Familientrio:Die Eltern als Türöffner

Die 15-jährige Tochter schließt sich nach einem Streit mit den Eltern in ihrem Zimmer ein. Diese hängen daraufhin die Tür aus. Erst nach Tagen bekommt der Teenager die Tür zurück. Ist das in Ordnung? Drei Experten, drei Meinungen.

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Die Leserfrage

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Quelle: nanihta / Photocase

Unsere Enkelin (das obige Foto ist ein Symbolbild), 15, hat alterstypischen Ärger mit ihren Eltern. Nach einem Streit hatte sie sich wieder mal in ihrem Zimmer eingeschlossen und nicht mehr geantwortet. Als sie kurz zur Toilette musste, hängten ihre Eltern die Zimmertür aus. Erst nach Tagen und dem Versprechen, sich nicht wieder zu verbarrikadieren, bekam sie die Tür zurück. Wir finden das nicht in Ordnung - und Sie? Theo F., Bayreuth

Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de.

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Kirsten Fuchs

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Quelle: Stefanie Fiebrig

In Juli Zehs Buch "Unterleuten" habe ich den Satz gelesen "Macht ist, wer wen bewegt". Zumindest in diesem Sinne haben die Eltern die Macht zurückerobert und schlimm finde ich das erst mal nicht, denn es sind ihre Regeln, ihre Wohnung, ihr Erziehungsauftrag, ihre Verantwortung. Die Tür auszuhängen ist ein heftiges Symbol, aber ich kann mir Situationen vorstellen, in denen das angebracht ist - etwa, wenn es um Selbstverletzung ginge oder um gefährlichen Drogenmissbrauch. Allerdings glaube ich, dass es meistens aber nicht angebracht ist. Dieser Satz mit der Macht ist übrigens auf Pferdeerziehung bezogen und für Pferde mag es stimmen, für Eltern-Kind-Beziehungen aber sollte es eine Notfall-Option bleiben. Wer da hauptsächlich Macht ausübt, verliert vielleicht komplett den Einfluss, die Nähe zu diesem jungen Erwachsenen, zum großen Kind im Umbau. Ihre Enkelin wird noch einige Türen zumachen, die man nicht einfach aushängen kann, da muss man sie die Türen zumachen lassen, damit sie diese von alleine wieder aufmachen kann.

Kirsten Fuchs ist Schriftstellerin und lebt mit Tochter, Mann und Hund in Berlin. Sie schreibt vor allem Kurzgeschichten und Romane, aber auch Theaterstücke sowie Kinder- und Jugendbücher. Ihr Buch "Mädchenmeute" erhielt 2016 den Deutschen Jugendliteraturpreis.

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Jesper Juul

Jesper Juul

Quelle: Anne Kring

Ich bin vollkommen Ihrer Meinung. Die Eltern verletzen grob die Privatsphäre der Tochter. Meine Vermutung ist, dass die Eltern das Verhalten des Kindes schon immer stark kontrolliert haben. Möglicherweise hat die Tochter das lange hingenommen. Wenn sie sich jetzt verbarrikadiert, will sie damit sagen: "Es reicht! Genug ist genug. Ich bin nicht euer süßes, angepasstes Töchterchen mehr. Ich bin ich selbst, eine unabhängige Person." Hätten sich die Eltern selbst mit dieser Frage an mich gewandt, hätte ich ihnen dringend empfohlen, einen offenen Dialog mit dem Kind zu suchen. Sonst riskieren sie, die Tochter ganz zu verlieren.

Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

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Collien Ulmen-Fernandes

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Quelle: Anatol Kotte

Das ist wirklich nicht in Ordnung. Es ist das gute Recht Ihrer Enkelin, sich in ihrem Zimmer einzuschließen und nicht mehr zu antworten. Genau so mache ich es auch, wenn mein Mann mal wieder nervt. Man kann bei einem Streit auch mal auf Pause drücken und Konflikte zu einem späteren Zeitpunkt zu Ende diskutieren. Mit 15 Jahren teilt man keine kuschelige Bärenhöhle mehr mit seinen Eltern, sondern man regiert sein eigenes System, und man erlebt Dinge, die keinen etwas angehen. Die einzige verfügbare Grenze, die um dieses System gezogen werden kann, ist nun mal das Zimmer, mitsamt dazugehöriger Zimmertür. Dieser Rückzugsraum ist ein Grundrecht ihrer Enkelin, genau wie Meinungs- und Religionsfreiheit. Ihre Enkelin hat ein Recht auf Privatsphäre. Das steht sogar in der UN-Kinderrechtskonvention. Den Konflikt auszutragen, indem man seinen Zorn statt an Menschen an Möbelstücken herauslässt, Stühle entfernt, Kommoden verrückt und Fenster entglast? Diese Reaktion ist wirklich nicht sehr vorbildlich. Vielleicht sollte Ihre Enkelin mal darüber nachdenken, im Gegenzug den Ohrensessel des Vaters zu verschleppen oder den Lattenrost seines Bettes zu verstellen? Die Eltern haben diese kindische Reaktion schließlich vorgelebt.

Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter hat mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".

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