Familienplanung:Ich will kein Kind, na und?

Brockwell

Holly Brockwell mit der "Woman-of-the-Year"-Auszeichnung des britischen Medienplattform "The Drum"

(Foto: Holly Brockwell)

Eine britische Journalistin sagt öffentlich, dass sie keinen Nachwuchs will. Im Alltag muss sie sich rechtfertigen, im Netz wird sie übel beschimpft. Sie ist kein Einzelfall.

Von Tanja Mokosch

Holly Brockwell ist weiblich, jung, erfolgreich - und will keine Kinder. Jetzt nicht und später nicht. Das weiß sie seit Jahren und daran wird sich nichts ändern. Ganz bestimmt nicht, versichert die 29-jährige Britin und Technikjournalistin in einem Artikel, der auf der Website der BBC veröffentlicht wurde. Darin beschreibt sie außerdem, wie sie seit Jahren erfolglos versucht, einen Arzt zu finden, der sie sterilisiert.

Auf Twitter wird sie deshalb beschimpft, sie sei "gefühllos" und "egoistisch", außerdem eine "ignorante, aufmerksamkeitsheischende Medienschlampe". Ein Nutzer schlägt vor, anstelle der Sterilisation eine Crowdfunding-Kampagne für Brockwells Kehlkopfentfernung zu starten, damit sie endlich den Mund halte. Ein anderer Nutzer schreibt, sie könne sich ruhig die Gebärmutter entfernen lassen, denn sie habe ja offensichtlich kein Herz, das man ihr herausreißen könne. In einem Artikel des britischen Independent heißt es, ein Sicherheitsangestellter habe Brockwell von ihrem Auto in die Redaktion begleiten müssen.

Die Moderatorin und Journalistin Sarah Kuttner hat im April vergangenen Jahres Ähnliches erlebt. In ihrer Talkshow "Kuttner plus Zwei" auf ZDFneo ließ die 36-Jährige im Gespräch mit ihren Gästen die folgenschweren Sätze fallen: "Ich finde Kinder einfach doof. Ich hab' keine Kinder und ich hab' da auch überhaupt kein Interesse dran." Was folgte, waren Schmähungen und Beleidigungen auf Facebook und Twitter - auch hier fiel das Adjektiv "egoistisch" in fast allen Kommentaren.

Frauen, die öffentlich sagen, keine Kinder zu wollen, geraten anscheinend zwangsläufig in Erklärungsnot. Die drastischen Reaktionen überraschen Sarah Diehl nicht. Die 37-jährige Autorin, selbst kinderlos, hat für ihr Buch "Die Uhr, die nicht tickt" Frauen interviewt, die keine Kinder haben und aller Wahrscheinlichkeit nach auch keine mehr bekommen werden - die meisten sind älter als 50. "Die Fälle Kuttner und Brockwell bestätigen genau das, was ich schreibe", sagt sie. Frauen - auch denen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen - werde es generell übel genommen, wenn sie sich weigern, die traditionelle Rolle der Gebärenden zu erfüllen.

Mit 16 schwanger, ja - mit 29 sterilisiert, nein

Doch woher kommt der Egoismus-Vorwurf? Diehl nennt ökonomische Vorteile, wenn Männer als Ernährer fungieren und Frauen sich um die Familie kümmern - ein Modell, das sich jahrelang bewährt hat: "Wir wollen festhalten an der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die wir immer noch gewohnt sind." Außerdem werde Weiblichkeit mit Fürsorglichkeit gleichgesetzt - und zwar im Sinne von: für Kinder sorgen.

Tatsächlich ist die Entscheidung gegen Kinder aber oft alles andere als egoistisch. Die Möglichkeit, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, beschränkt sich eben nicht nur auf die Mutterrolle: "Anstatt in der Kleinfamilie zu verschwinden, können sich kinderlose Frauen für alle möglichen Projekte engagieren. Sie haben ja viel mehr Kapazitäten", sagt Diehl.

Holly Brockwell hat zwischenzeitlich ihren Twitter-Account gesperrt. Jetzt ist sie wieder aktiv und heizt die Debatte selbst ordentlich an.

Den Beschimpfungen im Netz kann sie entgegentreten. Machtlos fühlte sie sich jedoch den Ärzten gegenüber. Drei Jahre lang versuchte die Britin, einen Gynäkologen zu finden und sich sterilisieren zu lassen. Keiner wollte den Eingriff vornehmen. Sie sei zu jung, ihre Meinung könne sich noch ändern, das sind die Argumente, die sie immer wieder hört. Wie Brockwell in einem ihrer Texte über ihre Sterilisations-Odyssee feststellt: "Wir können uns dazu entscheiden, mit 16 schwanger zu werden, aber es nicht mit 29 ablehnen, überhaupt Mutter zu werden. Es scheint, als würden unsere Entscheidungen nur ernst genommen, wenn sie mit der Tradition übereinstimmen."

