Familienrecht:Homo-Ehe, Co-Mütter, Samenspender: Das deutsche Recht hinkt hinterher

Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft

Sie sind zwar Lebenspartner, doch bei Kindern rechtlich nicht gleichberechtigt: Homosexuelle Paare in Deutschland müssen viele bürokratische Hürden überwinden.

(Foto: dpa)

Der BGH ist zum Reparaturbetrieb des Gesetzgebers geworden. Denn längst ist klar: Das Familienrecht muss sich an neue Lebensgewohnheiten anpassen.

Von Wolfgang Janisch

Eltern, das ist ein Begriff, bei dem sich jeder auf sicherem Terrain wähnt - man hatte ja selbst welche. Inzwischen aber mischen sich Irritationen in diese Gewissheit, und zwar durch Gerichtsverfahren mit manchmal verblüffendem Ausgang.

So hat der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich zwei schwule Lebenspartner aus Berlin zu Doppelvätern eines Kindes erklärt, das eine Leihmutter zur Welt gebracht hat. Begründung: Das ist in Kalifornien legal und, zum Wohle des Kindes, auch in Deutschland zu akzeptieren. Der Elternstatus ist quasi importiert worden, und zwar ohne dass einer der Männer das Kind adoptieren musste.

Dies gestand der BGH auch zwei lesbischen Frauen zu, die nach südafrikanischem Recht Co-Mütter eines Kindes sind, das per Samenspende gezeugt wurde. Oder, noch verwickelter: Ein zeugungsunfähiger Mann und seine Freundin planen eine Schwangerschaft durch Samenspende; doch als das Kind da ist, will er sich davonstehlen. Der BGH sagt: Der Mann muss Unterhalt zahlen - wie ein klassischer Vater.

In Deutschland herrscht im Familienrecht eine diffuse Regellosigkeit

Der BGH ist zum Reparaturbetrieb für Versäumnisse des Gesetzgebers geworden. Die Fortpflanzungsmedizin macht rasante Fortschritte. Viele Länder haben längst ihr Familienrecht umgestaltet, um weiterhin die existenzielle Frage für Familien zu beantworten: Wer ist Vater, wer ist Mutter? In Deutschland dagegen herrscht bisweilen diffuse Regellosigkeit, so wie bei der Samenspende. Dass der BGH den treulosen Partner zum Unterhalt verurteilen musste, zeigt, dass die Elternfrage in diesen Fällen nicht wirklich geregelt ist.

Für Unverheiratete bietet das Gesetz nicht mal einen sicheren Elternstatus für das Wunschkind an; und selbst verheiratete Paare können nicht darauf bauen, dass der Ehemann ewig als Vater gilt. Denn das Kind darf, wenn es groß ist, die Vaterschaft anfechten. Der Samenspender tritt als neuer Vater womöglich an seine Stelle.

Auch sonst wirken manche Regeln überholt. Eizellenspenden etwa - ein medizinisch vertretbarer Weg, um jenen Frauen den Kinderwunsch zu erfüllen, die selbst keine Eizellen produzieren können - sind in Deutschland verboten. So ist es nur noch in wenigen europäischen Ländern.

Lesbische Paare haben das Nachsehen

Besonders heikel ist die Situation für gleichgeschlechtliche Paare. 2014 lebten laut Statistischem Bundesamt in Deutschland 11 000 Kinder in solchen Familien, etwa zwei Fünftel von ihnen wurden mithilfe von Samenspenden gezeugt - ein Teil im Ausland. Die Zahl dürfte steigen, denn derzeit leben an die 80 000 gleichgeschlechtliche Paare zusammen, mehr als die Hälfte als eingetragene Lebenspartner - und viele wollen Kinder.

Für lesbische Frauen bietet sich die Samenspende an. Doch bis heute empfiehlt eine Richtlinie der Bundesärztekammer diese Behandlung "grundsätzlich nur bei Ehepaaren".

Die Unsicherheit setzt sich nach der Geburt fort. Die Partnerin der biologischen Mutter gilt nicht als Elternteil, selbst dann nicht, wenn sie eingetragener Lebenspartner ist. Bei heterosexuellen Ehepaaren ist es anders: Der Ehemann gilt automatisch als Vater - obwohl er mit dem Spenderkind genetisch ebenso wenig verwandt ist wie die lesbische Partnerin einer Mutter.

