Familientrio:Muss ich meinem Kind den Wert von Freundschaft erklären?

Betreuungsgeld

Müssen Kinder über den Wert von Freundschaften aufgeklärt werden?

(Foto: dpa)

"Du bist nicht mehr mein Freund", sagt die Vierjährige im Streit zu einem Kind, daraufhin fordert dessen Mutter ein Gespräch mit dem Mädchen. Muss man das ernst nehmen?

Leserin Britta S. aus München fragt:

"Du bist nicht mehr mein Freund", sagte meine vierjährige Tochter letztens nach einem kurzen Streit zu einem anderen Kind. Darauf schaltete sich die Mutter des anderen Kindes ein und forderte mich auf, mit meiner Tochter über den grundsätzlichen Wert von Freundschaft zu reden. Ich hatte den Satz meines Kindes gar nicht so ernst genommen. Was meinen Sie?

Drei Experten antworten:

Kirsten Boie

Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugendbüchern, darunter die allseits bekannten und geliebten Geschichten "aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Kirsten Boie: Nicht zu hoch hängen!

Vermutlich sagt jedes kleine Kind diesen Satz irgendwann - gerade zu einem besten Freund; in der Regel sogar öfter als einmal und zu mehreren Freunden. Der Satz verbindet schließlich so wunderbar die Enttäuschung über das Verhalten des anderen mit der so ungefähr schlimmsten Drohung, die einem Kind Freunden gegenüber zur Verfügung steht. Oft führt das auch bei beiden zu starker, dem Liebeskummer ähnlicher Verzweiflung. Am nächsten Tag oder zwei Stunden später kann das schon wieder vergessen sein.

Nicht, weil das Kind den Satz nicht ernst gemeint hätte, sondern weil Kinder die wunderbare Fähigkeit haben, sich neuen Situationen anzupassen, zu vergessen, zu verzeihen. Natürlich können Sie mit Ihrem Kind darüber sprechen, dass das andere Kind nun traurig ist, aber eine philosophische Abhandlung über Freundschaft erscheint mir verfehlt. Die Einmischung der Eltern in Kinderbeziehungen richtet oft mehr Schaden an, plötzlich bekommt so eine Äußerung ein ungeheuerliches Gewicht, das sie sonst nicht gehabt hätte. Kinder verstehen die Bedeutung des Verhaltens anderer Kinder oft besser als die Erwachsenen. Daher: Nicht zu hoch hängen!

Jesper Juul: Die Mutter fragen, wie sie das gemeint hat

Jesper Juul

Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familie.

(Foto: Anne Kring)

Ich bin da Ihrer Meinung, aber eben auch neugierig. Daher würde ich die Mutter fragen, was sie damit gemeint hat. Nicht, um sie zu berichtigen, sondern weil Sie dann - egal, wie ihre Antwort lautet - sagen können: "Jetzt verstehe ich dich. Ich frage mich allerdings schon, ob dein Kind das auch so verstanden hat."

Katia Saalfrank: Erfahrungen sind wichtig für Freundschaften

Katia Saalfrank

Katia Saalfrank ist Pädagogin, Musiktherapeutin und wurde als Fachberaterin in der Sendung "Die Super Nanny" bekannt. Heute arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis in der Eltern- und Familienberatung.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ich höre hinter dem Satz vor allem die Botschaft: "Ich hab mich über dich geärgert und brauche Abstand." Ist das nicht ein Satz, den wir alle aus unserer eigenen Kindheit kennen? Freundschaften zu führen, ist nicht so einfach. Es braucht Erfahrungen, die Ihre Tochter gerade macht. Kinder nehmen schon als Baby gerne Kontakte zu anderen Kindern auf. Die ersten echten "Freundschaften" finden sich erst ab dem dritten Lebensjahr, wenn sie in den Kindergarten kommen. Hier suchen sie oft gezielter nach Spielkameraden. Sie können sich mittlerweile sprachlich differenzierter verständigen, sich besser bewegen und so autonomer handeln, sich Spiele ausdenken und mit anderen umsetzen.

Freunde in diesem Alter haben eine besondere Funktion: Sie tauschen Geheimnisse aus, bilden Grüppchen, fühlen sich stärker in einem neu erfahrenen Zusammenhalt. Für das Selbstbewusstsein ist es wichtig, einen Freund zu haben. Auch auf emotionaler und sozialer Ebene können Freunde wichtige Erfahrungen vermitteln: Es geht um Vertrauen, darum, sich auszuprobieren, das Erfahren von Anerkennung und Wertschätzung. Mitfühlen, Mitleiden und Mitfreuen sind beim Freund leichter erfahrbar als in der Gruppe. Dem Freund zuliebe verzichtet man auch eher auf etwas, erlebt Autonomie, plant Gemeinsames, findet zu zweit Kompromisse, stellt Eigenes zurück und lernt, anderes zu akzeptieren. Bei all dem kann es dazu kommen, dass Kinder sich auseinandersetzen - und dieser Satz mal fällt.

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