Familientrio:Darf ich meine Kinder nach einer Scheidung zum Umzug zwingen?

Ein Umzugswagen wird beladen 16 08 2016

Ein Umzug mit Kindern aus der gewohnten Umgebung in eine fremde Stadt will gut überlegt sein.

(Foto: imago/Waldmüller)

Eine Mutter will sich ihren Lebenstraum erfüllen. Müssen ihre Kinder ihr folgen? Drei Experten geben Rat.

Leserin Sibylle B. aus Erding fragt:

Mein Mann und ich haben uns einvernehmlich getrennt, nun möchte ich mir einen Lebenstraum erfüllen und mit den Kindern (7, 13 und 15) von Bayern nach Berlin ziehen. Wir haben dort weder Verwandte noch Freunde, es wäre der totale Neuanfang. Bei den Kindern stieß meine Idee auf Entsetzen, bei ihrem Vater können sie nicht bleiben. Kann ich sie zu einem Umzug zwingen?

Drei Experten antworten:

Kirsten Boie: Fragen Sie sich, wie realistische Ihre Erwartungen sind!

Solange die Kinder nicht volljährig sind, können Sie das vermutlich, wenn Sie das alleinige Sorge- und damit Aufenthaltsbestimmungsrecht haben. Aber sollten Sie das auch? Um sich einen Lebenstraum zu erfüllen, von dem Sie (wenn ich das richtig verstehe) nicht wissen, ob er nicht auf völlig falschen Erwartungen beruht? Woher kommt dieser Lebenstraum? Was erwarten Sie von Berlin? Ist das überhaupt realistisch?

Wenn es darum ginge, dass Sie nur dort Arbeit finden könnten, dass Sie nur dort Unterstützung durch Freunde und Familie hätten, könnte ich Ihren Wunsch vollkommen verstehen - aber all das scheint ja gerade nicht der Fall zu sein.

Vermutlich werden Ihre Kinder sich sogar (wenn auch mit anfänglichem Kummer) einigermaßen schnell einleben. Und Sie? Haben Sie einen befriedigenden Arbeitsplatz? Eine schöne, bezahlbare Wohnung in guter Lage, die für alle groß genug ist? Und was ist mit sozialen Kontakten? Wie schnell könnten Sie neue Freundschaften aufbauen, wenn Ihre Zeit durch Beruf und Kinder sicher sehr eingeschränkt ist? Vielleicht würden Sie erleben, was Oscar Wilde sagt: "Wenn Gott die Menschen strafen will, erhört er ihre Gebete" - oder lässt sie ihre Lebensträume erleben.

Kirsten Boie

Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugend- büchern, darunter die allseits bekannten und geliebten Geschichten "aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugendbüchern, darunter die allseits bekannten und geliebten Geschichten "aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".

Jesper Juul: Fordern Sie ihren Widerstand!

Familientrio: Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

(Foto: Anne Kring)

Natürlich können Sie Ihre Kinder zu einem Umzug zwingen, aber ich würde das nicht empfehlen. Mein Vorschlag wäre, Ihren Kindern zu sagen, dass Sie sich entschieden haben, umzuziehen. Dann kommt der nächste wichtige Schritt: Fordern Sie ihren Widerstand, helfen Sie ihnen, ihre Gedanken und Gefühle zu formulieren, und geben Sie ihnen dafür so viel Anerkennung wie nur möglich.

Wiederholen Sie diesen Dialog nach ein paar Wochen und gucken Sie, wie sich ihre Positionen möglicherweise verändert haben. Machen Sie das Gleiche dann noch einmal. Das Timing ist wichtig, gerade wenn die Scheidung weniger als drei Jahre her ist. In diesem Fall kann es schlauer sein, mit einem Umzug zu warten, bis die Wunden verheilt sind. Auch, wenn Ihre Kinder die Veränderung weiterhin "hassen", werden sie auch feststellen, dass Sie Ihr Möglichstes getan haben, um ihre Bedenken ernst zu nehmen.

Sie werden am Ende ihre negativen Gefühle alle mit nach Berlin nehmen, die aber mit der Zeit verblassen. Ihrem Ältesten könnte es vielleicht nicht so gehen, aber das ist dann eben so. Ihre Beziehung zu ihm wird das überleben, wenn auch mit einem kleinen Knacks.

Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung

Collien Ulmen-Fernandes: Tun Sie's nicht!

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(Foto: Anatol Kotte)

Sie können Ihre Kinder von Bayern nach Berlin schleppen - oder nach Kentucky oder ins Südpolargebiet, wenn Ihr Traum schon immer mit Pinguinen zu tun hatte. Dann müssen Sie aber auch mit den Folgen leben. Was glauben Sie, in Berlin zu finden, das Sie in Bayern nicht haben, außer Feinstaub? Vermutlich kämpfen Ihre Kinder noch mit den Folgen Ihrer Trennung, mit dem Umzug nähmen Sie ihnen zudem das Wertvollste, was man in dem Alter besitzen kann: die Freunde. Klar können Sie umziehen, juristisch haben Sie ja die Möglichkeit, aber ich rate Ihnen: Tun Sie's nicht!

Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin, Model und Moderatorin. Die Mutter einer kleinen Tochter hat bereits mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".

Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de

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