Schreckliche Anmaßung oder berechtigte Vorsicht

"Einer Frau mit Ende 20 kann man schon zutrauen, dass sie weiß, was sie will und wie sie sich gewisse Sachen vorstellt. Dass man sie dazu zwingen will, sich als Gebärende weiter bereitzustellen, finde ich verrückt", sagt Sarah Diehl.

Die Frauen, die in ihrem Buch vorkommen, hätten die Entscheidung gegen ein Kind zwar meist weniger vehement formuliert als Brockwell. Aber keine habe ein Kind jemals als zwingend nötig für ein erfülltes Leben empfunden. Und keine habe jemals ernsthaft mit ihrer Entscheidung gehadert. Es war immer das Umfeld der Frauen, das ein Problem daraus machte. "Es wird einem nicht geglaubt, egal was man sagt. Und das ist eine schreckliche Anmaßung", sagt Diehl.

Auch die Ärzte glaubten Holly Brockwell nicht. Ist das vermessen oder berechtigte Vorsicht? "Anders als alle anderen Verhütungsmethoden ist die Durchtrennung der Eileiter ein endgültiger Eingriff", sagt Christian Albring, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe.

Der Arzt entscheidet

Wenn später der Wunsch nach eigenen Kindern doch wieder stärker wird, gibt es zwar zwei Möglichkeiten: Eine Operation, in der versucht wird, wieder funktionsfähige Eileiter herzustellen oder eine künstliche Befruchtung. Beide Methoden sind nur in einem Teil der Fälle erfolgreich und mit Risiken behaftet. Nach einer operativen Wiederherstellung der Eileiter kommt es häufiger zu Eileiter- und Bauchhöhlenschwangerschaften. Eine künstliche Befruchtung ist mit den "obligatorischen Hormonbehandlungen immer eine erhebliche gesundheitliche Belastung für die Frau", wie Albring erklärt.

Es liegt daher im Ermessen des jeweiligen Arztes, ob er die Sterilisation durchführt oder nicht. "Frauen, die jünger als 30 Jahre sind, werden im Allgemeinen selbst bei einem klar und selbstbestimmt geäußerten Sterilisationswunsch kaum eine Ärztin oder einen Arzt finden, der sich ohne medizinisch zwingende Gründe zu einer Tubenligatur - also einer Sterilisation - bereit erklärt", sagt Albring. Denn: Der Arzt ist nicht verpflichtet, eine freiwillige Sterilisation durchzuführen - es ist eine Gewissensentscheidung. Rein rechtlich wäre die freiwillige Sterilisation ab 18 Jahren in Deutschland aber erlaubt.

Doch egal, ob sich die Frauen sterilisieren lassen oder nicht, die Aufregung bleibt die gleiche. Erstaunlich ist auch: Die lauten Vorwürfe kommen nicht von Männern, die um alte Muster fürchten, sagt Sarah Diehl. Oft seien es Frauen mit Kindern, die sich aufregten. Deren Haltung: "Alle Freundinnen sollen auch Kinder bekommen, dann sieht es so aus, als hätte man selbst keine Wahl gehabt", sagt Diehl. Wieder geht es um traditionelle Rollenverteilung: Frauen, die daraus ausbrechen, stellen diese in Frage. Und sie zeigen: Es geht auch anders, weil ich das so will, nicht, weil ich keine Wahl habe.

Keine Kinder, keine Liebe

Der Fall Sarah Kuttner ist ein gutes Beispiel dafür. Sie brachte mit ihrem dahingeworfenen Satz vor allem die Mütter gegen sich auf. Mia Sommer etwa - "Juristin, Bloggerin, Mutter", heißt es im Autorenprofil - schrieb als Reaktion in einem Artikel der Huffington Post: "Wenn Frau Kuttner das wirklich ernst meint, was sie da von sich gegeben hat, wird sie das (Anm. d. Red.: Im vorangehenden Absatz geht es um bedingungslose Liebe für Kinder.) und noch viel mehr leider nie erfahren. Und DAS wäre wirklich 'irgendwie doof'."

Die Annahme, dass man Liebe und Gemeinschaftsgefühl nur über eigenen Nachwuchs bekommen könne, sei fragwürdig, sagt Sarah Diehl. Sie meint: Kinderlose Frauen sind nicht automatisch Single und erst recht nicht automatisch alleine oder unvollendet. "Es geht einfach darum, dieses Mutterideal zu hinterfragen", so die Autorin. Es ist ein "überbordendes" Ideal der fürsorglichen Mutter, die uneingeschränkt für ihre Kinder da ist. "Das ist es ja, was kinderlose Frauen - ebenso wie Frauen mit Kindern übrigens - so sehr belastet. Das kann man einfach nicht schaffen."

Und selbst wenn doch, würde Holly Brockwell - die alle Interviews inzwischen ablehnt - jetzt vermutlich einwerfen: Es muss auch erlaubt sein, es nicht (schaffen) zu wollen. Für sie geht die Debatte übrigens positiv aus. Ein Arzt hat sich inzwischen bereit erklärt, die Sterilisation durchzuführen.

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