Ein Leser fragt:
Neulich war ich in einem Café, in dem eine Familie mit zwei Jungs im Grundschulalter am Nebentisch saß. Der eine hat den anderen laut als "Schwuchtel" beschimpft, die Eltern haben kaum reagiert. Ich hätte am liebsten etwas gesagt, dann aber nur böse hinübergeguckt. Jetzt ärgere ich mich über mich selbst. Was meinen Sie: Darf man fremde Kinder ungefragt erziehen? Marc T., 37, München
Drei Experten antworten
Kirsten Boie: Das kommt auf die Situation an
Ein afrikanisches Sprichwort sagt: "Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen." Auch wenn wir da in unserer Gesellschaft alle sicherlich Barrieren spüren, finde ich, dass wir uns schon "einmischen" dürfen, wenn wir zum Beispiel beobachten, dass ein Kind ein anderes Kind quält, etwas im Supermarkt mitgehen lässt oder Ähnliches. So etwas gehört nicht nur in den Verantwortungsbereich der Eltern, sondern in den aller Mitglieder der Gesellschaft. Wenn die Eltern wie bei Ihrem Beispiel mit dabei sind, richtet sich Ihre Kritik ja eigentlich an diese, weil sie nicht auf die Beschimpfungen reagiert haben. Und da wird es schwierig und, wie ich finde, sehr situationsabhängig. Vielleicht kann man das Kind trotzdem behutsam ansprechen. Sobald noch andere Zuhörer dabei sind (wie im Café), fühlt sich eventuell die ganze Familie bloßgestellt. Wie könnte dann das Ergebnis Ihres Einsatzes aussehen? Begreift das Kind in dieser Situation tatsächlich, dass und warum es Wörter wie "Schwuchtel" nicht als Schimpfwörter verwenden sollte?
Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugendbüchern, darunter die allseits bekannten und geliebten "Geschichten aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".
Jesper Juul: Miterziehen nein, Meinung sagen ja
Nein, Sie dürfen nicht miterziehen, aber Sie dürfen etwas zu der Bildung dieser Kinder beitragen, indem Sie Ihre Meinung mit dem gleichen Respekt und der gleichen Empfindsamkeit äußern, wie Sie sich den Umgang der beiden untereinander vorstellen.
Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familie.
Katia Saalfrank: Sprechen sie die Eltern an
Wie hätten Sie reagiert, wenn eine Gruppe Erwachsener so lauthals mit diesen Beschimpfungen in der Öffentlichkeit umgegangen wäre? Würden Sie sich auch so positionieren und ungefragt "erziehen" wollen? Ging es Ihnen um die Kinder, die sich "nicht benehmen", oder um die Beschimpfung mit dem Wort "Schwuchtel"? Wenn Sie etwas zu diesem Umgang und der Art der Streiterei sagen wollen, sollten Sie weniger mit den Kindern als mit den Eltern ins Gespräch kommen. Denn wie Sie schon haben durchblicken lassen: Die Eltern sind hier verantwortlich, auch, wenn diese anders reagiert haben, als Sie sich das gewünscht hätten. Zudem bekommen die Kinder über das Gespräch, das Sie mit den Eltern führen, sehr wohl mit, dass Sie mit der Beschimpfung nicht einverstanden sind - und darum geht es Ihnen doch, oder?
Katia Saalfrank ist Pädagogin, Musiktherapeutin und wurde als Fachberaterin in der Sendung "Die Super Nanny" bekannt. Heute arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis in der Eltern- und Familienberatung.
Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de