Süddeutsche Zeitung

Familientrio:Falsche Geschenke

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Unsere Kinder (4 und 6) bekommen von ihren lieben, sparsamen Großeltern immer Discounter-Kleidung geschenkt. Wir lehnen die Sachen wegen der Produktionsbedingungen ab. Früher habe ich alles im Altkleidercontainer entsorgt. Nun aber sind die Jungs größer, und Oma wird bald fragen, wie die Sachen gefallen. Die Kinder lieben die Großeltern, Streit würde ich gerne vermeiden. Wir sind ratlos! Anne B. aus Singen

Unsere Kinder (4 und 6) bekommen von ihren lieben, sparsamen Großeltern immer Discounter-Kleidung geschenkt. Wir lehnen die Sachen wegen der Produktionsbedingungen ab. Früher habe ich alles im Altkleidercontainer entsorgt. Nun aber sind die Jungs größer, und Oma wird bald fragen, wie die Sachen gefallen. Die Kinder lieben die Großeltern, Streit würde ich gerne vermeiden. Wir sind ratlos!

Kirsten Fuchs:

Warum muss es denn ein Streit werden? Nennen wir es Konfliktgespräch. Die sind toll, denn Konflikte sind nun mal da, und man muss sie nicht aushalten, sondern man kann sie klären. Wenn das klappt, ist das ein so schönes Gefühl wie Rodeln gehen oder Eis essen. Also, reden Sie bitte mit den Großeltern. Ihr Argument, dass Sie die Produktionsbedingungen und damit den Kapitalismus in seiner Perversion nicht unterstützen wollen, ist doch nachvollziehbar und kein Angriff auf die Großeltern. Sie kritisieren ja nicht den großelterlichen Geschmack. Vielleicht schlagen Sie ihnen Kleidungsläden vor, die Sie vertretbar finden. Lieber ein guter Pulli als drei billige. Oder allgemein die Regel: Geschenke werden mit den Eltern abgesprochen. Vielleicht wird es gar kein Streit, wenn Sie es ausdiskutieren. Sicher aber gibt es Frust, wenn Sie heimlich die Klamotten verschwinden lassen und das dann auffliegt. Da wäre ich echt sauer, dass man mir nicht mal die Chance lässt, den anderen zu verstehen und zu respektieren. Trauen Sie das den Großeltern zu.

Jesper Juul:

Sagen Sie den Großeltern: "Wir schätzen alles, was ihr unseren Kinder gebt, und würden das sogar noch mehr tun, wenn ihr Kleidungsstücke aussucht, die nicht unter derart fragwürdigen Bedingungen hergestellt wurden. Es ist aber eure Entscheidung, die wir respektieren." Großeltern machen oft Dinge, die wir als veraltet, überholt oder unpassend empfinden. Sie leitet dabei aber der gleiche Wunsch wie uns: den Kindern etwas Gutes zu tun.

Collien Ulmen-Fernandes:

Ihr Boykott von Discounter-Kleidung entspringt der ehrenwerten Idee, dass Sie Ihre Kinder nicht mit Anziehsachen durch die Welt laufen lassen wollen, an denen das Blut von Arbeitern und Arbeiterinnen klebt. Das Problem ist: So einfach ist das nicht. Ich weiß nicht, was Sie gerade trugen, liebe Frau B. aus Singen, während Sie diese Frage in Ihren Computer tippten und an die SZ schickten, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass mindestens ein Teil davon unter eher semiguten Bedingungen in einem Billiglohnland gefertigt wurde. Der Irrglaube, all das hat mit mir nichts zu tun, da ich nicht beim Discounter kaufe, ist leider sehr weit verbreitet. Dabei fertigt so ziemlich die gesamte westliche Kleidungsindustrie in Billiglohnländern, auch Marken im mittleren bis hohen Preissegment. Und nun kommt die große Überraschung: Es gibt Discounter, die unter besseren Bedingungen produzieren als Luxusmarken. Schauen Sie in die Etiketten der Kleidung, googeln Sie die Herkunftsländer, suchen Sie nach Informationen, es gibt davon sehr viel, zum Beispiel auf der Seite der Fair Wear Foundation. Man muss sich erkundigen, muss recherchieren, welches Gütesiegel welche Herstellungsbedingungen bedeutet. Das ist kompliziert, das nervt, aber von Phnom Penh aus betrachtet, wo ich für eine Dokumentation diese Fabriken besuchen durfte, ist diese Haltung die einzig logische.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2019
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