Familienformen im Zensus 2011:Mutter, Mutter, Kind

Regenbogenkinder Zensus 2011 Homo-Ehe

Das lesbische Paar Sharon Duchesneau (links) und Candace McCullough (rechts) aus den USA hat zwei Kinder.

(Foto: DPA)

Alleinerziehende, Patchwork- oder Kleeblattfamilien: Das Vater-Mutter-Kind-Modell ist längst nur noch eine Familienform unter vielen. 5600 Kinder lebten 2011 in Regenbogenfamilien mit homosexuellen Eltern. Fast alle von ihnen bei lesbischen Paaren. Woran liegt das?

Von Lena Jakat

"Kinder nehmen das alles total normal auf. Wenn, dann waren das immer die Eltern, die damit ein Problem hatten". Ein Problem damit, dass Mia nicht das Kind von einer Frau und einem Mann ist, sondern von zwei Frauen und zwei Männern - einem lesbischen und einem schwulen Paar. Gemeinsam mit ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester Nell und drei anderen Kinder aus Regenbogenfamilien - Familien mit lesbischen, schwulen, bi- oder transsexuellen Eltern - hat die 21-jährige Mia dem SZ-Magazin kürzlich ihre Erfahrungen geschildert. In einem großen Interview berichteten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen von glücklichen, erfüllten Kindertagen - und dem nervigen Zwang, sich ständig erklären zu müssen. "Aber in der Schule hört man sich doch alles Mögliche an, egal, ob man zwei Mütter hat oder eine komische Frisur", sagte etwa der 18-jährige Malte.

Wie Mia und Malte leben in Deutschland 5700 Kinder in Familien mit lesbischen oder schwulen "verpartnerten" Eltern. Zum ersten Mal wurden beim Zensus 2011, der ersten großen Volkszählung seit 25 Jahren, auch eingetragene Lebenspartnerschaften erfasst, die in Deutschland 2001 das Lebenspartnerschaftsgesetz möglich machte. 34.000 verheiratete lesbische oder schwule Paare wurden deutschlandweit beim Zensus gezählt. Das sind fast dreimal so viele wie die noch 2009 geschätzte Zahl von 13.000. Da der Stichtag für die Zensus-Befragung, der 9. Mai 2011, schon mehr als zwei Jahre zurück liegt, dürfte die aktuelle Zahl noch deutlich höher sein.

Die allermeisten der im Zensus erfasst Regenbogenkinder - 87 Prozent - leben in Haushalten mit lesbischen Paaren zusammen. "Für Frauen ist es einfach deutlich leichter, Kinder zu bekommen", sagt Renate Rampf vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland zu Süddeutsche.de. "Rein biologisch gesehen." Sie erfüllen sich den Kinderwunsch mittels künstlicher Befruchtung, mithilfe von anonymen oder befreundeten Spendern, in Arztpraxen oder zu Hause. Oder auf "natürliche Weise": Bei Mia zum Beispiel traf sich eine ihrer Mütter mit einem ihrer Väter, einem Ex-Freund. Ihre Schwester wurde später durch Insemination (künstliche Befruchtung) gezeugt.

"Wir beobachten ein gestiegenes Selbstbewusstsein bei jungen lesbischen Frauen, was die Familiengründung angeht", sagt Verbandssprecherin Rampf. Früher hätten lesbische Frauen sich oft der Frage stellen müssen: "Will ich lesbisch leben oder entscheide ich mich für die Kinder?". Heute sei das kein Widerspruch mehr. Das zeige sich auch im wachsenden Anteil verpartnerter Lesben, erläutert Rampf. "Anfangs machten Frauen nur gut ein Drittel der eingetragenen Lebenspartnerschaften aus, doch sie holen auf." Laut Zensus waren in 2011 40 Prozent der in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Paare Frauen.

Auch werden immer mehr Kinder in homosexuelle Lebenspartnerschaften hineingeboren. Die bislang umfassendsten Studie zu Regenbogenkindern in Deutschland fand 2009 heraus, dass 44 Prozent aus früheren Beziehungen mit in die Partnerschaft gebracht werden - ein Anteil, der stetig zugunsten gemeinsamer Kinder abnimmt. Samenbanken berichten von wachsendem Interesse lesbischer Frauen.

Schwulen Paaren, die sich Kinder wünschen, bleibt hierzulande aber eigentlich nur die Möglichkeit der Auslandsadoption. Oder sie nehmen Pflegekinder auf. Das liegt auch daran, dass das deutsche Embryonenschutzgesetz Leihmutterschaft explizit verbietet. Deutlich zeigt sich diese Situation auch an den Ergebnisse einer großen Studie der Stadt Köln, zu der 2011 ingesamt 114 Regenbogenfamilien befragt wurden. 82 Prozent der Kinder, die bei schwulen Eltern leben, sind demnach Pflege- oder Adoptivkinder.

Regenbogenkinder sind sozial kompetenter

Die Zahl der überwiegend lesbischen Eltern in Regenbogenfamilien ist allerdings nur zu einem geringen Anteil Ausdruck mangelnder Gleichstellung Homosexueller im Adoptionsrecht. Diese scheint spätestens seit der Karlsruher Entscheidung zur Sukzessiv-Adoption in greifbare Nähe gerückt.

Doch selbst wenn homo- und heterosexuelle Paare bei der Adoption nicht-verwandter Kinder völlig gleichgestellt würden - an der Statistik dürfte das nur wenig ändern. Denn die Zahl der Mädchen und Jungen, die in Deutschland insgesamt zur Adoption stehen, ist sehr begrenzt. 2011 wurden insgesamt 4060 Kinder adoptiert. Nur 1690 waren keine Stiefkinder oder anderweitig verwandt.

Während zur Veränderung der Familienformen auch gehört, dass immer mehr Kinder heterosexueller Paare bei Alleinerziehenden aufwachsen oder bei geschiedenen beziehungsweise getrennten Eltern, zeigt die Forschung, dass die Beziehungen homosexueller Elternpaare stabiler sind als die heterosexueller. So wuchs 2011 in Deutschland jedes fünfte Kind bei nur einem Elternteil auf - von den in der Kölner Regenbogenstudie erfassten Eltern lebten dagegen nur drei Prozent als Single. 41 Prozent der Befragten waren bereits mehr als zehn Jahre mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner zusammen, weitere 25 Prozent fünf bis zehn Jahre lang.

"Wenn man wie meine Mütter in einer homosexuellen Beziehung lebt, hat man sich sehr lange mit seiner Identität auseinandergesetzt", sagte der 18-jährige Malte im SZ-Magazin-Interview. Das dürfte dazu beitragen, dass, wenn Studien Unterschiede bei Kindern aus Regenbogen- und solchen aus traditionellen Familien feststellen, diese positiv sind. Regenbogenkinder verfügen demnach über ein höheres Selbstwertgefühl, zeigen mehr soziale Kompetenz und größere Toleranz. Was auch damit zu tun haben dürfte, dass es in homosexuellen Beziehungen nicht zu ungewollten Schwangerschaften kommt.

Während Regenbogenkinder wie Malte immer wieder um die gesellschaftliche Anerkennung ringen müssen, und auch politisch noch vieles geschehen muss, bis Begrifflichkeiten wie "traditionelle" und "Homo-" Ehe obsolet werden, ist die Gleichstellung in der Statistik schon vollzogen: Der Zensus 2011 weist beim Familienstand in der Kategorie "Verheiratet/Lebenspartnerschaft" nur noch eine gemeinsame Zahl aus.

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