Süddeutsche Zeitung

Familientrio:Angst vorm Tod

Lesezeit: 2 min

Ihre 80-jährige Mutter glaube bei jedem Schnupfen, ihr Ende sei jetzt bald gekommen, erzählt Tanja H. aus Germering. Natürlich will sie die alte Dame ernst nehmen, aber muss sie darauf wirklich jedes Mal eingehen? Drei Meinungen.

Meine Mutter ist 80 geworden und hat schreckliche Angst vor dem Tod. Deshalb denkt sie jetzt bei jeder Erkältung, das wäre die eine Krankheit, die das Ende bedeutet. Ich möchte ihre Gefühle nicht verletzen und ihre Ängste nicht kleinreden, habe aber trotzdem keine Lust, jedem Schnupfen von ihr größtmögliche Aufmerksamkeit zu schenken. Wie soll ich mich verhalten? Tanja H. aus Germering

Kirsten Fuchs:

Ich glaube nicht, dass man einer Achtzigjährigen damit kommen kann, dass sie keine Angst vor dem Tod haben muss. Man kann nicht mal sagen, andere sind auch schon gestorben und haben nicht so ein Trara gemacht oder bis hierher ging es Dir gut. Diese Angst ist essenziell, und sie entzieht sich jeder Logik. Und je häufiger sie einen Schnupfen überlebt, um so mehr steigt nicht die Coolness sondern die Wahrscheinlichkeit, dass es der nächste Schnupfen ist. So sehr Sie das also belastet, (und Ihre Mutter sicherlich auch, denn Angst haben, noch dazu schreckliche, ist ja schrecklich. Dagegen ist genervt sein gar nicht so schrecklich.) ist diese Situation nun mal die letzten Jahre auszuhalten. Wie wäre es, wenn sie der Angst ihrer Mutter Raum geben, sich das anhören, das aushalten? Warum hat sie Angst? Wovor? Was möchte sie vorher erledigen? Wie kann man ihr helfen? Möchte sie darüber reden?

Herbert Renz-Polster:

Sie sagen es ja schon selber: Sie haben keine Lust darauf, jedem Schnupfen Ihrer Mutter größtmögliche Aufmerksamkeit zu schenken. Einfach, weil Sie es als Theater empfinden. Und tatsächlich: Warum sollten Sie auch mitspielen, das hilft weder Ihrer Mutter noch Ihnen oder Ihrer Familie. Und doch sucht Ihre Mutter in ihren "Krisen" zurecht Beistand, ein Signal der Wertschätzung von ihrer Tochter. Eine Gratwanderung. Vielleicht braucht das Theater also ein paar einleitende Worte: "Mama, ich weiß, dass Du leidest, und wenn es ernst wird, bin ich an deiner Seite, jetzt aber..." Und Humor kann der Vorstellung auch nicht schaden: Man darf sogar Arzt spielen und ein paar Tröpfchen und Kügelchen verteilen und dabei heimlich die Augen verdrehen - ein bisschen halt. Aber Humor hin oder her: das eigentliche Motiv, das hier verhandelt wird, ist ein Großes: der Umgang mit dem Tod. Vielleicht finden Sie Wege jenseits Husten und Schnupfen, darüber in einen Austausch zu kommen?

Collien Ulmen-Fernandes:

Andere sind nicht mal Mitte 40 und haben ebenfalls große Angst vor dem Tod. Ich kenne da zufällig so jemanden. Und natürlich kann eine Erkältung auch sofort das Ende bedeuten. Wer 80 Jahre überstanden hat, und damit unter anderem Konrad Adenauer als Kanzler und Wolfgang Lippert bei Wetten, dass...?, sprich einiges an Leid erdulden musste, erwirbt sich meiner Meinung nach besondere Vorrechte - auch das der Larmoyanz. Ich bin kein Fan davon, dass wir uns in Mitteleuropa, quasi per Amazon, fernöstliche Lebenspraktiken importieren und sie hier angestrengt aufführen, aber in einem Fall gebe ich der fernöstlichen Religion recht: Den Alten gegenüber sollten wir uns in höchstem Maße anerkennend verhalten, auch wenn sie spinnert daherreden. Wenn Ihre Mutter nach 80 Lebensjahren, 80 Weihnachtsansprachen, 80 Geburtstagen und 80 Martinsgänsen nun also Angst vor dem Tod hat und davor, was danach kommt, dann hat sie damit in allererster Linie mal Recht. Und in zweiter Linie können Sie sie ja ab und zu antippen und sagen: Du bist ja immer noch da, Mama.

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Quelle:
SZ vom 14.09.2019
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