Süddeutsche Zeitung

Familientrio:Wutbürger als Freund?

Der 13-jährige Sohn einer Leserin hat einen neuen Freund. Leider äußert sich der Junge immer wieder abfällig über Migranten. Was tun?

Wir haben im Urlaub eine nette Familie kennengelernt, die allerdings ins Lager der Wutbürger gehört. Vor allem die 13-jährigen Söhne haben sich super verstanden und sich schon ein paar Mal besucht. Nun hat unser Sohn erzählt, dass der Junge ein schwarzes Kind als "Neger" bezeichnet und sich abfällig über Migranten geäußert hat. Er findet seinen neuen Freund nett, weiß aber nicht, ob er ihn weiter treffen soll. Was sollen wir ihm raten?

Marina R., München

Margit Auer:

Was jetzt: Nett oder Wutbürger? Wenn nett überwiegt, würde ich den Kontakt aufrecht erhalten und viel miteinander reden. Das wäre sogar richtig, richtig toll! Wie sonst kann ein Umdenken stattfinden? 13 Jahre ist ein gutes Alter, um Positionen zu überdenken und einen neuen Weg einzuschlagen. Wenn Ihr Sohn dazu einen Beitrag leistet - großartig. Sollten Sie aber merken, dass ihn die Situation überfordert, würde ich den Kontakt zurückfahren.

Auch für uns Erwachsene wäre es übrigens wichtig, sich aus der eigenen Blase hinauszubewegen und Ansichten selbstkritisch zu hinterfragen. Sind wir wirklich so tolerant, wie wir glauben? Oder sind wir es nur, weil manche gesellschaftlichen Probleme für uns gar keine Auswirkungen haben? Weil in unserem Stadtviertel, an unserer Schule, in unserer Arbeit alles problemlos läuft? Was tun wir tatsächlich für ein besseres Miteinander? Wenn die andere Familie nett ist, lohnt es sich, ehrlich miteinander zu diskutieren. Das fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den wir so dringend brauchen.

Herbert Renz-Polster:

Bei einer immer mehr polarisierten politischen Landschaft dürfte das gar nicht so selten vorkommen. Wie er zu seinem Freund steht, kann niemand anders als Ihr Sohn entscheiden. Wie viel Unbehagen er aushalten will, und was bei dieser Freundschaft auf der anderen Seite der Waagschale liegt, das weiß nur er. Die Rolle der Eltern? Natürlich können Sie mit Ihrem Kind über die Gemeinheit solcher Aussagen reden, aber gleichzeitig eben auch thematisieren, wo die denn wohl her kommen. Kinder sind Menschen auf dem Weg, und können lange nicht anders als ihren Versorgern nachzuplappern. Sie sind nun einmal einer Übermacht ausgeliefert. Da hilft es wenig mit dem langen Finger auf das Kind zu zeigen. Viel besser ist, darüber zu reden: Ist das die selbst gebildete Meinung dieses Freundes? Wie bildet sich so eine Meinung? Wie lange hält sie an, wie kommt er da vielleicht raus? Vielleicht bringt das eine gesunde Perspektive in die Freundschaft, die Raum lässt für Entwicklung.

Collien Ulmen-Fernandes:

Liebe Marina, interessanter Fall, bei dem man viel richtig und noch mehr falsch machen kann. Fangen wir mal so an: Dass Ihr Sohn einen ausgeprägten Sinn für richtig und falsch zu haben scheint, sollte Sie beruhigen. Dass es ihm missfällt, wenn andere sich abfällig über Mitmenschen äußern, zeigt doch, dass Sie viel richtig gemacht haben in der Erziehung. Ich denke, dass Sie Ihren Sohn nicht zu "schützen" brauchen vor dem neuen Umgang, sehen Sie ihn lieber als Chance: Seien wir doch ehrlich, zwar erfährt man in den Medien andauernd von Querdenkern, Reichsbürgern, Impfskeptikern, aber wirklichen Kontakt mit ihnen hat man ja eher selten. Ihr Sohn aber hat nun die Chance, Brücken in diese Welt zu schlagen, ER kommuniziert mit der anderen Seite - was für fantastische Möglichkeiten zum kulturellen Austausch und zur Verständigung ergeben sich da! Ich kann mir sogar vorstellen, dass jemand wie Ihr Sohn am Ende einen positiven Einfluss auf seinen neuen Freund ausüben kann. Vielleicht kann er ihm eine andere Perspektive nahebringen, ganz konkret und ohne zu belehren, und hat damit am Ende sogar einen größeren Einfluss auf das Wohl unserer Gesellschaft, als wir mit unseren Kolumnen, Filmen und Ratgeber-Büchern.

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SZ vom 07.08.2021
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