rund 150.000 Leser im Monat, auf Facebook zählt ihr Blog 20.000 Fans.

(Foto: oh / privat)

sueddeutsche.de: Ist der Deutsche an sich modisch?

Mary Scherpe: Ich würde nicht sagen: Jemand ist modisch oder nicht. Mode ist ein ganz persönliches Ausdrucksmittel. Für die meisten Menschen transportiert sie, wie sie sich fühlen und wie sie gesehen werden wollen.

sueddeutsche.de: Also gut - wie drücken sich denn die Deutschen aus?

Scherpe: Eher konservativ und zurückhaltend. Obwohl eine Menge Geld und Zeit in Klamotten investiert wird, sind die meisten alles andere als mutig. Deutsche stehen Trends zögerlich und wertend gegenüber. Sie sind weniger offen für Neues. Schauen Sie sich in einer Fußgängerzone um, wie viele Menschen da mit vollen Tüten rumlaufen. Und was ist drin? Lauter Basics!

sueddeutsche.de: Welche Nationen sind da mutiger?

Scherpe: Großbritannien und Skandinavien, vor allem die Schweden sind sehr schnell dabei, Neues zu übernehmen.

sueddeutsche.de: Was ist mit Italien und Frankreich?

Scherpe: Die lassen sich nicht so leicht beeinflussen, in Paris und Rom haben sie ihren eigenen, klassischen Stil.

sueddeutsche.de: Bleiben wir in Berlin - kleiden sich die Menschen in der Hauptstadt anders als der Rest der Deutschen?

Scherpe: Auf jeden Fall. Trotz seiner Größe ist Berlin irgendwie schluffig und entspannt. Kein Vergleich zu Paris oder London, wo man sofort von einem Taxi überfahren oder von einem Banker umgerannt wird, sobald man auf die Straße tritt. Der Berliner ist ruhiger, stressfreier, das macht sich auch in seinem Stil bemerkbar: Die Frauen tragen seltener hohe Absätze oder einschneidende Kleider, die Formen sind weniger streng. Und: Die Berliner sind experimentierfreudiger.

sueddeutsche.de: Das war vermutlich auch der Grund, warum Sie Ihren Modeblog den Berlinern widmen?

Scherpe: Genau. Es herrscht eine Atmosphäre, die erlaubt, Sachen zu tragen, für die man in München angespuckt wird.

sueddeutsche.de: Erlauben Sie mal!

Scherpe: Nicht, dass mir das dort jetzt wirklich passiert wäre. Was ich meine, ist: Wofür man in anderen Städten wie München, Hamburg oder kleineren Städten wie Karlsruhe angestarrt wird, das interessiert in Berlin einfach niemanden.

sueddeutsche.de: Immerhin haben wir hier in München Patrick Mohr, oder? Auch wenn er nicht in München geblieben ist.

Scherpe: Ja, ein einsames Beispiel.

sueddeutsche.de: Der Rest der Republik hat vielleicht keine Lust auf Experimente, sondern sehnt sich nach Beständigkeit. Was also werden die weniger experimentierfreudigen Deutschen in der kommenden Saison tragen?

Die Furcht vor den Traditionalisten

Scherpe: Ich persönlich befürchte - wenn ich das mal pessimistisch formuliere -, dass sich eher der Stil der neuen Konservativen durchsetzen könnte.

sueddeutsche.de: Wie kommen Sie denn auf so eine Idee?

Scherpe: Darin kommt ein zunehmendes Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit zum Ausdruck.

sueddeutsche.de: Rein stilistisch gesehen - wovor genau müssten wir uns da fürchten?

Scherpe: Vor einem pseudoadeligem Traditionalisten-Stil mit Barbourjacke, zurückgegelten Haaren und ACDC-Shirt, das in seiner Unperfektheit Bürgernähe signalisieren soll.

sueddeutsche.de: Sie sprechen von der "Generation Guttenberg". Dieser Trend hätte aber doch durchaus seine Berechtigung, zumal er offenbar einem kollektiven gesellschaftlichen Empfinden entspringt ...

Scherpe: Ja, immer mehr Menschen scheinen beinahe so was wie eine Angst vor dem Weltende zu empfinden.

sueddeutsche.de: Wenn das kein berechtigter Grund für ein Heavy-Metal-Shirt ist! Wie würden Sie denn dieser Angst auf modischer Ebene begegnen?

Scherpe: Ich persönlich empfinde keine Angst vor einem Weltende. Aber wenn, dann würde ich dagegen vorgehen, indem ich etwas trage, das mir das Gefühl gibt, ich hätte noch meine Bettdecke um: ein warmer, weicher Lammfellmantel mit Kapuze.

sueddeutsche.de: Was werden die internationalen Designer dieser kollektiven Angst entgegensetzen?

Scherpe: Durchgeknallte Farbigkeit und verrückte Prints. Wie zum Beispiel die Prada-Kollektion, die Bananen und Affen zeigt, oder Colour-Blockings - Kombinationen aus explosiven Farben -, wie sie bei Jil Sander zu finden sind.

sueddeutsche.de: Werden die deutschen Designer auf diese Endzeitstimmung auch so farbenfroh reagieren?

Scherpe: Weniger. Es bleibt vorwiegend bei beige, weinrot, schlammfarben - wie man so schön sagt: camel. Die Form bewegt sich weiter in Richtung Minimalismus: großflächige Schnitte, weniger Details, weg von der Vielschichtigkeit.

sueddeutsche.de: Das klingt jetzt beinahe wie die Beschreibung der klassischen Rentner-Outfits. Und kein bisschen besser als Weltende. Aber es gibt doch sicher einige Lichtgestalten auf der Fashion Week?

Scherpe: Mich interessieren besonders Michael Sontag, Vladimir Karaleev und das Duo Perret Schaad. Mein Tipp abseits der offiziellen Schauen: Das Berliner Label "don't shoot the messengers" und der "Collect Showroom" - eine Art Minimesse, auf der weitere Berliner Labels wie Reality Studio und Hien Le zu finden sind.

sueddeutsche.de: Was machen diese Designer besser?

Scherpe: Das sind alles noch sehr junge Designer, die ihre kleinen Labels mit sehr viel Liebe betreuen - ich bin gespannt, was sie präsentieren werden.

sueddeutsche.de: Und was ist mit dem Moderebellen Patrick Mohr? Jetzt könnten Sie mal was Nettes über einen Münchner sagen!

Scherpe: Er wird sicher mit seiner Schau überraschen - wie jedes Jahr.

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