Familientrio:Homeschooling-Stress

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Wie bringt man das große Kind dazu, etwas für die Schule zu tun, während der kleine Bruder spielen darf? Drei Meinungen.

Corona fordert uns als Familie mit einem Schulkind sehr. Wir versuchen jeden Morgen abwechselnd, die Aufgaben, die uns die Lehrerin schickt, mit unserer Tochter, 8, zu erledigen. Aber dann ist da noch der kleine Bruder, 4. Der darf in der Zeit spielen, was unsere Älteste nicht einsieht. Sie steht ständig auf, schafft ihr Pensum nicht und ist sehr frustriert. Was sollen wir tun?

Von Barbara T. aus München

Margit Auer:

Ich fürchte, wir alle schaffen gerade unser Pensum nicht. Für mich ist es sonst kein Problem, an einem Tag zwei Kapitel eines Manuskripts zu überarbeiten. Nebenbei erledige ich wichtige Telefonate, koche, verschicke Mails und mache das Katzenklo sauber. Zurzeit schaffe ich nicht einmal ein Kapitel. Und den Rest nur mit Glück. Müssen die Aufgaben pünktlich abgegeben werden? Haben Sie zeitlichen Spielraum? Nutzen Sie ihn. Ihre Tochter lernt gerade sehr viele Dinge: Ohne die beste Freundin spielen, sich selbst die Zeit einteilen, sich zu organisieren. Vielleicht gehört auch dazu, auf den Bruder aufzupassen? Loben Sie sie dafür. Geben Sie dem Knirps Aufgaben, die sich für ihn wie Hausaufgaben anfühlen: Kleidung in die Schränke räumen, Schuhe ordentlich hinstellen. Haben beide Kinder ihre Aufgaben geschafft, wird als Belohnung ein neuer Witz aus dem Witzebuch vorgelesen. Meiner geht so: "In welcher Stadt wohnen die meisten Hamster? - in Hamsterdam!"

Margit Auer ist die Autorin der Kinderbuch-Bestseller-Reihe "Die Schule der magischen Tiere", die inzwischen mehr als acht Millionen Mal gedruckt und in 25 Sprachen übersetzt wurde. Sie hat drei erwachsene Söhne und lebt mitten in Bayern. (Foto: Auer)

Herbert Renz-Polster:

Die Welt steht Kopf - Heimunterricht war bis vor Kurzem verboten, jetzt sollen die Eltern Lehrer spielen. Auch die Welt des Kindes steht kopf, und da ist vielleicht die wichtigste Hausaufgabe, die Eltern sich selbst jetzt stellen sollten: zu verstehen, warum mein Kind so "unmöglich" ist. Gehen wir zusammen in die Perspektive des Kindes: Es spürt, dass da etwas fundamental anders läuft als sonst, es macht sich Gedanken und Sorgen. Jeden Tag gibt es so viel Neues zu lernen, sich auf einen neuen Alltag einzustellen, Beziehungen neu zu gestalten, kurz: sich neu zu erfinden. Das ist eine riesige Aufgabe! Und wie viel Ihr Kind dabei lernt! Das ist jetzt seine Aufgabe, nicht irgendwelche Blätter abzuarbeiten, die diese inneren Prozesse nicht aufgreifen. Gute Lehrerinnen (nein, solche, die jetzt auf die brave Bearbeitung von Arbeitsblättern beharren, sind das nicht) laden die Kinder ein, nun Geschichten oder Bücher ihrer Wahl zu lesen, von ihrem neuen Leben zu berichten, anderen Kindern Briefe zu schreiben oder vorzulesen, Kunststücke auszuprobieren, Pflanzensamen in die Erde zu stecken und auf der Fensterbank zu beobachten, Youtube-Filme anzuschauen, ob sie vielleicht Häkeln lernen wollen. Wie gut, dass Ihr Kind sich nicht erpressen lässt, die Zeit in einer Palliativ-Schule abzusitzen!

Herbert Renz-Polster ist Kinderarzt, Wissenschaftler und Autor von Erziehungsratgebern und des Blogs "Kinder verstehen". Er hat vier erwachsene Kinder und lebt mit Frau und jüngstem Kind in Ravensburg. (Foto: Verlag)

Collien Ulmen-Fernandes:

Auch wenn ich zu den Fans des Prokastinierens gehöre, und glaube, dass die allerbesten Werke entstehen, indem man der Vollendung möglichst lange aus dem Weg geht, hat Ihre Tochter nicht viele Argumente dafür, die gleichen "Arbeitszeiten" für sich zu beanspruchen. Sie müssen nur die Kleidung eines Vierjährigen und einer Achtjährigen nebeneinanderhalten. Oder die Bücher. Das Spielzeug. Die Insbettgehzeiten vergleichen. Oder würde sie auch sonst gerne mit ihm tauschen? Wobei ich an dieser Stelle betonen will, dass die generelle Frage, ob Kinder und Eltern zu Hause den Lehrplan in Ersatzbesetzung durchpauken müssen, auf einem ganz anderen Blatt steht. Home-Office für Schüler sollte auch heißen, das Lernen auf Apps und Spiele und eigene, frei erfundene Formen zu verlagern. Und auch wenn keine Ferien sind, sollte das durchaus auch vorhandene Schöne an der Quarantäne, die neuen und nicht-ökonomisierten Zeitbestände zu nutzen - etwa, um "Donkey Kong" durchzuspielen -, auch den Kindern erlaubt sein.

Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter wohnt in Potsdam und hat den Kinderbuch-Bestseller "Lotti und Otto" und den Elternratgeber "Ich bin dann mal Mama" verfasst. (Foto: Anatol Kotte)
© SZ vom 04.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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