Familienfoto (3): Schweden:Papa plus Bonuspapa ergibt ein Paar

Die 19-jährige Lina hat zwei Väter: ihren leiblichen und dessen schwulen Mann - in Schweden wundert sich darüber kaum jemand.

Gunnar Herrmann

Runmarö - "Ich habe noch ein paar Leute mitgebracht", ruft Bill in die Küche. Dann begrüßt er die Gäste, die es sich schon auf der Veranda bequem gemacht haben, und jagt lachend einmal quer durchs Wohnzimmer hinter dem Nachbarsjungen her. Der ist ein echter Lausbub und hat gerade ein Glas Oliven über den Gartentisch verteilt. Damit beginnt das Wochenende auf Runmarö. Bills Mann Peter steht in der Küche und bearbeitet riesige Fleischstücke, die gleich auf dem Grill landen werden. Schon auf der etwa halbstündigen Fahrt von Stockholm raus zur Bootsanlegestelle Stavsnäs war Bill überaus gut gelaunt gewesen. Auf dem Dampfer zur Insel hat er noch ein paar Nachbarn getroffen und die spontan auch gleich eingeladen.

Familienfoto (3): Schweden: Bei Peter (rechts) und seinem Mann Bill war es Liebe auf den ersten Blick; außerdem gehört Peters Tochter aus erster Ehe mit zur Patchwork-Familie.

Bei Peter (rechts) und seinem Mann Bill war es Liebe auf den ersten Blick; außerdem gehört Peters Tochter aus erster Ehe mit zur Patchwork-Familie.

(Foto: Foto: Gunnar Herrmann)

Runmarö liegt im Schärengarten vor Stockholm und ist eine für den Archipel typische Ferieninsel. Im Winter leben dort nur 300 Menschen, im Sommer sind es mehr als 3000. Peter Fröberg, der Musiker ist und sich im Keller des gelben Holzhauses ein Studio eingerichtet hat, würde am liebsten das ganze Jahr über hier bleiben. Aber sein Mann Bill Schiller arbeitet als Radiojournalist in der Stadt, also hat das Paar noch eine Einzimmerwohnung in Stockholm und pendelt oft. "Anfangs hatten wir schon ein bisschen Bedenken, raus in eine so kleine Gemeinde zu ziehen", sagt Bill.

"Aber wir sind sehr freundlich aufgenommen worden." Obwohl der eine oder andere schon etwas verwundert gefragt hat, was denn das für zwei Männer sind, die da zusammen in einem Haus wohnen. Einer der Dampferkapitäne hat einmal etwas unwirsch zu Bill gesagt: "Seid ihr schwul, oder was?" Und Bill hat geantwortet: "Selbstverständlich sind wir schwul." Er grinst, wenn er sich an den Gesichtsausdruck des Kapitäns erinnert. Bill und Peter feiern in diesen Tagen ihren zehnten Hochzeitstag; sie waren Ende der neunziger Jahre unter den ersten homosexuellen Schweden, die ihre Partnerschaft offiziell haben registrieren lassen, zuvor waren sie bereits ein paar Jahre lang ein Paar gewesen.

Der blonde Schwede Peter hatte Bill, der damals noch einen dunklen Bart trug, in einem Stockholmer Schwimmbad kennengelernt. "Nach einer Sekunde wusste ich: Das ist er", erinnert er sich. Bill ist etwas älter als Peter. Der gebürtige Amerikaner kam einst als Flüchtling nach Schweden. In den USA wurde er gesucht, weil er sich geweigert hatte, in den Vietnamkrieg zu ziehen.

Auch Peter hatte schon ein bewegtes Leben hinter sich und brachte eine Tochter aus einer früheren Beziehung mit in die Partnerschaft. Lina ist heute 19 Jahre alt. Zum Grillfest auf Runmarö kann sie nicht kommen, denn sie macht gerade Urlaub. "Sie ist in der Türkei, in einem Ort der Magaluf heißt oder so", sagt Peter jedem, der es wissen will. In seiner Stimme schwingt dabei immer eine gewisse Unruhe mit, wie das wohl bei den meisten Eltern der Fall ist, wenn ihre gerade flügge gewordenen Kinder mit Gleichaltrigen an Orte mit Sandpartys und vielen Bars reisen. "Sie wollte mir eine SMS schicken. Naja, hat sie wohl vergessen."

Etwa 600 bis 700 schwule und lesbische Partnerschaften werden derzeit pro Jahr in Schweden registriert. Homosexuelle Paare mit Kindern sind heute eigentlich nichts Besonderes mehr. Es gibt einige Prominente, die in ähnlichen Verhältnissen leben wie Bill und Peter. Umweltminister Andreas Carlgren von der ländlich-liberalen Zentrumspartei etwa ist in zweiter Ehe mit einem Glasdesigner liiert. Zuvor war er mit einer Frau verheiratet, mit der er drei Kinder hat. In Schweden können auch Homosexuelle Kinder adoptieren. Ein Unterschied zwischen der eingetragenen Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare und der herkömmlichen Ehe ist aber die Bezeichnung. Offiziell existiert der Begriff "Ehe" nach wie vor nur für die Gemeinschaft von Mann und Frau.

