Familientrio:Müssen Kinder in der U-Bahn Platz machen?

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Müssen Kinder in der U-Bahn zwingend für Erwachsene aufstehen? Unsere Familienexperten geben Rat. (Foto: imago/Westend61)

Eine Frau habe seinen vierjährigen Sohn in der vollen Bahn aufgefordert, ihr Platz zu machen, erzählt ein Vater. Sie war nicht alt. Hat sie dennoch ein Vorrecht?

Mein vierjähriger Sohn wurde kürzlich morgens in einer vollen U-Bahn von einer Frau, die nicht alt war, angemeckert, weil er einen Sitzplatz belegte. Sie meinte, als Erwachsene stünde ihr der Platz eher zu. Ich finde: So ein kleines Kind darf sitzen bleiben. Was meinen Sie?

Dietrich S. aus Hamburg

Margit Auer ist die Autorin der Kinderbuch-Bestseller-Reihe "Die Schule der magischen Tiere", die inzwischen mehr als acht Millionen Mal gedruckt und in 25 Sprachen übersetzt wurde. Sie hat drei erwachsene Söhne und lebt mitten in Bayern. (Foto: Auer)

Margit Auer:

Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie dieses Zusammentreffen wohl abgelaufen ist: "Na, du Knirps, mal wieder nicht ausgeschlafen?" Oder vielleicht: "Ich muss zur Arbeit, mach Platz!" Klang das Angemeckere ungefähr so? Keiner hat Lust, sich früh am Morgen anpflaumen zu lassen, weder ein Kind noch ein Erwachsener. Wenn man dagegen nett bittet, find ich, dass man einen Sitzplatz durchaus einfordern darf: "Ich hab die ganze Nacht durchgetanzt und bin hundemüde. Darf ich ausnahmsweise deinen Platz haben?" Ich wette, Ihr Sohn wäre gern auf Ihren Schoß geklettert. Ich würde sogar weitergehen: Warum nicht freiwillig aufstehen, wenn man sieht, dass ein abgekämpfter Mensch das Abteil betritt? So ein Verhalten vorzuleben, wäre Sache der Erwachsenen. Wer aber grundlos oder "aus Prinzip" herum mosert, handelt sich, zumindest in meiner Kindheit war das so, den Spitznamen "Mecker-Opa" oder "Mecker-Oma" ein. Ein hoher Preis für ein paar Minuten Sitzen statt Stehen.

Herbert Renz-Polster ist Kinderarzt, Wissenschaftler und Autor von Erziehungsratgebern und des Blogs "Kinder verstehen". Er hat vier erwachsene Kinder und lebt mit Frau und jüngstem Kind in Ravensburg. (Foto: Verlag)

Herbert Renz-Polster:

Da sehe ich zwei Probleme: Wir wünschen uns freundliche, zugewandte Kinder - und dann werden sie von Erwachsenen angemeckert. Das passt nicht zusammen. Und was auch nicht passt: Laut Beschreibung handelt es sich bei der fordernden Frau um eine zwar griesgrämige, äußerlich aber nicht gebrechliche Frau. Sie geht von einer Hierarchie nach Alter aus, in der Erwachsene mehr Rechte als Kinder haben - hier das Recht auf Bequemlichkeit. Diese Vorstellung ist zwar in anderen Kulturräumen weit verbreitet, hierzulande aber lehnen die meisten eine Diskriminierung aufgrund jüngeren Alters ab, weil darin auch ein untergeordneter Wert von Kindern zum Ausdruck kommt. Etwas anderes ist der moralische Wert der Rücksichtnahme auf Bedürftige, ob jung oder alt. Da machen alle mit, ohne Altersgrenzen. Hätte die Dame dem Kind freundlich gesagt, dass sie ein Hüftproblem habe und deshalb nicht gut stehe könne - ich bin mir sicher, das Kind hätte ihr den Platz gegeben.

Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter wohnt in Potsdam und hat den Kinderbuch-Bestseller "Lotti und Otto" und den Elternratgeber "Ich bin dann mal Mama" verfasst. (Foto: Anatol Kotte)

Collien Ulmen-Fernandes:

Laut der Titanic-Regel gilt ja, dass in Notsituationen Frauen und Kinder zuerst gerettet werden müssen, allerdings kommen in U-Bahnen noch Alte, Versehrte und Kranke davor. Schwangere nicht zu vergessen, die dürfen sich definitiv jederzeit überall drauf setzen. Jetzt weiß ich nicht, ob die betreffende Dame was an der Hüfte hatte oder im fünften Monat war oder beides, aber definitiv hatte sie Probleme mit der Kommunikation: Wenigstens eine nette Frage gegenüber Ihrem Sohn wäre angebracht gewesen, ein erklärender Hinweis, eine liebe Bitte. Dass aber Kinder Erwachsenen ganz grundsätzlich gegenüber kein Platzrecht besitzen und sich aus dem Staub machen sollten, sobald eine volljährige Person ihre Waderln durch den Waggon zieht, ist mir nicht bekannt. Das wäre dann aber auch ein Gewohnheitsrecht, über das man sich streng hinwegsetzen sollte. Ich schicke Grüße an Ihren vierjährigen Sohn und wäre froh, wenn er beim nächsten Mal wortlos sitzen bliebe.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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