Süddeutsche Zeitung

Familientrio:Der ungeliebte Schülerjob

Lesezeit: 2 min

Was tun, wenn die 14-jährige Tochter ihre Arbeit nicht ernst nimmt und Ermahnungen nicht helfen? Drei Familienexperten geben Rat.

Meine 14-jährige Tochter bessert ihr Taschengeld auf, indem sie in unserer Nachbarschaft wöchentlich ein Lokalblättchen austrägt. Sie verteilt die Zeitungen aber meistens erst Tage später oder entsorgt sie gar in der Papiertonne. Ich finde das nicht in Ordnung - schließlich hat sie sich vertraglich verpflichtet, pünktlich zu verteilen. Meine Kritik blockt sie ab und sagt, dass das ihre Sache sei. Was tun?

Eva L. aus München

Kirsten Fuchs:

Das ist ja eine furchtbare Situation für Sie, aber das hilft Ihnen jetzt auch nicht oder? Ich glaube, dass diese Art Jobs oft so erledigt werden, wie Ihre Tochter das tut, und trotzdem wünschen wir uns unsere Kinder moralischer als den Rest der Menschheit. Ein bisschen clever ist es ja schon von ihr. Nicht so clever ist es, sich dabei von Ihnen erwischen zu lassen. Auch wenn das jetzt erst mal wie ein fauler Kompromiss klingt, würde ich zu der Tochter sagen, dass sie sich entweder bitte noch cleverer anstellt und damit Sie nicht zur Komplizin macht oder dass Sie sie leider beim Arbeitgeber melden müssen. Das ist hart, aber smart, oder? Viel besser wäre allerdings, mit ihr in die Redaktion zu fahren, damit sie sieht, dass Arbeit in dieser Zeitung steckt. Vielleicht könnten Sie auch Nachbarn anregen, bei ihr nachzufragen, wo ihre Zeitung bleibt, weil sie diese gern lesen. Vielleicht könnte sie bei Oma Lieschen klingeln, den Hund streicheln und dafür einen Euro extra bekommen? Könnte nicht das kleine Blättchen mit Bedeutung aufgeladen und das Austragen verschönert werden? Könnte sie dabei noch parallel einen Hund Gassi führen und doppelt verdienen?

Herbert Renz-Polster:

Ja, was tun? Sie haben Ihrer Tochter Ihre Meinung mitgeteilt, Sie haben ihr gesagt, dass Sie ihr Verhalten nicht in Ordnung finden. Und das hoffentlich nicht nur als Predigt oder als Vorwurfsarie, sondern auch fragend: Wo liegt das Problem? Warum nimmst du diese Abkürzung? Vielleicht ist Ihre Tochter tatsächlich überfordert, hat sich zu viel aufgeladen? Braucht deshalb vielleicht Unterstützung? Vielleicht haben Sie auch einen Hinweis angeführt, dass gerade für ältere Menschen so ein Lokalblättchen eben doch eine Nabelschnur zur Welt sein kann, weil sie eben kein Smartphone haben. Dass vielleicht andere Leser darin Sachen entdecken, die sie unbedingt kaufen wollen und dann vielleicht verpassen. Vielleicht sogar dringend eine Wohnung suchen? Mehr ist nicht drin, denn es ist tatsächlich die Sache Ihrer jetzt vertragsmündigen Tochter. Sie sind keine Strafverfolgungsbehörde, das gibt eine sich entwickelnde Beziehung nicht her.

Collien Ulmen-Fernandes:

Endlich ist die wahre Ursache für die Krise der gedruckten Zeitungen gefunden - Ihre Tochter ist schuld. Aber ganz ehrlich: Sie hat höchstwahrscheinlich nichts anderes gemacht, als den Kapitalismus zu verstehen. Produktions- oder Dienstleistungsschritte, die man sich sparen kann, spart man sich eben. Niemand überprüft, ob diese auf Papier gedruckte Tristesse-Vergewisserung (klein-)bürgerlicher Existenz jemals bei den Endkonsumenten ankommt. Also entscheidet sich Ihre Tochter für die direkte Entsorgung. Das ist knallhart rational. Ich finde es nicht unsympathisch. Wenn sie erwischt wird, muss sie allerdings ebenso rational mit den Folgen umgehen. Sie begeht einen Vertragsbruch, das ist richtig. Aber wenn man moralisch an die Sache herangeht, muss man fragen: Was ist das schlimmere Verbrechen? Das mutwillige Entsorgen von Lokalblättchen? Oder: Lokalblättchen?

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Quelle:
SZ vom 02.11.2019
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