Süddeutsche Zeitung

Familientrio:Diese Helikopter-Eltern!

Lesezeit: 2 min

Martin R. aus Potsdam nervt, dass er sich nie mit Freunden treffen kann, die Kinder haben. Deren Eltern finden, dass sie nicht allein zu Hause bleiben können. Er findet: Mit acht und zwölf muss das gehen. Unser Trio ist sich diesmal gar nicht einig.

Seit Freunde von uns Kinder haben, ist es kaum noch möglich, sie zu treffen. Immer heißt es, dass die nicht allein bleiben können, selbst wenn es nur kurz in die Pizzeria um die Ecke geht. Dabei ist der älteste Sohn zwölf und die Schwester acht! Ich glaube ja, dass die Kinder das gut könnten, die Eltern aber nicht loslassen können. Bin ich ungerecht mit meiner Kritik?

Martin R. aus Potsdam

Margit Auer: Ausgehen als Eltern ist echt kompliziert. Der Babysitter will heimgefahren werden, also darf einer nichts trinken. Oder man kann den Abend nicht genießen, weil man durchspielt, was zuhause alles passieren könnte. Isst jemand vergorene Kirschen wie Michel aus Lönneberga? Sperrt jemand die Katze in die Schublade wie Pumuckl? Sie sollten das als Freunde akzeptieren und Alternativen suchen. Die gibt es nämlich! Kochen Sie gemeinsam, machen Sie ein Picknick im Park oder eine Radtour. Und irgendwann klappt das auch mit dem Ausgehen. Ich finde auch, dass zwölf und acht ein prima Alter ist, um sturmfrei zu genießen. Sie dürfen das anregen, dazu sind Freunde da. Sie können die Kinder auch fragen, was sie von der Idee halten. Erzählen Sie aber nicht, was Sie selbst früher getrieben haben, als die Eltern aus dem Haus waren. Den Stoff, aus dem selige Kindheitserinnerungen werden, sollen die beiden schon selbst sammeln.

Herbert Renz-Polster:

Ihre Frage beinhaltet zwei Vermutungen, die in Wirklichkeit Vorwürfe an die Eltern und deren Kinder sind. Erstens: Kinder in dem Alter sollten "eigentlich" abends ein oder zwei Stunden allein gelassen werden können (auch in der "Pizzeria um die Ecke" kommt das schnell zusammen). Zweitens: Ihre Freunde bremsen die Selbstständigkeit Ihrer Kinder aus, weil sie zur Überbehütung neigen. Beide Annahmen können stimmen, müssen es aber nicht. Es gibt keine Statistik und kein Lehrbuch, an dem das im Einzelfall abzulesen wäre. Möglicherweise täte Ihrer Freundschaft ein vorsichtigerer Blick gut: Vielleicht geben sich Ihre Freunde alle Mühe der Welt, das Leben mit den Kindern so gut wie möglich hinzubekommen. Auch im Elternjob müssen Vor- und Nachteile täglich abgewogen werden. Und ja, es sind die Eltern, die die Konsequenzen der Abwägung tragen, nicht Sie. Wenn Ihre Freunde anders handeln als Sie das für richtig halten, ist das noch lange kein Grund, sie aufgrund von bloßen Vermutungen verächtlich zu machen oder ihnen mangelnde Erziehungskompetenz zu unterstellen.

Collien Ulmen-Fernandes:

Ich liebe ja das Warnschild, das ich mal an der Schwingtür einer Grundschule gesehen habe, vor dem Flur zu den Klassenräumen: "Ab hier kann ich alleine gehen." Es war an Eltern gerichtet, die ihre Erstklässler am liebsten huckepack bis an den Schultisch tragen wollen, am allerliebsten säßen sie danach dabei, um bei pädagogischem Versagen der Lehrer sofort eingreifen zu können. Und nicht nur da, auch beim ersten Joint, beim ersten Kuss, bei der Führerscheinprüfung. Das Problem ist: Der Beteiligte, das Kind, auf dem Sprung zum Jugendlichen, wurde nicht befragt. Es geht nicht nur darum, ob Ihre Freunde damit klarkommen, Bruschetta zu kauen während sie keine volle Kontrolle über ihre Kinder haben, und ob Sie damit klarkommen, dass Ihre Freunde so selten verfügbar sind. Es geht darum, den Kindern die Chance zu geben, allein zu sein, das Süßigkeitenfach leer zu räumen, heimlich Filme ab 16 zu gucken, sich zu gruseln, wenn es im Treppenhaus poltert, eben zu leben. Mit zwölf und acht halte ich das für angezeigt. Malen Sie Ihren Freunden das Schild mit neuem Adressaten: "Ab hier können Eltern alleine gehen".

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Quelle:
SZ vom 27.06.2020
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