Süddeutsche Zeitung

Familienministerin zur Pflegezeit:Fürsorge - Frauensache

Die meisten älteren Menschen wünschen sich, zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt zu werden. Die Frage ist nur: Wer macht es? Die Frauen, wer sonst!

Violetta Simon

Die meisten älteren Menschen wünschen sich, zu Hause von ihren Angehörigen versorgt zu werden. Die Frage ist nur: Wer macht es? Die Frauen, wer sonst! Der Vorstoß der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) stellt somit vor allem die Anerkennung dieser Leistung dar - wenn auch eine verspätete.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im Dezember 2007 rund 2,25 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig - mehr als zwei Drittel von ihnen wurden zu Hause versorgt. Nun, zwei Jahre nachdem Ursula von der Leyen den Kindern den längst fälligen Platz in der Gesellschaft eingeräumt hat, hat sich die Politik endlich auch dazu durchgerungen, das Thema Altenpflege nicht länger zu ignorieren: Die neue Bundesfamilienministerin will einen Rechtsanspruch auf eine zweijährige Pflegezeit für Berufstätige einführen, die sich um pflegebedürftige Familienmitglieder kümmern.

Zugutekommen dürfte diese Regelung in erster Linie berufstätigen Frauen: Zu 80 Prozent sind sie es, die ihre chronisch kranken Kinder, ihre pflegebedürftigen Eltern, aber auch die Eltern ihres Partners pflegen und ihm damit den Rücken freihalten. Auch den Staat lässt die weibliche Bereitschaft, zuzupacken, besser dastehen. Dass die Pflegeplätze in den staatlich subventionierten Einrichtungen ausreichen, obwohl sie nur ein Drittel des Bedarfs abdecken, ist dem privaten Engagement der - zumeist weiblichen - Familienmitglieder zu verdanken.

Immer noch ist der Allgemeinheit nicht bewusst, was dieses Engagement bedeutet - bis es einen selbst trifft. Die Betreuung eines pflegebedürftigen Menschen ist - ebenso wie die eines Babys - nebenher kaum zu bewerkstelligen. Der Unterschied ist: Kinder werden mit der Zeit unabhängiger und haben darüber hinaus gesetzliche Ansprüche beispielsweise auf Betreuung durch Kindergärten et cetera. Im Gegensatz zu einem Baby ist die Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen aber weder geplant noch erwünscht. Sie kommt oft überraschend und stellt eine immense psychische und physische Belastung dar. Und: Sie wird mit der Zeit nicht leichter, sondern eher aufwändiger, gerade im Falle einer Altersdemenz.

Dennoch ertönt bei der Diskussion, wer sich um die Alten kümmert, stets das Argument, das auch beim Thema Kinder und Berufstätigkeit immer noch gern bemüht wird - selbst nach der Einführung des Erziehungsgeldes: "Der Mann verdient ja auch mehr!" Dabei handelt es sich dabei nur um eine weitere Unzulänglichkeit des Systems, die auch nicht richtiger wird, indem man sie möglichst oft wiederholt.

Machen wir uns nichts vor: Ebenso wenig, wie nun sämtliche Väter das Angebot annehmen, wenigstens zwei Monate in Elternzeit zu gehen, werden berufstätige Männer künftig zu Hause bleiben, um ihre Angehörigen zu pflegen. Sie werden es nicht wagen - aus Angst um ihre Stellung, aus Angst um ihr Image. Gesetzliche Veränderungen müssen in den Köpfen der Menschen mitwachsen, und das ist nach wie vor nicht der Fall, vor allem nicht in der Köpfen der meisten Arbeitgeber.

Beim Thema Pflegezeit verhält es sich ähnlich wie mit der Verhütung: Wäre Empfängnisverhütung, Schwangerschaft und Kinderaufzucht Männersache, hätte es die Pille für den Mann wohl ein halbes Jahrhundert früher gegeben. Der Vorstoß von Kristina Schröder ist wichtig und richtig - noch wichtiger als die finanzielle Unterstützung ist die Anerkennung, die damit einhergeht. Und doch wird der Erfolg durch einen Verdacht getrübt: Würde die Pflege von Angehörigen die männlichen Arbeitnehmer ebenso wie die weiblichen betreffen, wäre man wohl etwas früher auf eine so wichtige Regelung gekommen.

Wirklich traurig aber ist die Tatsache, dass die Bundesfamilienministerin meint, den Bürgern auch noch die Angst vor solchen längst fälligen Innovationen nehmen zu müssen, indem sie beschwichtigend versichert, dass dem Steuerzahler "fast keine Kosten" entstünden. Klingt, als wäre die Pflege unserer Eltern die Idee einiger Idealisten, ein überflüssiger Luxus, der die Allgemeinheit nicht belasten darf. Ein Trugschluss, wie sich spätestens dann herausstellt, wenn man selbst dran ist. Denn wenn etwas sicher ist, dann das: Früher oder später trifft es jeden von uns.

Hoffentlich ist dann jemand zu Stelle, der bereit ist, seinen Job für uns hintanzustellen. Wenn wir Glück haben, ist da eine Tochter - für deren Erziehung mit großer Wahrscheinlichkeit damals die Mutter ihre Berufstätigkeit reduziert hat.

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