Süddeutsche Zeitung

Familien-Newsletter:Muss Gleichberechtigung so schwierig sein?

Immer noch sind Kinderbetreuung und Hausarbeit in Familien ungleich verteilt - obwohl die meisten Paare anders leben möchten. Woran liegt das?

Von Felix Hütten

Dieser Text stammt aus dem Familien-Newsletter der Süddeutschen Zeitung. Hier können Sie ihn abonnieren.

Liebe Leserin, lieber Leser,

kürzlich begleitete ich meine Tochter zu einem Kindergeburtstag, es gab Kuchen in Regenbogenfarben und eine Disko mit Klopapier-Fetzen, die die Kinder in der Luft umherwirbelten, kurz: Ich war vor Ort nicht wirklich gefragt. Ich setzte mich also auf eine Bank vor dem Haus und ergatterte die ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres. Neben mir nahm ein Spaziergänger Platz, wir kamen ins Gespräch. Der Mann war 32 Jahre alt, vor wenigen Tagen beugte er sich, so erzählt er es mir, mit seiner Freundin über ihren positiven Schwangerschaftstest, Glückwunsch, wie schön, und so weiter.

Ich erzählte von der Kinderdisko im Haus, und dann ging es schon los, wie wir "das" so machen mit der Familienaufteilung und wie sehr er "es" doch anders machen will als noch sein Vater und Großvater: Da sein für das Kind, mindestens die Hälfte der Elternzeit übernehmen, "wenn nicht mehr". Ich redete ihm gut zu, wie toll ich das finde und erinnerte mich an meine je sieben Monate Elternzeit, vor allem aber an den Tweet meiner Ressort-Kollegin Vera Schroeder: "Berührt Euch das, Männer?" - fragte sie anlässlich einer aktuellen Erhebung, die mal wieder zeigte, wie ungleich doch Kinderbetreuung und Hausarbeit in vielen Familien aufgeteilt ist.

Ich kann natürlich nicht für alle Männer sprechen. Aber mich und viele andere Väter in meinem Umfeld berührt das tatsächlich sehr, so sehr, dass sich manche große Sorgen machen - nicht zuletzt auch um den leeren Familiengeldbeutel, wie auch schon mein Kollege Malte Conradi vor einigen Jahren kommentierte: "Väter in Elternzeit sind heute ein Mittelschichtsphänomen. Geringverdiener wie Gutverdiener führen vor allem einen Grund an, warum sie kein Elterngeld beantragen: Das Geld reicht nicht."

Doch auch in der Mittelschicht klappt es ganz oft wirklich gar nicht. Vor wenigen Tagen fassten die Autorinnen und Autoren das Problem in einem vom Bundesfamilienministerium veröffentlichter Bericht knackig zusammen: "Oft nimmt man sich erst mal etwas anderes vor, als man dann lebt", sagte die Allensbach-Chefin Renate Köcher bei der Präsentation - nachzulesen im Text meiner Kollegin Miriam Dahlinger.

In dem Bericht ging es um den Druck in Familien, und ich dachte an diese Worte, als ich mit meiner zufälligen Sonntagnachmittagsbekanntschaft auf der Holzbank saß: Was sich Menschen, wenn sie Kinder bekommen, so alles vornehmen. Wie groß der Wunsch doch ist, den Alltag gleichberechtig zu gestalten - und schließlich unter dem Druck, der auf den Familien lastet, gute Vorsätze über Bord werfen und pragmatische Lösungen suchen. Das führt leider oft dazu - ich weiß es selbst - dass man schwuppdiwupp "teils unbemerkt oder unfreiwillig in eine (Re-)Traditionalisierung" abrutscht, wie es in dem Bericht heißt.

Die Gründe, Erklärungen und Ursachen sind komplex, vielfältig, darüber haben wir in der Süddeutschen Zeitung schon häufig berichtet. Empfehlenswert ist zum Beispiel diese Spurensuche von Lisa Seelig. Es geht vom Wollen übers Können, natürlich auch von Ignoranz über Angst bis hin zur Hirnblutung eines Freundes von mir, die ihn fast das Leben und nun in sehr vielen Momenten des Tages sein Vatersein kostet, weil er manchmal alle Kraft braucht, nicht wieder umzufallen.

Will sagen: Der Weg zur Gleichberechtigung ist hart, steinig und in jeder Familie anders verzweigt, selten grade und asphaltiert. Um ehrlich zu sein: Ich weiß auch keine Patentlösung, außer sich als Familie und auch als Vater jeden Tag bewusst dafür zu entscheiden, den Weg gehen zu wollen, koste es, was es wolle, solange es irgendwie geht.

Meinem Banknachbar erzählte ich all das natürlich nicht. Das letzte, was ich wollte, war, ihn in seinen Plänen zu verunsichern. Wichtig beim Elternwerden, dachte ich mir, ist doch dieser manchmal fast naive Zauber, der so kostbar ist wie Goldstaub. Leider ebenso flüchtig, also bloß nicht wegpusten. Ich wünschte ihm stattdessen viel Glück und Kraft und sagte zu ihm zum Abschied: "Wir versuchen auch, möglichst 50/50 zu leben, du bist also nicht alleine!" Er antwortete nicht, er lächelte.

Ein schönes Wochenende wünscht

Felix Hütten

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