Süddeutsche Zeitung

Familientrio:Muss mein Kind eine strenge Musiklehrerin aushalten?

Die Klavierlehrerin werde auch mal laut, erzählt eine Mutter. Nun möchte die Tochter schon nach einem Monat nicht mehr hingehen. Wie soll sie reagieren? Drei Experten geben Rat.

Unsere Tochter (5 1/2) ist sehr behütet und bindungsorientiert aufgewachsen. Seit einem Monat bekommt sie Klavierstunden. Das war ihr Wunsch. Die Lehrerin ist streng. Sie wird bei jedem falschen Ton laut. Heute wollte unsere Tochter nun nicht mehr hin. Wie soll ich reagieren? Ich will nicht, dass es ihr schlecht geht. Aber sie soll lernen, dass sie weitermachen kann, auch wenn es mal schwierig wird.

Anke S. aus Düsseldorf

Margit Auer:

Ich hatte selbst zehn Jahre Klavierunterricht, meine wunderbare Lehrerin hieß Frau Haase. Sie hat mich üben lassen ("mindestens 45 Minuten am Tag") und mit Lebensweisheiten ausgestattet ("Für den Haushalt bin ich einfach nicht geschaffen"). Bis heute dient mir dieser Satz als perfekte Entschuldigung für ungeputzte Badezimmer. Aber zurück zum Thema: Bei manchen Dingen lohnt es sich, dranzubleiben. Wenn Ihre Tochter wirklich Spaß hat am Klavierspielen, dann wird sie sich durchbeißen. Wechseln Sie die Lehrerin und los geht`s! Ich habe es nach zehn Jahren bis zu Beethovens Mondscheinsonate gebracht, und zwar nicht nur bis zum lahmen ersten Satz. Weitermachen lohnt sich! Das gilt für viele Lebensbereiche, im Übrigen auch fürs Bücherschreiben. Wer zu früh aufgibt, hat schon verloren.

Herbert Renz-Polster:

Für mich ist das ganz einfach: Ihre Tochter will den Weg in die Musik finden, wie toll! Nur, sie ist bei einer Lehrerin gelandet, die ihr diesen Weg verleidet. Sie ist nicht bei einer Musikpädagogin, sondern bei einer Musikverderberin gelandet. Kein fünfjähriges Kind (und auch kein zehn- oder 15-jähriges) muss sich anschreien lassen, wenn es das tut, was zum Lernen gehört, nämlich Fehler machen. Die Lernforschung ist hier eindeutig: Miese Stimmung und miese Beziehungen erzeugen ein Klima von Stress - und Stress würgt das Lernen ab. Das Erlernen eines Instruments ist schwer genug, ohne Freude, innerem Mitschwingen und guter Begleitung wird es zu einem Krampf. Und damit lassen sich langfristig die Mühen der Ebenen, die immer auch Teil des Pakets sind, nicht bewältigen. Ihr Kind jetzt zu zwingen würde nur heißen, dass es sich mit einem miesen Angebot arrangieren muss, das ihr langfristig womöglich die Musik verdirbt. Schüler haben ein Recht auf guten Unterricht - warum sollen sie den Preis für die Probleme ihrer Lehrer bezahlen? Da würde ich sofort Erkundigungen einholen, wo in ihrer Gegend ein Musikpädagoge oder eine Musikpädagogin lebt, die dieser Aufgabe gewachsen sind.

Collien Ulmen-Fernandes:

Das kenne ich gut. Zu den seltsamsten Erfahrungen meiner Jugend gehört die Angst vor der schrulligen Spezies von Musiklehrerinnen. Nicht nur meine, auch die meiner Freundinnen haben mir manchmal regelrechten Grusel eingejagt. In meiner Fantasie sind Musiklehrerinnen ungerechterweise alle genau 50 Jahre alt, Single, haben einen leichten Flaum, und nutzen die Sonntage dafür, hingebungsvoll ihre Oboen zu putzen. Unfair und falsch, ich weiß, aber meine natürliche Distanz zu Musiklehrerinnen erklärt sich darin, dass sie meiner Erfahrung nach oft Meisterinnen ihres Instruments waren, aber Versagerinnen in der Vermittlung dessen. Da aber, wie ich finde, in der Kindheit die Vermittlung genauso wichtig ist wie die Sache an sich, die Sache durch die Vermittlung sogar kaputt gemacht werden kann, empfehle ich Ihnen, Ihr Kind abzumelden, und eine Musiklehrerin zu suchen, die mein abgedroschenes Stereotyp ihrer Zunft widerlegt.

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SZ vom 30.11.2019/lot
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