Zudem können homosexuelle Paare ihre Partnerschaft nur auf dem Amt eintragen lassen, Heterosexuelle können sich auch in der Kirche rechtskräftig vermählen lassen. Viele Priester veranstalten aber Segnungsfeiern ohne juristische Bedeutung für Homo-Paare. Und die Staatskirche hat beschlossen, dass sie künftig auch für gleichgeschlechtliche Hochzeiten offenstehen will.

Nun muss nur noch das Parlament die Gesetze entsprechend ändern. Die meisten Schweden gehen davon aus, dass dies sehr bald passieren wird. Denn gegen die Homo-Ehe sind eigentlich nur die Christdemokraten. Die sind zwar an der Regierung beteiligt, sind aber so schwach, dass sie bei jeder Wahl um den Einzug ins Parlament bangen müssen. Gesetzeshürden sind freilich nur ein Teil der Probleme, mit denen homo sexuelle Paare zu kämpfen haben. Vorurteile lassen sich nicht so einfach ändern. Und die gibt es natürlich auch in Schweden.

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Papa plus Bonuspapa ergibt ein Paar

Als Lina zwölf war, bat sie ihren Vater Peter, er möge das mit seinem Lebensgefährten doch bitte nicht in ihrer Schule erzählen. Sie hatte Angst davor, wie ihre Klassenkameraden darauf reagieren würden, dass sie zwei Väter hat. Das könne er gut verstehen, sagt Bill heute, man müsse diesen Wunsch akzeptieren.

"Die Kinder sollen schließlich nicht die Kämpfe ihrer Eltern ausfechten müssen." Lina hielt ihre Familienverhältnisse jedoch nicht besonders lange geheim. "Ein Jahr später lief sie bereits bei der Pride-Parade mit", sagt Bill mit dem ganzen Stolz eines Vaters. Die Pride-Parade ist der farbenfrohe Abschluss des jährlichen Schwulen- und Lesbenfestivals in Stockholm. Bill und Peter sind in der Schwulenszene aktiv und haben oft bei der Organisation des Festivals geholfen. Bei dem Umzug gehen traditionell auch heterosexuelle Angehörige mit, um ihre Unterstützung zu zeigen.

Lina hat ein gutes Verhältnis zu ihrem "Bonuspapa", wie die modernen Schweden Stiefväter nennen, weil "Stiefvater" auch in ihrer Sprache einen etwas negativen Klang hat. Als Lina neulich ihr Abitur feierte, da ging Bill hin, obwohl sein Mann, Linas leiblicher Vater, keine Zeit hatte. "Sie mag ihn ja sowieso viel lieber als mich", seufzt Peter. Er meint, das könnte daran liegen, dass Bill nicht besonders streng ist. Sein Lebensgefährte sei immer mehr so etwas wie ein Kumpel für Lina gewesen.

Die Veranda vor dem gelben Holzhaus ist mittlerweile voll besetzt. Peter steht in einem T-Shirt der Punkband Ramones am Grill und wendet das Fleisch. Das junge Pärchen, das auf der Insel das Lebensmittelgeschäft betreibt, ist mit seiner neugeborenen Tochter gekommen. Auch die vor kurzem eingezogene Familie aus dem Nachbarhaus ist da. Und eine alteingesessene Sippe ist ebenfalls zahlreich angerückt, von der Uroma bis zum Großenkel sitzen nun alle da und warten auf ihr Steak. Es ist nicht ganz einfach, den Überblick zu behalten, wer hier zu wem gehört. Aber das ist volkommen normal bei schwedischen Festen. Denn es gibt fast immer eine ganze Menge Bonuskinder, Bonusmütter, Bonusväter.

Schweden ist ein Land mit einer hohen Scheidungsrate. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1999 ergab, dass etwa ein Viertel aller 17-Jährigen die Trennung der Eltern miterlebt hat, fünf Prozent sind von Anfang an mit einem alleinerziehenden Elternteil aufgewachsen. Gleichzeitig ist die Geburtenrate im europäischen Vergleich relativ hoch, und die Ehe hat als gesellschaftliche Institution eine starke Stellung. Wer sich liebt, der heiratet meist auch irgendwann. Will man sich jedoch später wieder trennen, geht das unkompliziert und ohne Angabe von Gründen.

Die nahezu einzige Konstante in der bunten Vielfalt der schwedischen Beziehungen sind die Kinder. Egal ob lesbisch, schwul, geschieden oder Kernfamilie: Wenn es um den Nachwuchs geht, haben alle die gleichen Probleme und immer ein gemeinsames Gesprächsthema. Die Vater-Sorgen auf Runmarö werden zumindest am Tag nach der Gartenparty etwas gemildert, als das Telefon läutet. Peter hebt ab, Lina ist dran. "Wie, Spanien?" ruft er in den Hörer. "Ich dachte Türkei, du hast doch gesagt...Ach so." Peter schaut verdutzt zu Bill hinüber, schüttelt den Kopf und sagt: "Hast du das gewusst? Magaluf liegt gar nicht in der Türkei. Das ist auf Mallorca."

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