Familientrio:Dürfen Konzentrationslager Thema für Zehnjährige sein?

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Eine Mutter möchte nicht, dass ihr Sohn ein Referat über Konzentrationslager halten muss. Unsere Familienexperten sind anderer Meinung.

Leserin Anne L. aus München fragt:

Mein Sohn (10) geht in die 5. Klasse. Er soll ein Referat über Konzentrationslager verfassen. Ich bin damit nicht einverstanden, weil ich denke, dass es kein Thema für Zehnjährige ist. Reicht das nicht, wenn sie älter sind? Ich habe den Eindruck, dass Kinder heute viel früher mit "Erwachsenenthemen" konfrontiert werden - zu früh. Darf ich darüber mit dem Lehrer diskutieren?

Drei Experten antworten:

Kirsten Boie: Kinder werden sowieso mit "Erwachsenenthemen" konfrontiert

Kirsten Boie (Foto: Christian Charisius/dpa)

Sie dürfen mit dem Lehrer Ihrer Kinder über alles diskutieren, obwohl ich zunächst jedem Lehrer zugestehen würde, dass er sich vermutlich selbst Gedanken gemacht hat und zudem fachlich qualifiziert ist. Ich vermute, dass das Referat in irgendeinem Zusammenhang steht, vielleicht mit einem Buch, das gerade im Deutschunterricht gelesen wird?

Sie kritisieren, dass Kinder heute viel früher mit "Erwachsenenthemen" konfrontiert werden - aber das geschieht ja nicht primär durch die Schule, sondern unkontrolliert durch verschiedenste Instanzen der Gesellschaft, etwa durch die Fülle der Medien. Darauf muss die Schule reagieren, um die Kinder nicht mit zufälligen und diffusen Informationen allein zu lassen, sondern ihnen Zusammenhänge zu erklären. Sicher hat Ihr Sohn ohnehin schon von Konzentrationslagern gehört, hat Bilder im Fernsehen, Zeitungen und Büchern gesehen. Er wird also von dem, was er erfährt, nicht vollkommen erschlagen werden, er wird es nur besser verstehen.

Zudem sind Sachinformationen, selbst grausame Zahlen, in der Regel leichter zu verkraften als etwa ein literarischer Text oder ein Film, durch die wir stärker berührt werden, weil das Schicksal der Menschen emotional greifbarer wird. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Sohn mit dem Thema nicht umgehen kann (Kinder sind unterschiedlich sensibel), dann sprechen Sie mit dem Lehrer.

Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugendbüchern, darunter die allseits bekannten und geliebten Geschichten "aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".

Die meisten Lehrer in Dänemark wären nicht Ihrer Meinung (ich im übrigen bin es auch nicht). In vielen dänischen Schulen lernen Kinder in diesem Alter alle möglichen unerfreulichen Fakten kennen, die mit dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängen. In diesem Alter hinterlässt das einen großen Eindruck und genau das ist die Idee dahinter.

Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familie.

Natürlich können Sie mit dem Lehrer sprechen und Ihre Bedenken vorbringen. Vielleicht wollen Sie aber im Vorfeld noch mal in sich hineinhören und sich fragen: Was genau ist meine Sorge, was sind meine Bedenken? Wovor habe ich Angst?

Ihr Sohn hat eine Aufgabe aus der Schule mitgebracht und Sie können ihn nun als Mutter dabei begleiten, dieses wichtige Thema zu begreifen. Wie Sie diese Begleitung gestalten, liegt bei Ihnen. Sie können Ihren Sohn zunächst fragen, was er selbst zu dem Thema denkt, und ihm bei Bedarf Unterstützung anbieten.

Katharina Saalfrank ist Pädagogin, Musiktherapeutin und wurde als Fachberaterin in der Sendung "Die Super Nanny" bekannt. Heute arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis in der Eltern- und Familienberatung. (Foto: picture alliance / dpa)

Wenn er diese in Anspruch nehmen möchte, haben Sie die Chance, diese nach Ihren Vorstellungen zusammenzustellen. Sie können zum Beispiel in Büchern nachlesen, gezielt Sendungen zum Thema anschauen oder im Internet nach geeignetem Material suchen. Sie können das Thema in Ihren Alltag holen und sich gemeinsam mit Ihrem Sohn mit diesem Teil der deutschen Geschichte auseinandersetzen. Ist das vielleicht etwas, wovor Sie Scheu haben? Prüfen Sie doch mal, was dieses Thema bei Ihnen auslöst und ob Ihr innerer Widerstand eher mit Ihnen zu tun hat als dass Sie einem Zehnjährigen die Beschäftigung mit einem der wichtigsten Themen unserer Geschichte nicht zutrauen.

Katia Saalfrank ist Pädagogin, Musiktherapeutin und wurde als Fachberaterin in der Sendung "Die Super Nanny" bekannt. Heute arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis in der Eltern- und Familienberatung.

Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de

© SZ vom 5.3.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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