Über bürokratische Wege zum Kind

In anderen Ländern erkennt man inzwischen eine Co-Mutterschaft lesbischer Paare an, etwa in Österreich, England und den Niederlanden. "Es gibt europaweit eine Tendenz zur Einführung der automatischen gleichgeschlechtlichen Elternschaft bei Frauen", resümierte der Münchner Professor Philipp Reuß kürzlich bei einer Veranstaltung des Deutschen Anwaltvereins in Berlin.

Deutsche Lesbenpaare dagegen müssen den bürokratisch viel aufwendigeren Weg der Stiefkindadoption gehen. Und selbst dies musste 2013 das Bundesverfassungsgericht durchsetzen - die CDU hat daraufhin beinahe den Kulturkampf ausgerufen.

Dabei haben diverse Studien die Mär widerlegt, Kinder seien bei gleichgeschlechtlichen Paaren nicht gut aufgehoben. Es sei "davon auszugehen, dass die behüteten Verhältnisse einer eingetragenen Lebenspartnerschaft das Aufwachsen von Kindern ebenso fördern können wie in einer Ehe", schrieb damals das Verfassungsgericht.

Soziale Elternschaft wird wichtiger

Immerhin: Nach und nach nimmt die Diskussion nun Fahrt auf. Vergangenes Jahr hat das Bundesjustizministerium den Arbeitskreis Abstammungsrecht ins Leben gerufen; dessen Vorschläge werden 2017 erwartet. Im Herbst wird sich der Deutsche Juristentag mit dem Thema befassen.

Das maßgebliche Gutachten hat Tobias Helms von der Universität Marburg geschrieben, auch er fordert die erleichterte Elternschaft für homosexuelle Paare. Die Grünen haben einen Gesetzentwurf zur Samenspende vorgelegt. Danach soll vor der Schwangerschaft verbindlich vereinbart werden, wer neben der Mutter die Elternverantwortung übernimmt.

Wie wird man die Elternschaft in dieser neuen Unübersichtlichkeit definieren? Zwei Entwicklungen sind zu beobachten. Zum einen wird die soziale Elternschaft für die rechtliche Zuordnung wichtiger werden. Ein Elternstatus, der allein auf genetischer Verwandtschaft beruht, wird dagegen tendenziell an Bedeutung verlieren. Das heißt nicht, dass biologische Elternschaft irrelevant wäre. Sie sei wichtig für die Entstehung einer frühen sozialen Verbindung, so lautet der Befund der Medizinethikerin Claudia Wiesemann.

Dennoch dürfte für die Elternfrage immer entscheidender werden, wer die Verantwortung für das Kind übernimmt - und nicht, wer die Gene liefert. Zum anderen aber wird das Recht des Kindes wichtiger, die eigene Abstammung zu erfahren - weil die Gene doch identitätsbildend sind. Das Bundesverfassungsgericht erkennt dieses Recht seit Langem an. Aber wann, von wem und wie das Kind von seinem "Bio-Vater" erfahren soll, ist derzeit den Eltern oder dem Zufall überlassen.

Schwangerschaften sollen auch künftig nicht zur Dienstleistung werden

Bleibt die Frage: Wie soll man eigentlich mit der Leihmutterschaft umgehen? In Deutschland ist sie verboten, aus guten Gründen. Man will dem Geschäft mit Leihmüttern nicht in die Hände spielen, Frauen sollen die Schwangerschaft nicht als Dienstleistung anbieten. Von diesem Verbot dürften die Reformer kaum abrücken, auch europaweit ist die Leihmutterschaft kaum akzeptiert. Aber was geschieht mit Familien, die so entstanden sind? Sofern ein Elternteil genetisch mit dem Kind verwandt ist, zeigt sich der BGH bei der Anerkennung in Deutschland großzügig.

Beim Europäischen Gerichtshof ist indes der Fall eines italienischen Ehepaars anhängig, das in Russland - man muss das so ausdrücken - ein Kind regelrecht in Auftrag gegeben hat. Es wurde gezeugt aus Eizelle und Samen unbekannter Spender, eine Leihmutter trug es aus. Als"Eltern" und Kind nach Italien zurückkehrten, reagierten die Behörden entsetzt und nahmen dem Paar das Kind weg. Es lebt bei einer Pflegefamilie in Italien; ein Urteil des Gerichtshofs steht noch aus.

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